Die ungenutzte Goldmine: Wie Krankenhäuser ihre Daten nutzen könnten

22 Oktober, 2025 - 08:35
Miriam Mirza
Arzt in weißem Kittel nutzt Laptop und Tablet mit holographischen medizinischen Daten, darunter KI-gestützte Analysen und anatomische Darstellungen.

Krankenhäuser in Deutschland erfassen Tag für Tag enorme Mengen an Informationen: Diagnosen, Laborwerte, Bilddaten, Operationsverläufe, Aufenthaltszeiten. Bisher gelten diese Daten in erster Linie als Pflichtaufgabe im Kontext einer guten Patientenversorgung, verbunden mit Dokumentationslast und hohen Kosten. Dabei sind sie in Wahrheit eine wertvolle Ressource. International zeigt sich, dass anonymisierte Gesundheitsdaten nicht nur Versorgung und Forschung verbessern, sondern auch ein entscheidender Rohstoff für neue Finanzierungsmodelle sein können.

In vielen Kliniken wird Datenmanagement noch als zusätzliche Belastung verstanden. Wer im Krankenhausalltag für knappe Budgets und fehlendes Personal verantwortlich ist, denkt bei der Einführung neuer IT-Systeme zunächst an Kosten, dabei sind die Potenziale immens. Heute können anonymisierte Daten genutzt werden, um Machine-Learning-Algorithmen zu entwickeln und zu trainieren, die wiederum helfen, Operationssäle effizienter auszulasten, den Einsatz teurer Geräte wie MRT und CT zu optimieren oder den Energieverbrauch zu senken. Gleichzeitig eröffnen sie Chancen für die Forschung: Kliniken könnten Kooperationen eingehen, Studien unterstützen und damit ihre Attraktivität für Ärztinnen und Ärzte erhöhen.

Heilauftrag und Kommerzialisierung

Die Idee klingt verlockend, doch damit rückt auch ein Spannungsfeld in den Blick, das die Debatte prägen wird: Wie verträgt sich der Heilauftrag von Krankenhäusern mit der Kommerzialisierung von Daten? Für viele ist der Gedanke ungewohnt, dass Einrichtungen, die sich dem Wohl von Patientinnen und Patienten verschrieben haben, ihre Informationen verkaufen. Doch die Realität zeigt: Zahlreiche Krankenhäuser arbeiten defizitär und stehen unter massivem wirtschaftlichem Druck. Ohne neue Erlösmodelle ist die Versorgung gefährdet.

Entscheidend ist die Frage, zu welchem Zweck Daten genutzt werden. Wenn sie Forschungseinrichtungen, Pharmaunternehmen oder Public-Health-Organisationen zur Verfügung stehen, entsteht unmittelbarer Nutzen für die Gesellschaft. Problematisch wird es, wenn sie in die Hände von globalen Technologiekonzernen gelangen, die eigene Geschäftsinteressen verfolgen. Deshalb braucht es klare gesetzliche Rahmenbedingungen und eine Aufklärungskultur, die auf die deutsche Sensibilität für Datenschutz und Transparenz zugeschnitten ist.

Internationale Beispiele und die deutsche Erfahrung

Ein Blick ins Ausland zeigt, wie Vertrauen und Governance gelingen können.

In Finnland wurde mit dem Sekundärnutzungsgesetz eine zentrale Struktur geschaffen. Die Behörde Findata prüft Anträge, entscheidet über Zugangsrechte und überwacht die Nutzung. Forscherinnen, Forscher und Unternehmen zahlen Gebühren für die Aufbereitung und Bereitstellung der Daten, nicht aber direkt an einzelne Krankenhäuser. Dieses Modell steht für Rechtsklarheit und Transparenz.

Die UK Biobank wiederum setzt auf Bürgerbeteiligung. Mehr als 500.000 Menschen haben ihre Daten gespendet, darunter genetische Informationen, Klinik- und Hausarztakten. Die Biobank fungiert als unabhängige Institution, die Daten pseudonymisiert und ausschließlich für Forschung zugänglich macht. Die Akzeptanz ist hoch, weil die Ziele klar kommuniziert werden und der Nutzen sichtbar wird. Hunderte von Studien haben bereits konkrete Fortschritte gebracht.

Beide Ansätze könnten Vorbilder sein. Für Deutschland ergibt sich daraus eine wichtige Lehre: Governance nach finnischem Vorbild und Vertrauen nach dem Beispiel der UK Biobank könnten kombiniert werden, um einen eigenen Weg zu entwickeln.
Erste Schritte sind bereits gemacht: Seit drei Jahren entwickelt Deutschland das Forschungsdatenportal Gesundheit (FDPG) im Rahmen der Medizininformatik-Initiative (MII). Das Portal bietet Forschenden eine zentrale Anlaufstelle, um anonymisierte Routinedaten und Bioproben der Universitätskliniken zu beantragen, Machbarkeitsanfragen durchzuführen, standardisierte Antragsverfahren zu nutzen und Daten sicher für medizinische Forschungsprojekte einzusetzen.

Die Perspektive von Dr. Erion Dasho

Dr. Erion Dasho, Arzt und Clinical Advisor bei InterSystems, fordert in Sachen Datennutzung ein Umdenken, da weltweit großes Vertrauen in die hohe Qualität der im deutschen Gesundheitssystem generierten Daten gesetzt wird. „Die deutschen Kliniken besitzen Daten, die weltweit von großem Interesse wären. Bisher waren ihre Hände gebunden, weil der regulatorische Rahmen vor allem auf Verhinderung statt auf Nutzung ausgelegt war“, erklärt er.

„Mit der europäischen Gesundheitsdatenverordnung (EHDS) vollzieht sich ein echter Paradigmenwechsel. Erstmals wird der Datenaustausch auf europäischer Ebene verpflichtend, gesteuert allein durch die Einwilligung der Bürgerinnen und Bürger. Damit entsteht ein völlig neues Modell: ein von den Bürgern kontrollierter Datenaustausch, sowohl für die Versorgung als auch für sekundäre Nutzungszwecke.“ Der Arzt verweist darauf, dass anonymisierte und pseudonymisierte Informationen für Forschung, Versorgungsplanung und Prävention von unschätzbarem Wert sind und plädiert dafür, Krankenhäusern den Weg in eine monetäre Nutzung der Daten zu öffnen.

Chancen für Forschung und Prävention

Die Nutzung von Daten eröffnet neue Horizonte, so Dasho. So liegen personalisierten Therapien Big Data zugrunde. Doch nur, wenn ausreichend große Datenmengen analysiert werden, lassen sich Muster für seltene Erkrankungen erkennen oder Behandlungswege individuell anpassen. Auch Prävention wird dadurch möglich. Der Schritt von einer reaktiven zu einer proaktiven Medizin kann nur gelingen, wenn Informationen systematisch zusammengeführt werden.

Für Krankenhäuser bedeutet das mehr als bessere Versorgung. Sie können ihre Rolle in klinischen Studien stärken, Kooperationen mit der Industrie ausbauen und ihre Attraktivität im Wettbewerb um Fachkräfte erhöhen. Gleichzeitig erschließen sie sich eine Einnahmequelle, die dringend gebraucht wird.

Was jetzt nötig ist

Noch ist in Deutschland unklar, ob Krankenhäuser ihre Daten auch kommerziell nutzen dürfen. Beim Umgang mit solch sensiblen Daten gilt nach rechtlicher und regulatorischer Logik häufig: Was nicht ausdrücklich erlaubt ist, ist verboten. Deshalb braucht es eine eindeutige gesetzliche Grundlage. Zugleich muss gewährleistet sein, dass Patientinnen und Patienten die Kontrolle über ihre Daten behalten.

Ein mögliches Modell sollte sich am EHDS-Konzept der Health Data Access Bodies orientieren: Krankenhäuser bieten ihre Daten nicht frei am Markt an, sondern über eine unabhängige Stelle, die Anonymisierung beziehungsweise Pseudonymisierung sicherstellt, Zugänge regelt und die Zweckbindung kontrolliert. Einnahmen könnten dann an die Einrichtungen zurückfließen. So würde aus der Goldmine kein Risiko für das Vertrauen, sondern eine Ressource für bessere Versorgung.

Fazit

Deutsche Krankenhäuser stehen unter hohem Druck. Gleichzeitig verfügen sie über eine Ressource, die bislang kaum genutzt wird. Internationale Beispiele und der künftige, durch die EHDS vorgegebene Ansatz zeigen, dass sich Vertrauen und Governance erfolgreich organisieren lassen. Wenn Deutschland einen eigenen Weg findet, der Rechtsklarheit und Patientensouveränität mit ökonomischer Tragfähigkeit verbindet, könnte aus der ungenutzten Goldmine ein Instrument werden, das Versorgung verbessert, Forschung stärkt und Krankenhäuser finanziell entlastet.

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