Immer nur weiße Kittel? Die Berufskleidung für Ärztinnen und Ärzte

21 September, 2022 - 07:35
Stefanie Hanke
Weißer Arztkittel

Viele Menschen bringen Ärztinnen und Ärzte vor allem mit den charakteristischen weißen Kitteln in Verbindung. Und nicht ohne Grund: Das Kleidungsstück ist weltweit verbreitet. Warum das einerseits so ist und sich andererseits gleichzeitig auch andere Kleidungsstücke für Ärztinnen und Ärzte etabliert haben, erfahren Sie im Beitrag.

Ganz in Weiß? Auch wenn der Kittel heutzutage in Krankenhäusern weltweit verbreitet ist – eine besonders lange Tradition steckt nicht dahinter. Bis ins späte 19. Jahrhundert trugen Ärzte (Ärztinnen gab es damals ohnehin kaum) üblicherweise die normale Kleidung ihrer Epoche. Viele bevorzugten dunkle Farben und schwere Wollstoffe, um die Autorität und Würde ihres Berufsstandes zu unterstreichen. Hygiene spielte damals keine Rolle – die Bedeutung von Bakterien und anderen Krankheitserregern war noch nicht bekannt. Daher wurde auch die Kleidung der Ärzte nur selten gewaschen.

Das änderte sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit der Erforschung der Bakterien. Damit bekam die Hygiene in der Patientenversorgung einen höheren Stellenwert. Allerdings konnte man die schweren, dunklen Stoffe der bisherigen Ärztekleidung nicht so heiß waschen, wie es nötig war, um alle Bakterien abzutöten. Aus diesem Grund setzten sich die weißen Arztkittel durch. Die Farbe Weiß steht dabei symbolisch für Sauberkeit und Vollkommenheit. Außerdem fällt Schmutz auf weißem Stoff schneller auf – der Kittel wird also bei Bedarf früher ausgetauscht.

Arbeitskleidung mit Symbolfunktion

Als Arbeitskleidung für Ärztinnen und Ärzte hat sich der weiße Kittel seither weltweit etabliert. Wie die Uniformen in anderen Berufen auch, unterstreicht der Kittel die Autorität und den Status der Medizinerinnen und Mediziner – Stichwort: Halbgötter in Weiß. Der Kittel steht symbolisch für medizinische Expertise und flößt Respekt ein.

Ein Beispiel ist das Modell des Eppendorfer Kittels. Das wadenlange, taillierte Modell hat sich am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf entwickelt. Der Überlieferung zufolge ließ sich ein Chefarzt einen entsprechenden Kittel maßschneidern und fand schnell Nachahmer. Die Knöpfe wiesen dabei auf den Rang des jeweiligen Arztes oder der Ärztin hin: Chef-Rang signalisierten Silberknöpfe an der Knopfzeile vorn und am Rückenriegel. Oberärztinnen und -ärzte trugen vorne ebenfalls silberne Knöpfe, hinten allerdings waren die Knöpfe weiß und aus Plastik. Fachärztinnen und -ärzte durften nur weiße Plastikknöpfe verwenden, und wer seine Weiterbildung noch nicht abgeschlossen hatte, durfte gar keinen "Eppendorfer" tragen. Übrigens: In den 1980er Jahren wurde dieses Modell vor allem durch Prof. Brinkmann in der ZDF-Serie "Die Schwarzwaldklinik" bundesweit als typische Arztkleidung bekannt.

Doch die Symbolwirkung des Arztkittels ist nicht immer positiv: So gibt es beispielsweise das sogenannte "Weißkittel-Syndrom". Der Begriff drückt aus, dass bei manchen Patientinnen und Patienten der Blutdruck vor Aufregung steigt, wenn sie Kontakt zu einem Arzt oder einer Ärztin haben. Diese vorübergehende Hypertonie kann Diagnosen verfälschen und zu Fehlbehandlungen wegen Bluthochdruck führen. Abhilfe kann im Zweifelsfall eine Langzeitmessung schaffen.

Abschied vom Kittel?

Doch nicht alle Ärztinnen und Ärzte tragen weiße Kittel: Speziell im OP ist grüne oder blaue Arbeitskleidung üblich. Diese Farben haben mehrere Vorteile: Sie reflektieren das Licht weniger stark, und sie wirken beruhigend auf die Patientinnen und Patienten. Außerdem sind rote Blutflecken auf Blau oder Grün weniger grell und auffällig. In Bereichen mit besonders hoher Infektionsgefahr ist außerdem statt des Arztkittels eine spezielle Schutzkleidung vorgeschrieben.

Und auch die Form des langärmligen Arztkittels ist nicht in allen Bereichen optimal: Wer beispielsweise einen Patienten oder eine Patientin abtasten muss oder viel mit offenen Wunden zu tun hat, kann mit langen Ärmeln wiederum Bakterien übertragen. Das konnte ein israelisches Forscherteam schon 2011 in einer Studie belegen, die im American Journal of Infection Control veröffentlicht wurde: An 60 Prozent der Arztkittel, die die Forschenden im Labor untersucht hatten, konnten gefährliche Krankenhauskeime nachgewiesen werden – in sechs Prozent der Fälle waren die Erreger resistent gegen Antibiotika.

Viele Ärztinnen und Ärzte tragen deshalb auch außerhalb des OPs lieber kurzärmlige Kasacks, Shirts oder Hemden. Mit diesen Kleidungsstücken ist auch die Gefahr deutlich geringer, irgendwo hängenzubleiben. Der Klinikkonzern Asklepios hat beispielsweise schon 2016 den Arztkittel an allen Standorten abgeschafft. In den Krankenhäusern in den Niederlanden und Großbritannien sind Kittel sogar gar nicht mehr erlaubt. Viele Arztpraxen setzen bei der Wahl der Dienstkleidung für das gesamte Team inzwischen auf Shirts in einer bestimmten Farbe, die die Zusammengehörigkeit und die Praxismarke unterstreicht. Und auch im Bereich der sprechenden Medizin ist der Kittel out: Wer beispielsweise in der Psychiatrie oder auch in der Hausarztpraxis viel mit Menschen reden und Vertrauen aufbauen muss, wirkt in "ziviler" Kleidung nahbarer und freundlicher.

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