
Soll ich in einem Universitätsklinikum arbeiten oder in einem „normalen“ Krankenhaus? Das fragen sich viele Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung, aber auch noch später, wenn sie den Facharzt schon in der Tasche haben. Prof. Dr. Esther von Stebut-Borschitz von der Uniklinik Köln nennt die Vorteile: breites Krankheits-Spektrum, spannende Forschungsoptionen und viel Interdisziplinarität.
Frau Prof. von Stebut-Borschitz: Was sind die Hauptmerkmale einer Uniklinik als Arbeitgeber für Ärzte und Ärztinnen?
Prof. Esther von Stebut-Borschitz: Universitätskliniken sind immer Maximalversorger. Heißt, man lernt im Idealfall das gesamte Spektrum der Krankheiten kennen. Das ist auch das häufigste Argument unserer jungen Bewerbenden. Darunter sind – neben vielen Berufseinsteigern – auch Ärztinnen und Ärzte, die schon in einer Niederlassung angefangen haben, aber ihre Weiterbildung doch noch in einem Uniklinikum fortsetzen möchten. Etliche finden zudem den Bereich Forschung spannend, die neben der Patientenversorgung traditionell zu den Aufgaben einer Universitätsklinik gehört. Früher war dies eher eine Art „Freizeitforschung“, die man abends nach 17 Uhr noch irgendwie versucht hat. Heute gibt es systematische Programme mit Freistellungsmodellen, um die Kombination aus Forschung und Patientenversorgung gezielt zu fördern. Dazu gehört vor allem der inzwischen von allen Unikliniken angebotene Clinician Scientist.
Können Sie dieses Konzept am Beispiel Köln schildern?
Prof. Esther von Stebut-Borschitz: Auch unser Cologne Clinician Scientist Programm (CCSP) richtet sich an promovierte Ärztinnen und Ärzte mit dokumentiertem wissenschaftlichem Interesse, zum Beispiel durch Erst-Autorenschaft auf einer Publikation, im zweiten oder dritten Weiterbildungsjahr. Über einen Zeitraum von maximal drei Jahren können die Teilnehmenden beides – Forschung und Patientenversorgung – ausüben, zum Beispiel als geteilte Woche oder jeweils 1,5 Jahre Vollzeit im Block. So lässt sich testen, ob man eine Professur anstreben möchte oder nicht. Gerade Berufsanfängern hilft es, zu sehen, wie Wissen generiert wird, anstatt eine Therapie nur fertig in der Praxis präsentiert zu bekommen. Schlicht, um die Mechanismen verstehen, auch ohne akademische Ambitionen. Allerdings kommen auf unsere momentan rund 20 Plätze rund viermal so viele Bewerbungen.
Welche weiteren Optionen gibt es bei Forschungsinteresse?
Prof. Esther von Stebut-Borschitz: Wir haben einen ganzen Strauß an wissenschaftlichen Förderangeboten. Für die spätere Phase, wenn man schon etwas etablierter ist und den Facharzt hat, eignet sich insbesondere unser Advanced Cologne Clinician Scientist. Hier kann man zum Beispiel einen Tag pro Woche dezidiert nur Forschung machen. Auch können sich Ärzte freistellen lassen, zum Beispiel wenn sie Drittmittel eingeworben haben. Dafür muss man gar nicht viele Vorleistungen haben, außer Motivation und vielleicht eine Doktorarbeit, um dann bei einem Fachmann in der gewünschten Disziplin richtig viel Zeit verbringen zu dürfen. Ich bekomme auch Bewerbungen mit ganz gezielten Tätigkeits-Vorstellungen. Und dann schauen wir, wie wir unterstützen und an individuelle Karrierepfade anpassen können.
Sie sind Klinikchefin und forschen. Was war ihr größter Erfolg durch diese Kombi?
Prof. Esther von Stebut-Borschitz: Seit Jahren mache ich Grundlagenforschung zu Schuppenflechte. Seit Jahrzehnten war bekannt, dass die Patientinnen und Patienten eine verkürzte Lebenserwartung haben. Auch unsere Schuppenflechte-Mäuse lagen regelmäßig tot im Käfig. Man wusste aber nicht, woran das lag und vermutete Lifestylefaktoren. Dann übernahm eine kardiologische Kollegin eher zufällig das Projekt. Sie fand heraus, dass die Tiere einen kardiovaskulären Tod sterben durch einen Entzündungsbotenstoff, der arteriosklerotische Plaques verursacht. Anschließend konnten wir an Probanden zeigen, dass eine Antikörper-Therapie einen zweifachen Nutzen für Haut und Herz ergibt. Die Verbindung von Grundlagenforschung zur Klinik gelingt einem nicht oft im Leben, aber es ist ein schönes Beispiel, wie sich das gegenseitig befruchtet – und zwar nur, weil neugierige Ärztinnen und Ärzte auch mal Forschung im Labor machen wollten.
Wie ist an der Kölner Uniklinik das Verhältnis von Forschung und Krankenversorgung?
Prof. Esther von Stebut-Borschitz: Das ist schwer zu sagen. Die Übergänge sind oft fließend. Ich sammle schon Informationen, wenn ich meine Patientinnen und Patienten sehe. Damit ich sie besser im Gedächtnis behalte, tippt ein Assistent die Daten in eine Tabelle ein. Ab 100 Fällen habe ich wissenschaftlich einen Mehrwert generiert, aber ist die Sammlung dann noch Klinik oder schon Forschung? Man lernt einfach ständig in beide Richtungen: macht Beobachtungen am Patienten, bekommt vielleicht eine gute Idee für die Grundlagenforschung, entwickelt daraus ein besseres Verständnis und versucht das wieder zum Patienten zu bringen. Insgesamt kann man aber davon ausgehen, dass mindestens ein Viertel unserer Tätigkeit sehr akademisch orientiert ist. Eine gesunde Abteilung hat ungefähr bis zu einem Drittel forschend orientierte Ärztinnen und Ärzte, aber nicht nur. Wir brauchen natürlich auch viele ‚reine‘ Kliniker.
Was zeichnet Unikliniken aus?
Prof. Esther von Stebut-Borschitz: Man wird täglich mit schweren und komplizierten Fällen konfrontiert und arbeitet sehr interdisziplinär. Köln hat beispielsweise ein großes Centrum für integrierte Onkologie, in das überregional fortgeschrittene Tumore bis hoffnungslose Fälle kommen. Ein anderer unserer Schwerpunkte ist das Zentrum für seltene Erkrankungen. Für diese sind häufig viele interdisziplinäre Expertinnen und Experten nötig, bis überhaupt eine Diagnose gefunden wird. Sämtliche Fächer arbeiten sehr fachübergreifend. Bei uns gibt es ein Rheumaboard, ein Lungenboard, ein Allergieboard, die Liste ist wirklich lang. In jeder Abteilung wissen wir nicht, was durch die Tür auf uns zukommt. Das kann immer alles sein.
Auch kommt man an Unikliniken zuerst in Kontakt mit neuen Therapien. Beispiel schwarzer Hautkrebs: Die Immuntherapien, die wir heute anbieten können, wurden über zehn Jahre nur in Studien in Unikliniken angewandt. In jeder Disziplin wird es ähnliche Beispiele geben, insbesondere wenn es sich um potenziell nebenwirkungsreiche Konzepte handelt.
Wofür ist Köln noch bekannt?
Prof. Esther von Stebut-Borschitz: Für die große Nähe zur naturwissenschaftlichen Fakultät. Es gibt drei größere Forschungsbereiche: Onkologie und Infektionen, Geweberegeneration und neurodegenerative Prozesse. Und noch viel mehr. Im übergeordneten Exzellenzcluster CECAD erforschen wir zum Beispiel mit der Universität intensiv Alterungsprozesse. Dieses Gebäude steht fast neben unserem Bettenhaus – dadurch ist die Grundlagenforschung auch räumlich nah am Menschen. So unterstützt macht Forschung viel mehr Spaß, weil man als Arzt nicht alles allein erfinden muss.
Wie siehts mit Fort- und Weiterbildungen aus?
Prof. Esther von Stebut-Borschitz: Auch dieses Spektrum ist typischerweise höher an Uniklinika. Wir haben so eine breite Palette, dass Kolleginnen und Kollegen wirklich überlegen müssen, wo sie überhaupt hingehen können und möchten. Unter anderem gibt es das interprofessionelle SkillsLab & Simulationszentrum (KISS). Hier werden Situationen aus dem klinischen Alltag in Notfallbehandlungs-, Schock- sowie nachgestellten Narkoseeinleitungsräumen und einem fast echten OP simuliert. Ich selbst habe dort erst vor zwei Wochen zur Auffrischung an einem Reanimationskurs teilgenommen. Man kann auch Sprachen lernen, wie Englisch für den Patientenumgang oder Kurse für den Soft-Skill-Bereich.
Für welche Ärztinnen und Ärzte eignet sich eine Uniklinik? Für wen vielleicht nicht? Und welche besonderen Fähigkeiten sollte man mitbringen?
Prof. Esther von Stebut-Borschitz: In den Anfangs-Jahren prinzipiell für alle. Einfach, um alles gesehen zu haben und sozusagen gewappnet fürs Leben zu sein. Ich sage allerdings manchmal zu meinen Bewerbenden, sie dürfen keine Angst vor kranken Patienten haben… Man muss sich Krisensituationen stellen können und das auch wollen, sowie Freude an Herausforderungen und vielleicht auch am Tüfteln haben. Für alle, die ein akademisches Interesse haben, ist die Uniklinik auf jeden Fall ein guter Start und der ganz gerade Weg zur Professur. Man muss aber wirklich nicht von Anfang wissen, ob man eine akademische Karriere anstreben möchte. Das kristallisiert sich meist erst parallel zu den jeweiligen Karriereschritten heraus. Auch wer später noch auch auf die Idee kommt, Forschung zu betreiben, ist an einer Uniklinik richtig. Das bleibt als Quereinstieg möglich. Das Spektrum dafür ist heute ein bisschen bunter und breiter geworden. Man versucht flexibler zu sein.
Was sollten Bewerbende mitbringen? Wer hat bessere Chancen bei Ihnen, Einsteiger oder Berufserfahrene?
Prof. Esther von Stebut-Borschitz: Ich schaue mir die Lebensläufe nach besonderen Interessen und Erfahrungen durch. In mein Fach Dermatologie passt eine Kandidatin oder ein Kandidat zum Beispiel gut, die oder der schon mal Innere gemacht oder operiert hat, weil wir ein Drittel unserer Patienten operieren. Eine gute Voraussetzung ist auch ein Internship, wie in anglo-amerikanischen Ländern üblich, mit dem man vorher durch verschiedene Abteilungen rotiert. Aber das alles ist keine zwingende Voraussetzung. Ob Einsteiger oder Berufserfahrene macht für mich keinen Unterschied. Eine gute Mischung im Team ist immer sinnvoll.
Ist eine Promotion nötig?
Prof. Esther von Stebut-Borschitz: Das ist auf keinen Fall notwendige Voraussetzung. Es hängt auch ein wenig von der Richtung ab. In allen Fächern, wo schon immer ein größerer Andrang auf weniger Stellen traf, ist eine Doktorarbeit natürlich immer hilfreich, insbesondere wenn sie in einem verwandten Fach oder sogar im selben Fach verfasst wurde.
Stehen Unikliniken eigentlich mehr Gelder zur Verfügung? Sie werden ja dual finanziert?
Prof. Esther von Stebut-Borschitz: Nein. Auch bei uns ist es immer knapp und eng. Die zusätzliche Finanzierung für Forschung und Lehre reicht hinten und vorne nicht, um den akademischen Teil abzudecken. Zudem bekommen wir dieselbe Vergütung für die Patientenversorgung wie andere Krankenhäuser auch. Aber: Dort braucht der Dermatologe vielleicht drei Minuten für einen Patienten. Ich bekomme aber diejenigen, die für andere zu kompliziert sind, brauche eine halbe Stunde pro Fall und erhalte nur eine Pauschale für das Quartal… Die Hochschulambulanzen können oft nicht kostendeckend arbeiten, weil wir so komplexe Patienten haben. Man muss sich aber fragen, ob eine Hochschulambulanz unbedingt Geld verdienen muss. Ich arbeite zum Beispiel seit vielen Jahren mit an einem Leishmaniose-Impfstoff. Damit beschäftigen sich weltweit nicht viele Gruppen, weil es eine Erkrankung der Armen ist. Das kann man vor allem im universitären Kontext erforschen, weil wir eben diesen wissenschaftlichen Auftrag haben.
Klappt das wirklich immer vor 17 Uhr?
Prof. Esther von Stebut-Borschitz: Leider hat auch bei uns hat die Arbeitsdichte zugenommen, sodass akademische Themen am Ende des Tages doch oft wieder hinten runterfallen. Sie können den Patienten ja nicht auf dem Flur sitzen lassen. Und wenn das Wartezimmer leer ist, steht da vielleicht noch ein Student und um den kümmere ich mich auch noch… Inzwischen bringen die Förderprogramme für forschende Ärztinnen und Ärzte wenigstens ein bisschen Luft ins System. Auch ist die Forschung heutzutage viel komplexer, sodass das am Abend nicht mehr einfach zu stemmen ist. Es braucht Zeit, Unterstützung und viel interdisziplinären Zuspruch.
Arbeiten an einer Uniklinik: Das können Sie verdienen
Die Gehälter in den Unikliniken richten sich nach dem Öffentlichen Dienst, den Tarifverträgen der Länder.