Mit der Approbation in der Tasche eröffnen sich viele berufliche Optionen, nicht nur im Arztkittel. Und auch später kann man noch eine neue Richtung einschlagen. Das Buch „Karriere in der Medizin. Wie finde ich mein Perfect Match?“ informiert über die verschiedenen Berufsfelder, die Ärztinnen und Ärzten offenstehen und gibt Tipps zur persönlichen Karriereplanung. Wir fragten die Herausgeberin Dr. Julia Schäfer, was sie mit dem Buch bezweckt – und was alles drinsteckt.
Frau Dr. Schäfer, warum dieses Buch? Treibt Sie etwas um?
Dr. Julia Schäfer: Als Personaldirektorin einer Klinik erlebe ich täglich, wie junge Ärztinnen und Ärzte zwischen ihren fachlich-ethischen Ansprüchen und dem klinischen Alltag zerrissen sind. Sie werden oft ins eiskalte Wasser geworfen, reiben sich zwischen Stationsarbeit, Notaufnahme und viel zu viel Administration auf. Häufig fühlen sie sich zudem fachlich unsicher, wenn sie nicht ein gutes Backup durch eine Oberarztriege haben. Und weil ihnen stets die Zeit im Nacken sitzt, können sie sich dem einzelnen Patienten nicht so widmen, wie sie es für nötig halten.
Sind einige Fächer besonders betroffen?
Dr. Julia Schäfer: Viele, aber um einige Beispiele zu nennen: Dies plagt insbesondere den Nachwuchs der Inneren Medizin, der größtenteils sehr komplexe Krankheitsbilder mit vielen Multimorbiden behandelt. Allein aufgrund der Demografie gibt es mehr Hochbetagte, bei denen das Prozedere eben nicht ganz so schnell durchführbar ist und die auch nicht zügig weiter zu verlegen sind. Aber auch in den chirurgischen Fächern wird häufig nicht eingeplant, dass ein Lernender länger braucht als ein erfahrener Operateur. Ich merke inzwischen, dass viele junge Leute sich da die Frage stellen: Halte ich das überhaupt durch und werde ich der persönlichen Verantwortung gerecht?
Was will Ihr Buch?
Dr. Julia Schäfer: Ideen geben und – wieder – Lust auf Medizin machen! Das Buch zeigt die große Bandbreite auf, wo ich überall mit Medizinstudium arbeiten kann: von dem Einstiegs-Klassiker Klinik über Niederlassung und Reha-Medizin bis zu Behörden, Industrie, Labor, Beratungsunternehmen und humanitärem Einsatz. Auch „exotischere“ Felder wie Schiffsarzt und Medizinjournalismus fehlen nicht. Expertinnen und Experten aus diesen Bereichen informieren über die Voraussetzungen, die man mitbringen muss. Sie zeigen die Vor- aber auch die Nachteile. Zudem geben prominente Köpfe aus der Ärzteschaft in teilweise sehr persönlichen Interviews Einblicke in ihre Laufbahn, die auch nicht immer nach Plan verlaufen ist. Manche berichten, wie sie als Digitalisierungsexperte, kaufmännischer Klinikdirektor oder Personalerin Karriere gemacht haben. Es kann sehr motivierend sein zu sehen, wie andere Branchen ticken. Von daher bietet dieses Buch einen Zugang zur Karriere, der nicht so stereotyp ist.
Was bedeutet Karriere heute überhaupt? Wie erreiche ich mein „Perfect Match“?
Dr. Julia Schäfer: Karriere wird zunehmend individuell interpretiert. Das „Perfect Match“ ist erreicht, wenn sich mein Arbeitsplatz stimmig zu meinen Zielen anfühlt – und diese sollte ich zuvor definieren. Ich muss wissen: Was sind meine Werte und Interessen, was kann ich und wie möchte ich Arbeit und Leben verbinden? Um das zu herauszufinden, sollte ich ein sehr ehrliches Self-Assessment durchführen. Dafür gibt es verschiedene eignungsdiagnostische Verfahren, die ermitteln: Welcher Persönlichkeitstyp bin ich? In welche Organisationsform passe ich am besten? Übrigens: Jeder Wert ist legitim! Auch ein prosperierendes Gesundheitsunternehmen aufzuziehen, das vernünftige Rendite abwirft, kann ein Ziel sein.
Karriere ist also nicht mehr unbedingt die Chefetage?
Dr. Julia Schäfer: Das kann, muss aber nicht sein. Auch dafür ist es hilfreich, sich zu hinterfragen: Macht es mir Spaß, Menschen zu führen, habe ich Lust auf zahlreiche Mitarbeitergespräche? Ich glaube, viele unterschätzen, dass eine solche Position mittlerweile mit einer hohen Erwartung an Personalentwicklung verbunden ist. Auch muss man mit dem Controlling reden etc. Wer sich dazu nicht berufen fühlt, für den ist eine hochspezialisierte Fachkarriere vielleicht der bessere Weg.
Ist Karriere bei Teilzeit wirklich möglich?
Dr. Julia Schäfer: Das läuft noch nicht optimal, aber es tut sich wirklich was hinsichtlich der Arbeitszeitmodelle. Inzwischen wollen beide Geschlechter mehr Präsenz für die Familie zeigen. Dafür muss es möglich sein, in der Karriere zu pausieren oder sie zu verlangsamen. Später, wenn die Kinder zum Beispiel in der weiterführenden Schule sind, sollte man den Faden wieder aufnehmen können. Damit das gut klappt, muss aber die Personalabteilung mit einer mitarbeiterorientierten Informationspolitik in Sachen (Brücken-)Teilzeit, Elternzeit, Dienstplangestaltung usw. mitziehen, was nicht überall der Fall ist. Auch die Führungskraft sollte voll dahinterstehen. Das Gerechtigkeits-Thema nach dem Motto „die Mütter nehmen sich alle Freiheiten raus und die Kinderlosen müssen das kompensieren“ ist nach wie vor eine herausfordernde Problematik in der Klinik.
Alles egal, auch im Lebenslauf?
Dr. Julia Schäfer: Nein, natürlich nicht. Damit Sie nicht als sprunghaft eingeschätzt werden, sollte Ihr Lebenslauf Stationen von jeweils mindestens zwei Jahren aufweisen, es sei denn, Sie haben gute Erklärungen wie Umstrukturierungen, toxische Führung etc. Optimal ist eine mittlere Verweildauer. Auch in Unikliniken ist ein gewisser Braindrain einkalkuliert, eine Assistenzarztphase von mehr als sechs bis acht Jahren dagegen problematisch. Wenn die Beförderung zum Oberarzt in der Luft liegt, sollte man mindestens einen fachlichen Karrieresprung gemacht haben, zum Beispiel eine Projektgruppe leiten oder MD- oder QM-Beauftragter sein. Als sogenannter Altassistenzarzt nach oben zu kommen, ist selten von Erfolg gekrönt.
Ist es ein Karriere-Nachteil, die Disziplin zu wechseln?
Dr. Julia Schäfer: Das ist kein Problem. Bevor man im OP ständig umkippt, weil man das doch nicht sehen kann – habe ich alles erlebt – sollte man immer die Fachrichtung wechseln, selbst kurz vor Abschluss. Um solche Irrwege zu vermeiden, empfiehlt es sich an verschiedenen Kliniken unterschiedlicher Größenordnung zu hospitieren, bevor Sie sich für eine Disziplin entscheiden. Beispiel: Wer Chirurg oder Chirurgin werden will, sollte sich auch in größeren Häusern nicht nur die harmlosen laparoskopischen Gallen angucken, sondern auch die Unfallchirurgie oder onkologische Viszeralchirurgie. An kleineren Häusern hat man ohnehin übergreifende Dienste. Das unterschätzen ganz viele. Wer merkt, dass er doch keine Lust auf ausführliche Gesprächsführung hat, wählt vielleicht lieber die eher geräteorientierte Radiologie oder Labormedizin. Die große Auswahl an Fächern bietet für jede Persönlichkeit etwas.
Was haben Sie noch mitgenommen bei Ihren Recherchen zum Buch?
Dr. Julia Schäfer: Einige Erzählungen von Interviewpartnern, die ihre Anfänge in den USA hatten, gaben mir zu denken. Sie beschrieben, dass die Hierarchien dort längst nicht so eine große Rolle spielen wie hierzulande. So kamen sie schon relativ früh in Verantwortung, hatten aber immer das Gefühl, mit Netz und doppeltem Boden zu agieren. Da liegen wir Jahrzehnte zurück. Bei uns läuft Kritik nach wie vor stark von oben nach unten. Auch braucht es sehr lange, bis man einen entsprechenden Status erreicht hat, in dem man sprachfähig und souverän agieren kann. Das ist vor allem an vielen Uniklinika verbreitet, die einen Großteil ausbilden. Hier herrschen nach wie vor sehr wirkmächtige Strukturen, die viele junge Leute schlichtweg einschüchtern. Und: Wir übertreiben es mit der fast planwirtschaftlichen Überregulierung. Wenn ich manche Ärztinnen und Ärzte frage „wie viel Zeit verbringen Sie nicht am Bett, sondern mit Dokumentation“, bekomme ich nicht selten die Antwort: 60 bis 70 Prozent.
Wie empfinden Sie die Gen Z?
Dr. Julia Schäfer: Ich habe mich in den letzten Jahren viel in verschiedenen Assistenzarzt-und Oberarzt-Runden bewegt und einfach gut zugehört. Die junge Generation will nicht alles auf dem Silbertablett serviert bekommen, wie man ihr nachsagt. Im Gegenteil. Viele entwickeln gute Lösungsansätze, wie sie Abläufe umgestalten können. Wir haben bei uns am Haus zum Beispiel mit unseren jungen Ärztinnen und Ärzten eine neue Rolle kreiert: den Arzt-Assistent, der lästige Dinge übernimmt: Reha-Anträge stellen, aber auch Befunde und Medikationspläne bei Niedergelassenen nachtelefonieren. Auch kaschiert der Nachwuchs im Gegensatz zur früheren Generation nicht mehr so viel. Sie sagen offen und ehrlich, wenn sie bei den Visiten nicht gut mitgenommen werden oder, dass sie kein gutes Anamnesegespräch führen können, wenn sie die Krankheitsgeschichte oder das -bild nicht kennen.
Ihr Fazit?
Dr. Julia Schäfer: Um erfolgreich zu sein, muss ich nicht mehr in der fünften Generation in eine Mediziner-Familie geboren sein. Ich bin auch nicht der Überzeugung, dass es eine objektiv planbare Karriere gibt. Wenn man meint, einen roten Faden zu erkennen, wurde der oft nachträglich konstruiert. Tatsächlich geht es oft um ein gutes Gefühl für den richtigen Moment, den man ergreifen sollte. Dafür braucht es manchmal auch ein wenig Mut, auch mal etwas auszuprobieren, auch wenn man nicht 100-prozentig sicher ist. Gut ist in jedem Fall, wenn Ihnen da jemand zur Seite steht, der Sie ein bisschen begleitet. Nach solchen potenziellen Mentoren, die einem oft per Zufall begegnen, sollten Sie Ausschau halten. Sie sind Gold wert.
Die Expertin