Ob bei „Galileo“ oder in der SWR-Reihe „Mensch Leute": Seit einigen Monaten ist Professor Thomas Kapapa öfter im Fernsehen zu sehen, der Neurochirurg im Rollstuhl. Wir werfen einen Blick auf ihn und seine Arbeit. Ein Porträt.
Manche Patienten sind verwundert, wenn sie ihn das erste Mal in der Ambulanz des Universitätsklinikums Ulm sehen. „Es gibt schon den einen oder anderen, der dann fragt: ‚Ja, operieren sie auch?‘“, erzählt Prof. Thomas Kapapa. Seit seiner Kindheit hat der Neurochirurg eine Gehbehinderung. Er ist nicht gelähmt, aber seinen Beinen fehlt die Kraft. Trotzdem gibt es in seinem Fach keinen Eingriff, den er nicht ausführen kann. „Ich habe ein breites chirurgisches Interesse“, erklärt er. Das reicht vom „Tagesgeschäft“, wie Bandscheibenvorfällen, bis zum komplizierten Aneurysma. Hierbei hilft ihm ein spezieller elektrischer Rollstuhl. In diesem kann er hochgefahren werden, um angeschnallt und quasi im Stehen Sicht auf das ganze OP-Feld zu haben.
Teamwork etwas anders
Die Zusammenarbeit für sein Team am Tisch gestaltet sich „nur ein bisschen anders“, wie er sagt. Das fängt beim Einkleiden an, denn auch der OP-Rollstuhl muss steril verpackt werden. Während des Eingriffs müssen die Kollegen zudem etwas auf ihn eingehen. „Ich kann zum Beispiel nicht mal eben einen Schritt zur Seite tun. Dafür bin ich auf meine OP-Schwester angewiesen oder auf meinen Assistenten, wenn ich das Mikroskop bewege“, erläutert er. Schiefgehen wegen seiner Behinderung kann eigentlich nichts: „Ich hatte bis jetzt keine Probleme. Nur einmal war der Akku des Rollstuhls leer und musste kurz wieder ans Ladegerät. Toitoitoi“, berichtet er und klopft auf Holz.
Sein Spezialgebiet sind die komplizierten Fälle: „Ich schätze es, immer wieder an meine Grenzen zu kommen. Wenn ich über Stunden und Tage eine Lösung für einen schwierigen Befund entwickle und während der OP dann sehe: ,Okay, der Plan geht auf. Das funktioniert hier.‘ Kein Wunder, dass er dabei einige Erfahrungen macht, die ihm seelisch nahegehen. „Was mir sehr in Erinnerung geblieben ist, war ein kleiner Junge. Zweieinhalb Jahre alt mit einer schweren Kopfverletzung. Seine Mutter hatte ihn mit dem Wohnwagen angefahren. Da stand ich unter extrem hohem medizinischen Erfolgsdruck. Auch weil ich wusste, dass das Ergebnis dieser Operation die ganze traumatisierte Familie betrifft.“ Es ist gut ausgegangen. „Der Junge ist zwar pflegebedürftig, macht aber eine ganz gute Entwicklung und die Familie hält zusammen. Das ist sehr schön zu sehen“, so der Mediziner.
Mehr Nähe zu manchen Patienten
Was das Arzt-Patientengespräch betrifft, schafft sein Handicap sogar manchmal Vorteile: „Ich habe schon das Gefühl, dass meine Behinderung für Vertrauen sorgt“, meint er und führt aus: „Wenn ich im Aufklärungsgespräch informiere, dass Operationen mit dem Risiko von Komplikationen einhergehen und sage: ‚Sie können trotzdem ganz gut im Leben zurechtzukommen‘, dann wirkt das bei mir wohl recht authentisch.“ Das gilt insbesondere nach Querschnitts-Verletzungen: „Viele Betroffene haben dann das Gefühl, ihr Leben ist zu Ende. Wenn sie mich sehen, kann es ihnen durchaus Mut machen, erstmal den nächsten Schritt zu wagen.“
Mittlerweile ist er seit 16 Jahren in Ulm. Ein weiter Weg. Denn geboren wurde Kapapa in Sambia. Bereits als Kind flüchtete er mit seinen Eltern nach Deutschland. Die beiden, eine Krankenschwester und ein Psychiater, stammen aus Malawi. Sie kamen in den 1950er Jahren zur Ausbildung nach Deutschland, wo sie sich kennenlernten. Später kehrten sie als politische Flüchtlinge hierher zurück. Seine Erkrankung bestand schon früh, etliche Male wurde er operiert. Die genaue Ursache ist aber unbekannt. „Das kriegt man jetzt auch nicht mehr raus, die Akten sind unauffindbar. Das ist für mich aber auch nicht mehr relevant. Es würde ja nichts ändern. Ich bin so wie ich bin und zufrieden mit mir“, betont er.
Hilfe für Afrika: das Malawi-Projekt
2018 rief er das Malawi-Projekt ins Leben, um vor Ort Ärzte, Pflegende und Physiotherapeuten auszubilden. „Noch vor kurzem gab es dort einen Neurochirurgen für 19 Millionen Einwohner, inzwischen sind es drei“, informiert er und beschreibt die Situation: „Über die Hälfte der Bevölkerung ist unter 25 Jahre. Die Gesellschaft ist daher viel mobiler, wodurch es zu vielen Verletzungen kommt. Schädel-Hirn- und Wirbelsäulentraumen sind die großen Themen. Da es so viele Kinder gibt, sind auch Erkrankungen wie Hydrocephalus und Meningitis häufig. Dazu kommt die schlechte Transportlogistik.“
Dafür schildert Kapapa ein einfaches Beispiel: Ein zwölfjähriges Mädchen fällt aus zwei Metern Höhe aus einem Baumhaus. Zunächst wird es nach Hause gebracht. Dort stellt die Familie fest, dass etwas nicht stimmt. Weil keine Transportmittel da sind und es inzwischen vielleicht auch dunkel ist, muss das schwerverletzte Kind irgendwie am nächsten oder gar übernächsten Tag in eine Stadt gebracht werden, wo es einen Arzt gibt. Von dort aus vergehen dann wieder mehrere Stunden oder Tage, bis diese junge Patientin in die einzige Neurochirurgie des südostafrikanischen Landes gebracht wird, in den Süden nach Blantyre. In Deutschland operiert man im Bestfall eine Querschnittslähmung innerhalb von sechs Stunden.
Durch Corona ruht das Projekt momentan etwas, insbesondere die praktische Lehre am Patienten. Denn das südostafrikanische Land ist nicht nur Hochrisiko-, sondern auch Virusvarianten-Gebiet, aber: „Wir erstellen derzeit Guidelines und Standardprozeduren, also alles was man am Schreibtisch machen kann. Zudem treffen wir uns regelmäßig alle zwei Wochen online in kleinen Arbeitsgruppen.“ Wenn reisen wieder möglich ist, werden sie vieles vor Ort nachholen müssen.
Erholung auf der Dachterrasse
Doch damit der Aktivitäten nicht genug. Seit Dezember 2020 hat Kapapa auch den Master in Gesundheitsmanagement und Wirtschaftswissenschaften in der Tasche. „Ich wurde mit Aufgaben vertraut, die verstärkt Kommunikation mit der Verwaltungsseite benötigen. Und da wollte ich mehr verstehen“, begründet er. Von all dem erholt er sich auf seiner großen Dachterrasse, die er in einen tropischen Garten umwandeln möchte. „Und ich schraube an meinen Oldtimern, die auch immer wieder eine neue Aufgabe für mich haben. Zudem schaue ich mir sehr gern die Welt an. Das lädt mich immer wieder mit Energie auf.“
Trotz aller Karriereschritte – er ist mittlerweile leitender Oberarzt – kann er sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorstellen, aus der direkten Patientenversorgung auszusteigen: „Ich möchte meine Abteilung weiterentwickeln, damit wir ein größeres Spektrum bekommen, mehr Leute ausbilden und wissenschaftlich vorankommen. Wir sehen seit Jahrzehnten Probleme, für die wir einfach noch keine richtige Lösung haben. Das gilt auch für meine Spezialgebiete wie die Subarachnoidalblutung und die Schlaganfallforschung. Ansonsten bin ich momentan sehr glücklich mit meinem Chef und meinen Kollegen.“