Vorpreschen, vernetzen und Elternzeiten mit dem Partner teilen: Dr. Christiane Groß, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB), gibt Tipps, wie Ärztinnen die Karriereleiter hochklettern können – trotz etlicher nach wie vor existierender Hürden.
Frau Dr. Groß, was raten Sie Ärztinnen, die nach oben wollen?
Dr. Christiane Groß: Wer in eine Führungsposition möchte, muss sichtbar werden. Das Problem ist: Immer noch laufen fast alle Sitzungen und Besprechungen nach männlich dominierter Denkweise ab. Das heißt, sie dauern lange, jeder sagt noch mal das gleiche, auch der Fünfte, weil er es gesagt haben muss. Frauen verhalten sich meist viel zurückhaltender. Sie warten erst einmal ab. Und weil dann alles bereits mehrfach gesagt wurde, bleiben sie still – doch damit werden sie nicht gesehen. Solange die Strukturen so sind, sollten Sie vortreten und auch mal die Erste sein, die das Wort ergreift. Der zweite Punkt ist: Wer Karriere machen möchte, muss selbstbewusst sein. Frauen sind aber zumeist wesentlich selbstkritischer als ihre männlichen Mitbewerber. Da gilt es, das richtige, gesunde Maß zu finden, mit dem man dann aber auch sehr weit kommen kann. Wer sich fragt: „Kann ich das?“ Hat fast schon verloren. Sagen Sie sich stattdessen immer wieder: „Ich weiß, ich kann das.“ Frauen überschätzen häufig noch den Wert der rein fachlichen Leistung als Karrierefaktor und sie unterschätzen, dass sie ihre Aufstiegsmotivation und Führungsambitionen kundtun müssen.
Sind Seilschaften unerlässlich?
Dr. Christiane Groß: Ja. Wenn es um die Karriere geht, läuft vieles über Kontakte. Männer in Führungspositionen sind nach wie vor wesentlich besser vernetzt, was auch die darunterliegenden Ebenen miteinbezieht. Viele Chefs „ticken“ noch hierarchisch und ziehen Männer als Nachfolger heran. Frauen sind dabei außen vor und nehmen häufig dieses Schema auch gar nicht wahr. Darüber hinaus geschieht dies oft informell, ganz nebenbei: abends beim Essen, in der Bar oder in den Pausen auf Konferenzen. Frauen haben oft keine Zeit noch zu bleiben, weil die Familie wartet. Für sie ist das Weiterkommen schwieriger, weil sie in diesen Bünden dann eben nicht drin sind. Frauennetzwerke sind in den letzten Jahren zwar schon deutlich sichtbarer und erfolgreicher geworden, aber das reicht noch nicht. Die jungen Frauen müssen noch mehr lernen, dass berufliches Netzwerken weiterhilft.
Was ist das größte Hemmnis auf dem Weg nach oben?
Dr. Christiane Groß: Immer noch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die bei Ärztinnen doppelt schwer wiegt. In dem Augenblick, in dem eine Ärztin auf einer halben Stelle arbeitet, verdoppelt sich ihre Weiterbildungszeit. Wir sprechen normal, das heißt in Vollzeit, von fünf bis sechs Jahren Weiterbildung. Mit einer halben Stelle werden daraus also schnell über zehn Jahre oder mehr. Dazu kommen die Zeiten, die durch die Mutterschaft – Mutterschutzzeit, gegebenenfalls noch Tätigkeitsverbot während der Schwangerschaft – zusätzlich ausfallen. Frauen, die eine Führungsposition anstreben, müssen schauen, dass sie ihre Facharztweiterbildung trotz Familiengründung möglichst schnell abschließen. Jede, die vorhat Chefärztin zu werden, sollte bei der Kinderbetreuung außerdem von vornherein ihren Partner einbeziehen. Es gibt mittlerweile viele Beispiele, bei denen das auch funktioniert. Wir haben heutzutage wesentlich mehr Arzt-Ärztinnen-Paare, die gleichberechtigt aushandeln können, wer was wann macht. Anstatt, dass einer halbtags arbeitet, können beide beispielsweise auf eine Dreiviertelstelle gehen.
Darüber hinaus sollten Ärztinnen während Mutterschutz und Elternzeit darauf achten, dass sie mit der Klinik in Verbindung bleiben. Es ist beispielsweise ratsam, den Kontakt zu den Kollegen zu halten oder anzubieten, bei Bedarf einzuspringen. Ich selbst habe schon vor 30 Jahren während der „Elternzeit“ – damals hieß das noch nicht so – Nachtdienste oder Vertretungen übernommen. Das hat gut geklappt. Nach der Elternzeit ist eine der Optionen auch, sich eine/n Gleichgesinnte/n zu suchen, um sich eine Stelle zu teilen. Bis hin zu einer Chefarzt-Stelle ist das theoretisch möglich.
Worauf sollten karrierebewusste Frauen bei einem potenziellen Arbeitgeber achten?
Dr. Christiane Groß: Schauen Sie genau hin, wie die Stimmung in der Klinik ist. Ist sie wirklich familienfreundlich, oder hängt dort nur ein Label dafür an der Wand? Dabei geht es nicht in erster Linie um die betriebseigene Ganztags-Kita – die zu Dienstzeiten und nicht nur von 8 bis 16 Uhr betreuen sollte –, sondern auch um flexible Arbeitszeiten, bis hin zu Lebensarbeitszeit-Konten oder der Möglichkeit, Stellen zu teilen. Ganz wichtig ist ebenfalls Kollegialität. Auch sollte man einen Blick darauf werfen, ob Frauen bei diesem Arbeitgeber bereits in oberärztlichen oder gar in führenden Positionen sind.
Und wenn man es zur Chefarzt-Position geschafft hat, muss man weiterkämpfen?
Dr. Christiane Groß: Ein ganz deutliches Ja. Das weiß ich aus Erfahrungsberichten von Kolleginnen. Allerdings ist das je nach Fachrichtung etwas unterschiedlich: Chirurgische Fächer sind hier immer noch herausfordernder als die sogenannten weichen Fächer, zu denen zum Beispiel die Psych-Fächer oder auch die Kinder- und Jugendmedizin sowie die Gynäkologie gehören. Das sieht man ebenfalls an der Anzahl der Ärztinnen, die dort die Mehrheit stellen. Was erschwerend hinzu kommt, ist die Tatsache, dass man als Frau in führenden Positionen weniger Fehler machen darf. Der Blick von außen ist um vieles kritischer auf eine Frau als auf einen Mann. Das erkennt man auch daran, dass Frauen, um sich zu behaupten, generell mehr Aufwand betreiben müssen als Männer. Das bleibt auch in der Chefetage so.
Hat sich die Situation für aufstrebende Ärztinnen insgesamt verbessert?
Dr. Christiane Groß: Leider nur etwas. 2016 hatten nur zehn Prozent Frauen einen Lehrstuhl an den Uniklinken inne. Drei Jahre später waren es gerade mal drei Prozent mehr. Viel mehr sind es heute auf den Chefarztstellen an anderen Kliniken ebenfalls nicht. Außerdem bleiben Frauen auch in anderen Spitzenpositionen im Gesundheitswesen weit unter 20 Prozent. Aber es wandelt sich ein wenig. Ich kenne Ärzte, die auf einmal wahrnehmen, dass Frauen benachteiligt werden. Des Rätsels Lösung: Sie haben Töchter, die im Beruf genau auf diese Hindernisse stoßen. Auch gibt es inzwischen viele jüngere Kollegen, die aus eigener Erfahrung wissen, was es heißt, für Kinder da zu sein. Die kann man als wertvolle Unterstützer gewinnen. Und die sind ebenfalls wichtig. Denn wer nach oben will, muss sich Verbündete suchen.
Was halten Sie von einer Quoten-Regelung?
Dr. Christiane Groß: Leider wandelt sich das alles viel zu langsam. Deswegen brauchen wir zumindest für eine Übergangszeit Quoten – auch, damit es mehr weibliche Vorbilder gibt. Diese fehlen auch in den ärztlichen Gremien wie Ärztekammern, KVen, Fachgesellschaften und ärztlichen Verbänden. Dadurch kommt die weibliche Sicht auf das Geschehen oft zu kurz. Wer sich mehr engagieren möchte, kann sich ehrenamtlich dort einbringen. Da wird an vielen Stellschrauben gedreht. Abseits davon sage ich immer provokativ: Wenn wir in der Ärzteschaft eine normale 40-Stundenwoche hätten und zum Beispiel Wochenend- sowie Nachtdienstzeiten anders eingerechnet würden, müssten auch nicht so viele Ärztinnen Teilzeit arbeiten. In den nordischen Ländern sind die Arbeitszeitregeln viel flexibler.
Könnte die Corona-Pandemie auch in der Medizin die Frauen zurückwerfen?
Dr. Christiane Groß: Im Moment ist wahrscheinlich damit zu rechnen, dass Ärztinnen durch die Krisensituation zumindest keine Fortschritte erwarten dürfen. Ich habe schon mehrfach gehört, dass junge Ärztinnen und Ärzte derzeit keine Stelle bekommen. Es kann sein, dass vorübergehend nur die Bewerbungsgespräche gestoppt wurden, vielleicht ist aber auch die allgemeine Unsicherheit zu groß. Die Kliniken können momentan nicht wissen, wie das Geschäft weiterlaufen wird. Was ist, wenn die Rezession das Gesundheitssystem erreicht? Was, wenn die Patienten auch nach der Pandemie weniger in Praxen und Kliniken kommen? Es sind schon etliche angestellte Ärztinnen und Ärzte in Kurzarbeit geschickt worden, vor allem im ambulanten und im Reha-Bereich, aber auch in Kliniken, die jetzt keine elektiven Operationen vornehmen können. Sollte sich nach der Krise die Gesundheitsversorgung grundlegend verändern – was wir aktuell nicht wissen – und wir wirklich damit in eine neue „Ärzteschwemme“ laufen, müssen wir wieder befürchten, dass die Frauen das Nachsehen haben. Vor allem, wenn sie in dem Alter sind, in dem sie schwanger werden könnten.
Fazit: Ärztinnen haben es immer noch schwerer als ihre männlichen Kollegen. Die Situation bessert sich zwar langsam, und eine Quote könnte helfen, die Veränderung zu beschleunigen. Aber: Ärztinnen, die in die Chefetage möchten, können dies durchaus schaffen. Nötig sind Selbstbewusstsein, planvolles Vorgehen und viel Energie.
So werden Sie Chefärztin – die fünf wichtigsten Tipps:
- Ziehen Sie Ihre Facharztausbildung möglichst schnell durch
- Seien Sie selbstbewusst und nicht zu selbstkritisch
- Schauen Sie, ob ein Arbeitgeber wirklich familienfreundlich ist
- Erkundigen Sie sich, wie kollegial es an einem potenziellen neuen Arbeitsplatz zugeht
- Vertrauen Sie darauf, dass Sie die gleichen Fähigkeiten haben wie ein Mann.