Neid unter Ärzten: Wie Sie das ungeliebte Gefühl für die eigene Karriere nutzen können

14 Oktober, 2021 - 08:23
Gerti Keller
Ärztin blickt skeptisch auf ihren Kollegen
Warum der und nicht ich? Neid kann die Stimmung im Team vergiften.

Er sticht, er gärt, er kränkt: der Neid. Doch die unsympathische Emotion kann durchaus zur echten Triebfeder umgewandelt werden. Neid-Forscherin Prof. Katja Corcoran von der Uni Graz erklärt, wie es geht – und was es mit Missgunst & Co. auf sich hat.

Wer hat die größte Schippe im Sandkasten? Mit solchen Begehrlichkeiten geht es los – und später im Beruf weiter. Da ist es immer der Kollege, der die Lorbeeren für eine komplizierte OP erntet, obwohl man sie gemeinsam durchgeführt hat. Und die gerade eingestellte Neue hat schon den besseren Draht zum Chefarzt. Egal, was das Objekt der Begierde ist: Neid holt Kindheitsgefühle hervor, man fühlt sich ungerecht behandelt oder ausgegrenzt. Das sägt an Freundschaften zu Kollegen, kann die Stimmung in Teams vergiften und ganze Abteilungen spalten.

Warum der und nicht ich?

Doch warum erleben wir dieses Gefühl überhaupt, das so zerstörerisch sein kann? Tatsächlich gibt es einen evolutionspsychologischen Sinn: „Neid ist immer eine Reaktion auf einen Vergleich mit einem anderen Menschen, der etwas hat, was man selber auch gerne hätte“, sagt Prof. Dr. Katja Corcoran. „Schon die Frühmenschen lebten in sozialen Gruppen. In diesen spielt der Rang eine wichtige Rolle. Der dient uns zugleich als Orientierungsquelle, wo stehen wir, wo die anderen? Und das Bewusstsein der Diskrepanz löst einen Schmerz aus“, erläutert die Sozialpsychologin von der Uni Graz. Dabei messen wir uns in der Regel nur an Menschen, die uns relativ ähnlich und deren Erfolge zumindest theoretisch erreichbar sind. Der Kollege, der gerade befördert wurde, bietet dafür eine gute Projektionsfläche, die erfolgreiche Freundin, die in einer ganz anderen Branche arbeitet, weniger. Schon Aristoteles schrieb „Der Töpfer grollt dem Töpfer", nicht dem Sänger.

Den eigenen Ehrgeiz anstacheln

Neid ist also zutiefst menschlich. Aber man kann den Stimmungskiller für sich nutzen, auch, wenn es nicht leichtfällt. „Neid macht mir einen Mangel bewusst. Im Jobkontext verrät mir das etwas über mich und meine momentane berufliche Situation. Das kann Anstoß sein, darüber nachzudenken, wo ich selbst eigentlich hinmöchte und mich dazu anregen, ebenfalls auf ein Ziel hinzuarbeiten“, so Corcoran. Außerdem zeigt der Erfolg eines anderen eventuell auch auf, wie der konkrete Weg nach oben aussehen könnte. Daher sollte man das Gefühl nicht einfach unterdrücken, sondern sich Zeit für eine gezielte Analyse im Sinn eines Realitätschecks nehmen. Hierbei kann folgende Frageliste helfen:

  • Um was beneide ich meinen Kollegen ganz konkret?
  • Was hat er/sie dafür geleistet? Bin ich wirklich bereit, das gleiche dafür zu tun?
  • Oder habe ich ebenfalls gute Arbeit erbracht, mich aber nur schlechter verkauft? Wie könnte ich das optimieren?
  • Strebe ich überhaupt das Gleiche an oder liegt mir etwas anderes mehr? Was passt zu meinen Fähigkeiten? Gibt es vielleicht alte, verdrängte Wünsche?
  • Was kann ich tun, um meine neu gesteckten Ziele zu verfolgen?
  • Besitzt das derzeit Aussicht auf Erfolg?

Eine gute Idee ist es auch, mit dem beneideten Kollegen vielleicht mal einen Kaffee zu trinken und in ihm oder ihr keinen Feind, sondern einen Ratgeber zu sehen. Darüber hinaus muss man aufpassen, dass der Neid nicht den Blick aufs große Ganze überlagert. Hierzu gibt Corcoran ein Beispiel aus ihrem Umfeld: „Ich erlebe ‚meine‘ Welt der Wissenschaft als hoch kompetitiv. Vergleiche sind allgegenwärtig und Leistung wird oft auf wenige Kennzahlen reduziert. Wenn die Anzahl der Publikationen im Vordergrund stehen, reicht oft ein kurzer Blick in den Lebenslauf oder auf die Publikationsliste, um Neid auszulösen. Dabei ist unser Leben viel komplexer, aber dieser Vergleich rückt nur den einen Aspekt in den Vordergrund, was unter Umständen auch eine Gefahr ist. Denn dann sehe ich vielleicht alles andere nicht mehr, wie die Kompetenzen in denen ich besser dastehe und die mir vielleicht wichtiger sind.“

Neid – zwei Seiten einer Medaille

Generell werden in der Forschung zwei Neid-Formen unterschieden. Corcoran: „Beim Neid geht es immer darum, die Diskrepanz zu verringern. Der gutartige Neid schmerzt zwar auch, motiviert mich aber dazu, zu dem Beneideten aufzuschließen. Bei der bösartigen, destruktiven und latent aggressiven Variante möchte ich den anderen zu mir runterziehen, ihm etwas wegnehmen oder ihm vielleicht sogar schaden.“ Die „lachende Schwester" des Neids ist denn auch die Schadenfreude. In der Arbeitswelt äußert sich dies einer breiten Palette, von schnippischen, abwertenden Bewertungen bis hin zu Mobbing.

Das Leid mit dem Neid

Verpönt und schambesetzt: Tatsächlich zählt Neid zu den am stärksten tabuisierten Gefühl in der Gesellschaft. Das Christentum stufte ihn sogar als zweitschlimmste der sieben Todsünden ein, allerdings die Einzige, die keinen Spaß macht, wie der amerikanische Essayist Joseph Epstein kommentierte. Auch die Sprache lässt kein gutes Haar an ihm. Wer vom „blanken Neid“ befallen wird, ist ein Neidhammel. Auch er in der Galle sitzen und einen grün und gelb werden lassen. Gesund ist das in jedem Fall oft nicht. Nicht von ungefähr heißt es, jemand sei blass oder gar krank vor Neid.

Daher ist „Neidkontrolle“ immer auch eine Führungsaufgabe. Denn neidische Impulse laufen in jedem Team mehr oder weniger stark unterschwellig mit. Dabei geht es im Joballtag nicht um „mein Haus, mein Auto, mein Boot“, sondern zumeist um vermeintliche Vorzugsbehandlungen. Hier ist Transparenz der Königsweg für ein gutes Betriebsklima. Mitarbeiter sollten wissen, warum jemand Lob & Co. bekommt. Das muss als gerecht, kontrollierbar durchschaubar und vor allem auch erreichbar erlebt werden. Chefs sind gut beraten, wenn sie niemanden ausgrenzen, sondern alle mit ihren individuellen Fähigkeiten wahrzunehmen, wertzuschätzen und aktiv in das Geschehen einzubinden. So haben sie das Gefühl, ein wichtiger Teil des Teams zu sein, und bekommen immer wieder Anreize ihre Komfortzone zu verlassen. Das kommt letztendlich auch den Patienten zu Gute.

Ellbogendenken schon im Studium

Übrigens: Wie stark wir uns an Vergleichen orientieren, zeigt ein Experiment der Harvard-Universität von 1998. Dort wurden Studierende befragt, ob sie lieber 100.000 Dollar im Jahr verdienen möchten, während alle anderen 200.000 Dollar bekämen oder 50.000, wenn der Rest nur 25.000 Dollar als Jahresgehalt erhält. Die Mehrzahl wählte die zweite Variante. Und was Medizinstudenten betrifft, schrieb die Lokalredakteurin Maxi Bergner in ihrem Artikel „Mein bester Feind – Neid und Missgunst im Medizinstudium“: „Der Ellenbogen gehört nicht grundlos zu den Themen, denen man sich in der Anatomie zuerst widmet. Schließlich ist er das meistgebrauchte Gelenk – zumindest unter Medizinstudierenden.“

Die Expertin:

Katja Corcoran

Prof. Dr. Katja Corcoran leitet an der Karl-Franzens-Universität Graz den Arbeitsbereich Sozialpsychologie. Zu ihren Kernthemen gehört die Neid-Forschung.
 

Bild: © Universität Graz

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