
Wer sich für eine Oberarzt- oder Chefarzt-Position interessiert, braucht mehr als rein medizinisches Fachwissen. Aber welche Fähigkeiten sind wichtig und wie kann man sie lernen? Im Interview erklärt Diplom-Psychologin Petra Schubert, wie Sie sich auf eine Führungsposition vorbereiten können – und warum manche auch glücklicher sind, wenn sie auf diesen Karriereschritt verzichten.
Frau Schubert, wer schon einige Zeit als Facharzt oder -ärztin gearbeitet hat, möchte oft einen Schritt weitergehen und sich für eine Oberarzt-Position bewerben. Bereitet das Studium oder der Klinikalltag überhaupt auf die nächste Karrierestufe vor?
Petra Schubert: Nein, leider gar nicht – zumindest nicht regulär. Manche Kliniken bieten Schulungen als Unterstützung an, aber darauf verlassen kann man sich nicht. Viele Krankenhäuser haben ihre Oberärzte nicht so im Fokus – gefördert werden dann meistens erst die Leitenden Oberärzte und die Chefärzte. Aber im Studium oder in der Facharzt-Weiterbildung können Sie leider nicht damit rechnen, dass Sie auch als künftige Führungskraft ausgebildet werden. Es hängt ganz stark von den einzelnen Häusern ab, ob man entsprechend gefördert wird.
Was sollte man tun, wenn man Lust auf eine Führungsposition hat, aber vom Arbeitgeber nicht gefördert wird?
Petra Schubert: Wer bei seiner Entwicklung nicht von seinem Arbeitgeber unterstützt wird, muss sich selbst darum kümmern. Dazu rate ich in so einem Fall auch dringend. Gerade bei Medizinern sehe ich die Problematik, dass der Schwerpunkt der Ausbildung ganz klar auf der fachlichen Expertise liegt. Das kann je nach Fachgebiet sehr detailliert sein. Und da ist es natürlich schwierig, sich gleichzeitig auch die Qualifikationen anzueignen, die für eine spätere Führungsrolle wichtig sind. Im Grunde werden Ärztinnen und Ärzte zu Experten ausgebildet. Das ist aber ein ganz anderes Laufbahnkonzept.
Was ist der Unterschied zwischen der Experten-Laufbahn und der Karriere mit Führungsverantwortung?
Petra Schubert: Bei der Experten-Laufbahn geht es ganz klar darum, eine hochspezialisierte Expertise in einem oder maximal zwei Bereichen zu haben, in denen man ein Alleinstellungsmerkmal in seinem Unternehmen entwickelt. Für die Patienten ist es natürlich gut, dass die medizinische Ausbildung so stark auf das Fachwissen ausgerichtet ist. Allerdings sind das völlig andere Qualifikationen, als man sie für Führungsaufgaben braucht. Da sind eher Organisation und Steuerung von Abläufen und Prozessen wichtig und die Frage, wie ich die Zusammenarbeit in meiner Abteilung fördern kann. Das ist eine völlig andere Perspektive. Für diese beiden Laufbahnkonzepte sind daher auch unterschiedliche Persönlichkeiten geeignet. Der beste Arzt ist ja nicht unbedingt auch der beste Oberarzt, wenn man an Führungsqualitäten denkt.
Was sollte man mitbringen, um eine gute Führungskraft zu sein?
Petra Schubert: Grundsätzlich ist ein Interesse an Menschen ganz wichtig. Das ist in diesem Fall nicht im medizinischen Sinne gemeint: Mit Blick auf Führungskräfte geht es eher darum, Menschen zu einer guten Zusammenarbeit zu bewegen. Das Thema Integrität ist wesentlich: Wenn Sie als Führungskraft in eine schwierige Situation kommen, sollten Sie nicht einfach umkippen und sich den anderen anschließen, um Konflikte zu vermeiden, sondern klar zu Ihrer Meinung stehen. Das führt zu der Konfliktfähigkeit, die nötig ist, um mit den oft im Alltag auftretenden Konflikten umzugehen. Ein hohes Engagement ist notwendig, aber das haben die meisten Ärzte eigentlich sowieso. Ein hohes Verantwortungsbewusstsein ist wichtig: Sie sollten sich darüber bewusst sein, welche Verantwortung Führungskräfte in ihrer Rolle haben. Dazu gehört auch Selbstreflektion: Ihnen sollte klar sein, welche Konsequenzen Ihr Handeln hat – zum Beispiel für die anderen Mitarbeiter.
Wie kann man sich denn Führungsqualifikationen selbst aneignen, wenn man sie noch nicht hat?
Petra Schubert: Es ist sicher sinnvoll, immer zu gucken, wo man mit anderen Menschen zusammen arbeiten kann. Dabei kann man auch Erfahrungen sammeln, wie man andere steuern und organisieren kann. Das kann auch in einem Verein oder Projekt sein und muss nicht unbedingt in der Klinik passieren. Und man sollte auch Schulungen besuchen, in der man in die Führungsrolle reinschnuppern kann – auch um herauszufinden, ob einem das überhaupt liegt. Dinge wie Konfliktmanagement, Kommunikation, Steuerung oder Delegation lassen sich zum Beispiel gut in Workshops lernen. Anderes lässt sich nicht so leicht lernen: Verantwortungsbewusstsein oder Integrität haben eher mit der Persönlichkeit zu tun. Und es hilft auch, sich die eigene Führungskraft genau anzuschauen: Was finde ich an dieser Person gut und was würde ich selber anders machen? Das kann man dann als Basis zur Selbstreflektion nutzen und überlegen: Wo habe ich meine Stärken? Was fällt mir leicht? Wo habe ich Entwicklungsfelder hinsichtlich der Zusammenarbeit mit und Steuerung von Menschen?
Welche Rolle haben Führungskräfte genau?
Petra Schubert: Führungskräfte sind im Grunde der verlängerte Arm der Geschäftsführung. Ihre Aufgabe ist es, ihre Abteilung so zu führen, dass der Laden läuft – und damit ist sowohl die einzelne Abteilung als auch die gesamte Klinik gemeint. Aber dieses Rollenverständnis ist nicht allen klar – und es beißt sich speziell bei Medizinern mit dem Expertisen-Denken: Denn die Experten sind natürlich sehr fokussiert auf ihre jeweiligen Themen und sehen dabei weniger das große Ganze.
Kann man sich die Führungsqualitäten aneignen, während man z.B. in der Facharzt-Weiterbildung eigentlich zum Experten ausgebildet wird? Ist das nicht zu viel?
Petra Schubert: Parallel ist das natürlich sehr aufwendig. Man muss deshalb schauen, wo die eigene Motivation liegt: Sehe ich mich eher als Experten oder als Führungskraft? Manche Menschen sind von Natur aus eher Experten, weil sie Interesse daran haben, sich in die Tiefe mit einem Thema zu beschäftigen und inhaltlich weiterzuentwickeln. Und andere Menschen haben großes Interesse an Steuerung, an Strukturen und der Förderung von Kollegen. Bei Leitenden Oberärzten und Chefärzten sehe ich oft, dass die Anforderung, beides gleichzeitig auf hohem Niveau zu leisten, eigentlich zu groß ist. Denn als Chefarzt hat man im Grunde drei Rollen: Man ist ja immer noch Experte, weil man zum Beispiel Privatpatienten behandelt. Dann hat man eine Management-Funktion, wozu beispielsweise Marketing oder Zuweiser-Management gehören. Und man hat die Führungsrolle. Das ist extrem anspruchsvoll.
Ist Führung grundsätzlich etwas für jeden? Oder sind manche als Experten einfach glücklicher?
Petra Schubert: Es gibt viele, die als Experten glücklicher sind. In Deutschland gibt es da nur das Problem, dass man als etwas Besseres gilt, wenn man eine höhere Position hat. Wer als Experte eigentlich zufrieden ist, für den ist die Karriereleiter bei der Facharzt-Stelle zu Ende – höhere Positionen gibt es nur, wenn man auch Führungsaufgaben übernimmt. Eigentlich sollten hochqualifizierte Experten in ihrer Position den Führungskräften gleichgestellt sein. Im heutigen System ist es leider so, dass man an einer Ober- oder Chefarztstelle nicht vorbeikommt, wenn man Karriere machen will. Hier ist das System ungerecht. Es sollte auch hochbezahlte Experten geben – genau wie es auch hochbezahlte Führungskräfte gibt. Aber so weit sind wir noch nicht.
Was macht für Sie eine gute Führungskraft aus?
Petra Schubert: Gute Führungskräfte sind schnell in der Analyse von Situationen und wissen, wo sie von dort aus hinwollen – sie haben eine klare Ergebnisorientierung. Transparenz den Mitarbeitern gegenüber ist wichtig. Und die Führungskräfte sollten zu ihren Entscheidungen stehen. Natürlich sollte man sich auch andere Meinungen anhören und zugeben können, wenn man sich geirrt hat. Aber grundsätzlich geben die Führungskräfte den Weg vor und sollten das auch selbstbewusst tun. Sie sollten auch motiviert sein, Konflikte und Unstimmigkeiten unter den Mitarbeitern zu klären. Und Führungskräfte sollten lösungsorientiert und pragmatisch sein und Lust darauf haben, Probleme anzupacken.
Was sind No-Gos für Führungskräfte?
Petra Schubert: Schwierige Führungskräfte sind für mich diejenigen, die gern das Prestige und das gute Gehalt mitnehmen, aber versuchen, die Verantwortung auf andere abzuwälzen: Die für sich möglichst die großen Vorteile herausziehen wollen – notfalls auch auf Kosten der Mitarbeiter. Seine eigenen Mitarbeiter zu hintergehen, ist auf jeden Fall ein No-Go: beispielsweise, dem eigenen Team in einer Konfliktsituation in den Rücken zu fallen.
Was raten Sie frischgebackenen Führungskräften für die ersten Tage und Wochen als Oberarzt oder Oberärztin? Wie wächst man am besten in die Rolle hinein?
Petra Schubert: Als allererstes sollte man die Erwartungen klären – am wichtigsten sind da die Erwartungen der Vorgesetzten. Was sind die Erwartungen an mich und an meine Rolle als Oberarzt oder Oberärztin? Welche Aufgaben sehen meine Vorgesetzten bei mir? Im nächsten Schritt ist es wichtig, mit den Kollegen und Mitarbeitern zu klären, wie die aktuelle Situation wahrgenommen wird. Was klappt gut? Was klappt weniger gut? Dann weiß ich, was von mir erwartet wird und wo die anderen jeweils stehen – und wo es eventuell Probleme gibt. Das sind dann die Punkte, an denen ich auch selbst genauer hinschauen sollte. Eine besondere Situation ist es, wenn man in dem Haus, in dem man auch angefangen hat, in eine Führungsposition aufsteigt. Dann sollte man sich klarmachen, dass man nicht mehr Teil des Teams ist, sondern jetzt eine andere Rolle hat.
Ist es grundsätzlich besser, für die erste Führungsposition in ein anderes Haus zu wechseln?
Petra Schubert: Die Vor- und Nachteile halten sich ungefähr die Waage. Um die neue Rolle auszufüllen, ist es sicher einfacher, in einem neuen Haus als Oberarzt oder Oberärztin einzusteigen. Aber wer in einer Klinik bleibt, hat natürlich gute Kontakte, ist im Haus gut vernetzt und weiß, wie die Abläufe funktionieren. Beides hat seine Vorteile – und seine Herausforderungen.
Die Expertin:
Petra Schubert ist Diplom-Psychologin und seit 2010 Geschäftsführerin der Schubert Management Consultants GmbH & Co. KG, Köln. Einer ihrer Schwerpunkte ist die strategische Personalentwicklung für die Gesundheitswirtschaft.