Einfach hygienischer: Kühlende Kleidung für den OP

8 Juli, 2024 - 06:46
Michael Fehrenschild
Schwitzende Ärztin im OP

Vor allem die Chirurgenzunft kennt das Problem: Im Operationsaal wird es oft zu heiß und man kommt ins Schwitzen. Zurzeit wird daher im Projekt „OP-Kühlkleidung“ intensiv an neuartiger „Garderobe“ geforscht. Mit dabei ist die Anästhesistin Dr. Jennifer Herzog-Niescery, die über den Stand der Arbeit und das federführende InnoTecOP-Netzwerk informiert.

Frau Herzog-Niescery, leiden Ärztinnen und Ärzte oft unter den Temperaturen im OP?

Dr. Jennifer Herzog-Niescery: Ja. Schwierig ist es vor allem für die Operateure, die ganz nah am Patienten stehen. Je nachdem was sie tun, befinden sie sich zehn Stunden am Tisch, vielleicht noch mit einer bis zu zehn Kilogramm schweren Bleischürze auf den Schultern. Und da wird es dann langsam mollig: Die Patientinnen und Patienten werden gewärmt, was sie dann auch abstrahlen, Hitze kommt ebenfalls von den OP-Lampen. Das Team arbeitet meistens Schulter an Schulter, das heizt noch zusätzlich auf. Wenn es dann emotional aufregend, stressig oder körperlich anstrengend wird, etwa weil Haken gehalten werden müssen oder das Wundgebiet aufgehalten wird, sind das genug Faktoren, um richtig ins Schwitzen zu kommen. Noch wärmer wird es, wenn man mit sehr kleinen Kindern arbeitet oder Verbrennungsopfer behandelt. Da ist die Raumtemperatur höher. 

17.03.2025, Praxis Kreuzbleiche
St. Gallen
28.02.2025, Region Hannover
Hannover

Wie soll die neue Kleidung praktisch und technisch funktionieren?

Dr. Jennifer Herzog-Niescery: Das Prinzip basiert auf einem Unterdrucksystem mit Luftzirkulation. Die Kleidung besteht aus einem mehrlagigen Textil und ist ein besonderes Gewirk. Bei diesem müssen Sie erst einmal sicherstellen, dass es nicht in sich zusammenfällt. Es muss daher einerseits dem Unterdruck und zudem Belastungen von außen standhalten, etwa wenn der Operateur eine Bleischürze anhat. Die hängt an den Schultern und da muss dieses Gewebe ja trotzdem stabil bleiben. Dazu braucht es eine Außenhaut, die so luftundurchlässig ist, dass man überhaupt Unterdruck anlegen kann. Es gibt in jedem OP normierte Steckerverbindungen für einen Vakuumabsauger. Da kann man einen Schlauch anstecken und damit den Unterdruck auslösen. Zudem benötigt man spezielle Bündchen und zwar an allen Stellen, an denen Körperteile herausragen, also an den Händen oder am Hals. Auch ist geplant, dass der Operateur den Druck situativ individuell über eine spezielle Steuereinheit selbst einstellen kann. Nicht alle haben ja die gleiche „Wohlfühltemperatur“. Das Produkt sollte wie Unterwäsche unter der üblichen, grünen OP-Kleidung getragen werden. Die Kolleginnen und Kollegen sind also wärmer angezogen und trotzdem ist ihnen kühler.

Was sind die Herausforderungen des Projekts?

Dr. Jennifer Herzog-Niescery: Es ist technisch sehr anspruchsvoll. Wir wollen keine Einwegprodukte, unser Ziel ist, dass man die Kleidung wiederverwenden kann. Sie muss daher waschbar sein und formbeständig bleiben, auch wenn man sie 40-mal reinigt. Und das ist ja nicht die 30-Grad-Handwäsche, die man von zu Hause kennt. Das ist sicherlich herausfordernd. Es ist technisch zudem auch nicht ganz einfach, die Körperdurchtrittsstellen, also Kopf, Hände und Füße abzudichten. Dagegen ist es nicht so schwierig, ein Gewebe zu finden, das dem Unterdruck standhält. Da sind wir schon ganz weit. Die Frage ist eher, wie man es wirklich dicht bekommt, ohne dass es die Operierenden einschränkt. Wenn die sich irgendwie beeinträchtigt fühlen, tragen sie das nicht. Das ist die größte Herausforderung: dass die neue Kleidung in der Praxis akzeptiert wird.

Wie ist der Stand des Projekts?

Dr. Jennifer Herzog-Niescery: Wir sind gerade dabei, die äußere Gewebeschicht zu definieren. Da laufen momentan noch Dichtigkeitstests mit einigen Geweben. Und wir designen momentan das Oberteil, aber noch nicht die Hose. Geplant sind unterschiedliche Hemden in verschiedenen Konfektionsgrößen. Im Moment entwickeln wir das Jackenoberteil als Prototyp in zwei Größen. Die messtechnische Regeleinheit wird als Einzelteil gerade erstellt, sodass der Träger dieser Unterwäsche hinterher sagen kann 'okay ein bisschen mehr oder ein bisschen weniger Unterdruck'. Und das Sächsische Textilforschungsinstitut befasst sich derzeit mit den Bündchen. Wir sind also schon recht weit, es gibt aber noch einiges zu tun.

Welche Vorteile sehen Sie in kühlender OP-Kleidung?

Dr. Jennifer Herzog-Niescery: Das ist vor allem eine Komfort-Frage für die sterilen OP-Mitarbeitenden. Wer bewegt sich schon gerne zehn Stunden in seinem eigenen Schweiß? Es ist natürlich auch für die Patientinnen und Patienten vorteilhaft, wenn die Operateure gar nicht erst schwitzen. Denn momentan kommt es durchaus vor, dass Operateure dies so stark tun, dass es tropft. Wenn der Schweiß ins Wundgebiet gelangt, ist das sicher nicht hygienisch.

Soll das weltweit benutzt werden?

Dr. Jennifer Herzog-Niescery: Es gibt etwa 7.600 OP-Säle allein in Deutschland. Wir planen schon für das ganze Land und denken auch an Österreich, die Schweiz, ganz Europa und dann... mal sehen.

Was ist Ihre Funktion dabei?

Dr. Jennifer Herzog-Niescery: Sie müssen sich das Team als ein Sammelsurium von Menschen vorstellen. Dieses Projekt machen wir unter anderem federführend zusammen mit der Technischen Hochschule Mittelhessen und dem Sächsischen Textilforschungsinstitut. Diese Kolleginnen und Kollegen haben eine Vorstellung von der zu Grunde liegenden Technik und entwickeln das Gewirk, lösen also zum Beispiel die Frage, welche Gewebeschichten sich kombinieren lassen. Aber dort arbeiten keine Medizinerinnen und Mediziner, die kennen den OP-Alltag gar nicht. Meine Aufgabe ist es, deren technische Ideen mit der Praxis zu verknüpfen. Da muss ich schauen: Was ist ein relevantes Problem? Oder ist es nur für mich eins oder auch für andere? Die Lösungen oder die Ideen, die dann angeboten werden, können ja noch so schön sein, aber wenn sie in der Praxis nicht taugen, helfen sie nicht. Dabei bin ich völlig unabhängig von irgendwelchen Interessen, mir gehören die Patente nicht, ich verdiene da nichts dran. Deswegen kann ich leicht sagen 'das ist gut' oder eben auch nicht. Da bin ich frei.

Wie kamen Sie zu dem Projekt?

Dr. Jennifer Herzog-Niescery: Ich habe neben meiner Arbeit in der Klinik und der Lehre immer auch geforscht. 2011 begann ich, mich mit der Raumluftbelastung durch Narkosegase in OP-Räumen zu befassen. Dadurch ergaben sich Kontakte zur Technischen Hochschule Mittelhessen. Einige Jahre später überlegten wir, wie ein Netzwerk zusammenkommen könnte. Wir wollten innovative Projekte entwickeln und umsetzen, um die Lage im OP-Saal voranzubringen. Daraus entstand das InnoTecOP-Netzwerk. Darin kooperieren 16 Unternehmen und vier Hochschulen. Ich war vor der Kühlkleidung an zwei anderen Projekten beteiligt. Zuerst an einer Arbeit zu Glasfaserlicht, in der wir untersucht haben, wie man tiefe höhlenförmige Wunden am besten ausleuchten kann. Im zweiten Projekt ging es um die Minimierung von chirurgischem Rauch, der bei der Arbeit mit elektrochirurgischen Geräten entsteht. Dagegen haben wir spezielle Absaugeinrichtungen entwickelt.  

Haben Sie als Anästhesistin denn auch Probleme mit den Temperaturen in OP-Sälen?

Dr. Jennifer Herzog-Niescery: Mir ist oft eher zu kalt. Der Standard im OP liegt bei 19 Grad. Als Anästhesistin sitze ich ziemlich viel herum und dann ist es halt nicht so warm. Aber ich kann ja sagen 'okay, dann ziehe ich mir halt noch einen Kittel drüber' oder mache drei Kniebeugen. Da sind wir sicherlich in einer besseren Situation als die Operateure. Chirurginnen und Chirurgen werden tendenziell immer sagen 'mir ist zu warm'.
   
Worauf können sich die Kolleginnen und Kollegen in Zukunft freuen?

Dr. Jennifer Herzog-Niescery: Ich laufe zurzeit durch die Gegend und frage 'Na wie war die OP? Hast du geschwitzt? Wie viel und an welcher Stelle? Hättest du es dir anders gewünscht?' Bald können sich die Kolleginnen und Kollegen darauf freuen, dass ich mit einem Kleidungsstück komme und sage: 'das kannst du unterziehen und dann gucken wir mal ob es immer noch genauso schlimm ist...'

Die Expertin:

Dr. Jennifer Herzog-Niescery

Dr. Jennifer Herzog-Niescery ist Anästhesistin und arbeitet im St. Josef Hospital Klinikum der Ruhr-Universität Bochum sowie als Privatdozentin.

Bild: © RUB, Marquard

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