Das sind die größten Probleme für Ärztinnen im Krankenhaus

1 Februar, 2024 - 06:13
Miriam Mirza
Erschöpfte junge Ärztin nimmt die Maske ab

Claudia Nacci ist eine zertifizierte systemische Coachin und Focusing-Beraterin. Seit einigen Jahren unterstützt und begleitet sie Ärztinnen auf beruflicher und persönlicher Ebene. Im Rahmen einer Trendstudie führte sie Tiefeninterviews mit 50 Fach- und Oberärztinnen, Chefärztinnen, leitenden Chefärztinnen, leitenden Ärztinnen und Assistenzärztinnen in deutschen Krankenhäusern durch. Ein Ergebnis der Studie zeigt: Ärztinnen in Krankenhäusern arbeiten am Limit.

Frau Nacci, was empfinden die meisten Ärztinnen als Problem in ihrem Arbeitsalltag?
 
Claudia Nacci:
Die meisten im Krankenhaus tätigen Ärztinnen empfinden zum einen die hohe Arbeitsbelastung und Mehrfachbelastung als Problem. Hinzu kommen die administrativen Tätigkeiten und eine hohe Patientenverantwortung. Auch Erholungspausen, in denen auch vernünftig gegessen oder getrunken werden kann, fehlen. Aufgrund der zunehmenden administrativen Tätigkeiten und des Personalmangels haben die Ärztinnen immer weniger Zeit für ihre Patientinnen und Patienten. Das ist frustrierend.

Gibt es weitere Probleme, die Ärztinnen ansprechen?

Claudia Nacci: Ein Punkt, der sich in den Gesprächen und auch in meiner Arbeit mit den Ärztinnen stark herauskristallisiert, ist der allgemeine Umgangston miteinander. Im Krankenhaus fehlt häufig die Kommunikation auf Augenhöhe.

Was ist mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Das ist immer noch ein Thema, das viele Frauen beschäftigt, richtig?

Claudia Nacci: Ja, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist eine große Herausforderung. Wenn Ärztinnen Kinder haben, kommen zu den beruflichen Belastungen organisatorische Themen hinzu, die sie bewältigen müssen, wie die Hobbys der Kinder zu managen oder sich um ein erkranktes Kind zu kümmern. Das führt nicht selten zu einem schlechten Gewissen, weil die Kolleginnen und Kollegen in der Klinik für sie einspringen müssen.

Wie sieht es mit dem beruflichen Fortkommen aus? Inzwischen ist die Medizin weiblich geprägt, das spiegelt sich aber nicht in den Führungspositionen wider. Welche Erkenntnisse haben Sie dahingehend gewonnen?

Claudia Nacci: Ein Hauptproblem, warum Ärztinnen unzufrieden mit ihrer Arbeit sind, sind die hierarchischen Strukturen und ein männlich geprägtes Arbeitsumfeld in Krankenhäusern. Das hat auch zur Folge, dass die beruflichen Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten eher gering sind. Es wird Ärztinnen nicht leicht gemacht, beruflich aufzusteigen. Tun sie es doch und schaffen es in eine höhere Position, haben sie oft das Gefühl, noch mehr Gegenwind zu bekommen. Sie sehen die Notwendigkeit, sich stärker durchsetzen und noch mehr zu leisten zu müssen, um als qualifizierte Ärztin wahrgenommen zu werden, und das sowohl von den Kollegen, dem Pflegepersonal als auch von Patientinnen und Patientinnen und deren Angehörige. Es mangelt oft an Respekt, Wertschätzung, Anerkennung und Verständnis z.B. für ihre persönliche Situation, wenn sie Kinder haben. Hinzu kommt die mangelnde Zeit, sich um sich selbst kümmern zu können und einen Ausgleich zum Berufsleben zu schaffen.

Welche Folgen haben die genannten Probleme?

Claudia Nacci: Zum einen wirken sich die Rahmenbedingungen, wie Schichtarbeit, hohes Arbeitspensum bei mangelndem Personal und wenig Erholungspausen auf der körperlichen Ebene aus. Oft wird mir von Erschöpfungssymptomen berichtet. Der Akku ist leer. Dann stellen sich eine schlechte Schlafqualität, Nacken- und Rückenschmerzen, aber auch Herz-Kreislauf-Probleme ein. Auf der mentalen Ebene äußert sich das in Dünnhäutigkeit, Gereiztheit und Energielosigkeit. Hinzu kommt, dass auf Dauer die Motivation sinkt, weiter in ihrem Beruf tätig zu sein. Eine eingeschränkte Family-Work-Balance kann langfristig die physische und psychische Gesundheit der Ärztinnen beeinträchtigen.
 
Was können Ärztinnen tun, um diesen Zirkel zu durchbrechen?

Claudia Nacci: Um eine Veränderung zu erreichen, muss sich auf verschiedenen Ebenen etwas Grundlegendes tun: Wichtig für Ärztinnen ist, hier auch selbst aktiv zu werden und beispielsweise Selbstfürsorge zu praktizieren und für einen regelmäßigen Ausgleich zu sorgen. Es gibt effektive Strategien, die man erlernen kann, um sich besser abzugrenzen. Dabei helfen wirksame Selbstcoaching-Tools. Die sind auch ein Mittel, um gelassener mit stressigen Situationen umzugehen und so insgesamt resilienter zu werden. Ein weiter Punkt ist, das eigene Selbstvertrauen zu stärken, oft zweifeln viele Ärztinnen an ihren Fähigkeiten. Darüber hinaus ist es hilfreich, sich Prioritäten zu setzen und zu lernen, klarer zu kommunizieren und für sich einzustehen. Zudem ist es wichtig, dass sich die Ärztinnen Zeit für sich und Ihre Bedürfnisse nehmen.

Und was können Arbeitgeber, also die Krankenhäuser tun, um Ärztinnen besser zu unterstützen?

Claudia Nacci: Arbeitgeber und Krankenhäuser könnten Veränderungen der Rahmenbedingungen herbeiführen, um die Medizinerinnen zu unterstützen und zu schützen. Sie könnten z.B. Programme zur Stressbewältigung, für bessere Teamarbeit, Kommunikation und einen konstruktiven Umgang mit Konflikten anbieten. Da, wo es geht, sollten sie ihre Mitarbeitenden von administrativen und bürokratischen Prozessen entlasten und die Digitalisierung ausbauen, damit die Medizinerinnen mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten haben. Die Arbeitszeitbelastung ist für jeden einzelnen im Krankenhaus sehr hoch, dennoch müsste für mehr Erholungspausen gesorgt werden. Das ist für die körperliche und mentale Leistungsfähigkeit unabdingbar. Einzelcoachings und Gruppencoaching sind effektiv, um Ärztinnen die Möglichkeit zu geben, sich zu stärken, motivierter und resilienter gegen Stress zu werden und neue Lösungswege für ihre Probleme und Herausforderungen zu erarbeiten. Effektiv sind Selbstcoaching-Methoden, die in stressigen Situationen sofort, überall und leicht anwendbar sind. Meiner Meinung nach kann es sinnvoll sein, Räume und Angebote zu schaffen, um Yoga oder andere sportliche Kurzeinheiten für mehr Wohlbefinden und Ausgleich in den Klinikalltag zu integrieren.

Wie sieht es mit dem Umgang miteinander aus? Wie können Krankenhäuser den verbessern?

Claudia Nacci: Es ist wichtig, eine positive, kooperative und kollegiale Arbeitsatmosphäre zu schaffen, um die Herausforderungen des Krankenhausalltags gut zu bewältigen. Der Dialog und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteurinnen und Akteuren im Krankenhaus sollten gezielt gefördert werden.

Muss sich auch gesamtgesellschaftlich etwas tun?

Claudia Nacci: Gesamtgesellschaftlich sollten Strukturen geschaffen werden, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern und mehr Ärztinnen die Türen öffnen, um beruflich aufzusteigen. Außerdem ist es meiner Meinung nach wichtig, erlernte und veraltete Dynamiken im System sukzessiv zu verändern und anzupassen, sodass ein neuer Umgang miteinander und Kommunikation auf Augenhöhe stattfinden kann.
 
Sie sind Coach und systemische Beraterin. Was bieten Sie Ärztinnen an?

Claudia Nacci: Ich biete Ärztinnen vor allem einen geschützten Raum an, in dem wir uns vorab kennenlernen. Sie können sich öffnen und ihre Themen, Probleme oder Herausforderungen, die sie beschäftigen oder blockieren, mit mir besprechen. Gemeinsam schauen wir, wo sie stehen, welches sie Ziel haben und welche Veränderung sie erreichen wollen, beruflich oder privat. Eine nachhaltige Veränderung entsteht durch den gemeinsamen Prozess, braucht Zeit und ein klares Commitment, sich selbst gegenüber etwas verändern zu wollen, das ist die beste Voraussetzung für neue Perspektiven und Lösungen.

Wie genau kann Ihr Coaching helfen?

Claudia Nacci: Damit der Coachingprozess nachhaltig und in tieferen Strukturen wirken kann, biete ich verschiedene Methoden an, eine davon ist Focusing, das ist ein körperbezogener Prozess, der auf das innere Erleben setzt und darauf eingeht, was schon gespürt, aber noch nicht im Bewusstsein ist. So kann die Aufmerksamkeit vom Gefühls- und Gedankenkarussell weggeführt werden. Zum erlebten Problem wird Abstand gewonnen. Auf diese Weise entstehen neuen Erkenntnisse, Lösungswege und neue Energie und innere Klarheit. Eine weitere wichtige Säule meiner Arbeit ist das systemische Coaching. Das ist eine professionelle und individuelle Form der Beratung nach systemischen Methoden. Die Kombination aus systemischen Methoden und dem körperbezogenen Focusing Prozess ist tiefgehend und ganzheitlich wirksam, sodass schon nach wenigen Sitzungen Freiraum entstehen kann, mental wie auch körperlich. Die Klientinnen erleben im Coaching Prozess neue Lösungsschritte, die vorher nicht im Blickfeld waren. Das unterstützt sie essenziell bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung.

Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie sich auf Ärztinnen spezialisiert haben?

Claudia Nacci: Alles fing mit einer Ärztin an, die vor einigen Jahren zu mir ins Coaching kam. Sie war eine sehr gut ausgebildete Ärztin und empathische junge Mutter von zwei kleinen Kindern. Ihr Ehemann war ebenfalls Arzt. Alles schien von außen betrachtet stimmig zu sein, bis wir ins Gespräch gekommen sind und direkt zu den Themen kamen, die sie seit Jahren beschäftigten. Sie berichtete über große Selbstzweifel an ihrer Kompetenz als Ärztin und ein geringes Selbstwertgefühl. Außerdem befasste sie sich mit Fragen wie: Ob sie nach der Elternzeit wieder in Krankenhaus zurückwollte und wie es überhaupt schaffbar sei, Familie und Beruf zu managen und die Herausforderungen im Krankenhaus zu bewältigen, geschweige denn den Anschluss bei der Arbeit wiederzufinden. Die Klientin war sich nicht sicher, ob sie wieder im Krankenhaus arbeiten oder doch ganz neu anfangen sollte. Die Geschichte hat mich sehr berührt – da war eine junge Ärztin, die viele Jahre studiert und sich fortgebildet hatte, zweifelte auf allen Ebenen an sich und ihrem Umfeld. Diese und andere Themen sind mir in Coachinggesprächen mit Ärztinnen später noch öfter begegnet.

Welche Erkenntnis haben Sie daraus gewonnen?

Claudia Nacci: Ich bin fest davon überzeugt, dass Ärztinnen eine große Passion für ihren Beruf haben, dabei hohe Ansprüche an sich selbst stellen und eine besondere Verbindung zu ihren Patientinnen und Patienten aufbauen möchten, um ihnen die bestmögliche Versorgung bieten zu können. Dennoch haben sie Hürden, die sie meistern müssen, im Außen und im Innen. Ich wusste genau, wovon diese Ärztin damals sprach, und konnte sehr gut nachvollziehen, wie sie sich fühlte. Von außen sah man eine Frau mit perfekten Voraussetzungen, erfolgreich zu werden, in ihrem Inneren aber herrschte große Unsicherheit. Ich habe mir gedacht: Ja – genau an dieser Stelle möchte ich Ärztinnen helfen, Vertrauen in ihre Kompetenzen zurückzugewinnen, Selbstzweifel zu überwinden und ein Bewusstsein für eigene Bedürfnisse zu schaffen. Lernen, sich besser durchzusetzen und sich für sich selbst und die eigenen Ziele starkzumachen, das liegt mir als Coach und als Frau am Herzen.

Die Expertin

Claudia Nacci

Claudia Nacci ist eine zertifizierte systemische Coachin und Focusing-Beraterin. Sie hat sich auf die Beratung von Ärztinnen spezialisiert und lebt in Hamburg. Für die Studie "Ärztinnen im Krankenhaus – Arbeiten am Limit 2023" hat sie zwischen Januar und Oktober 2023 rund 50 Tiefeninterviews (Dauer jeweils 30-70 Minuten) mit Ärztinnen geführt.

Bild: © Birgit Klemt / Claudia Nacci Coaching

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