Pandemie und Personalengpässe führen immer häufiger dazu, dass geplante Prozeduren verschoben werden müssen. Neben den medizinischen Aspekten müssen die behandelnden Ärztinnen und Ärzte auch die rechtlichen Folgen im Blick behalten.
Immer wieder kommt es vor, dass Kliniken medizinische Eingriffe und Behandlungen teils mehrere Monate verschieben. Die Gründe sind vielfältig und reichen von Personalengpässen bis zu pandemiebedingten Bettenschließungen. Neben der zunehmenden körperlichen und psychischen Belastung der Patienten fordert diese Situation auch die behandelnden Ärzte.
Zunächst ist die Frage zu klären, ob das Verzögern der Behandlung des jeweiligen Patienten medizinisch und damit rechtlich vertretbar ist. Dabei sind auch Verlegungen in andere Krankenhäuser zu erwägen. Haben die Verantwortlichen einen Ersatztermin für die geplante Prozedur gefunden, gibt es neue rechtliche Fragen. Der Patient muss in diese konkrete Behandlung informiert eingewilligt haben (Informed consent). Auch stellt sich die Frage, ob eine einmal erteilte Einwilligung nach dem Verschieben des Eingriffs noch gilt oder ob Patienten diese nach einem gewissen Zeitraum erneut erteilen müssen. Wird ein Patient in eine andere Klinik verlegt, muss geprüft werden, ob die bereits erteilte Einwilligung auch für das neuen Haus Bestand hat.
Tendenz zum Verfall der Einwilligung
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ist der Behandelnde dazu verpflichtet, den Patienten über alle wesentlichen Umstände aufzuklären, die für dessen Einwilligung entscheidend sind (§ 630 e I BGB). Dazu zählen beispielsweise die Art und der Umfang des Eingriffs, aber auch die Durchführung und die zu erwartenden Folgen und Risiken. Zudem muss der Behandelnde zeitlich soweit vor dem Eingriff aufklären, dass der Patient in Ruhe und reflektiert über seine Einwilligung entscheiden kann. Eine genaue Zeitspanne ist nicht vorgegeben und im Einzelfall festzulegen. Allenfalls soll der Patient seine Einwilligung in einem informierten Zustand (Informed consent) abgeben, was es unerlässlich macht, dass der Arzt den Patienten vollständig aufgeklärt hat. Entscheidend ist stets, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten gewahrt wird.
Gesetzlich nicht geregelt ist die Frage, ob eine solche Einwilligung nur für einen gewissen Zeitraum gültig ist und danach erneut abgegeben werden muss oder ob sie lediglich durch den Widerruf des Patienten (§ 630 d III BGB) unwirksam wird. In der Rechtsprechung und juristischen Literatur ist eine Tendenz zum „Verfall“ der einmal erteilten Einwilligung zu erkennen.
Aufklärung bei gleichartiger Behandlung
Im Einzelfall kann eine Aufklärung bei gleichartiger Behandlung eine Art Dauerwirkung entfalten. Findet eine gleichartige OP kurze Zeit nach der ersten statt, kann die zuvor ordnungsgemäße Aufklärung noch wirksam sein. Doch daraus folgt nicht, dass der Patient verpflichtet wäre, sich Informationen über Risiken oder den Ablauf einer Behandlung selbst zu beschaffen. Auch in diesen Fällen muss der Behandelnde sicherstellen, dass der Patient noch aufgeklärt ist und dessen Einwilligung fortbesteht. Gerade wenn in kurzer Zeit ein weiterer Eingriff ansteht und es dadurch besondere Risiken gibt, weil beispielsweise beim Ersteingriff Gewebestrukturen geschädigt wurden und dadurch das Komplikationsrisiko erhöht ist, muss der Behandelnde über diese neuen Risiken aufklären, selbst wenn die Einwilligung für den Ersteingriff noch für den Zweiteingriff wirkt.
Wird ein Patient in eine andere Einrichtung verlegt, weil es dort beispielsweise ausreichend Personal gibt, um den geplanten Eingriff zeitnah vorzunehmen, muss dort eine neue Einwilligung eingeholt werden. Denn ein Klinikwechsel ist nicht vergleichbar mit dem Wechsel des Operateurs, der von der Einwilligung regelmäßig umfasst ist. Hingegen kann die Aufklärung durchaus fortwirken, wenn der Eingriff und die mit ihm verbundenen Risiken trotz des Klinikwechsels unverändert sind. Will heißen: Die Einrichtung kann dann auf die noch wirksame Aufklärung zurückgreifen, in die der Patient erneut einwilligen muss.
Ratsam ist, Patienten zu fragen
Wenn sich Aufklärung, Einwilligung und Behandlung verzögern, empfiehlt es sich im Sinne des sichersten Vorgehens, den Patienten zu fragen, wie viel er noch über den Eingriff weiß. Gibt es große Defizite, sollten Aufklärung und Einwilligung vollständig wiederholt werden. Hat der Patient noch genügend Kenntnisse, sollte er auf die wichtigsten Aspekte hingewiesen werden, wie den Ablauf oder mögliche Risiken. Dabei sollte die erneute Aufklärung ausführlicher sein, je länger die erste zurückliegt.
In beiden Fällen sollte der Behandelnde diese Aktualisierung oder erneute Aufklärung unter Hinweis auf die ursprüngliche Aufklärung dokumentieren. Ab wann genau eine vollständig neue Aufklärung erforderlich wird, hängt vom Einzelfall ab. Die Bedeutung des Eingriffs, die damit verbundenen individuellen Risiken sowie die Auffassungsgabe und das Erinnerungsvermögen des Patienten spielen eine Rolle. Hat der Behandelnde den Patienten mehr als sechs Monate vor dem Eingriff aufgeklärt, sollte er dies vollständig wiederholen. So entschied jedenfalls das Oberlandesgericht Dresden (OLG Dresden, Beschluss vom 15. November 2016 – 4 U 57/16).
BGH: Aufklärung ist bis sechs Wochen wirksam
Dementgegen können nach Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGH) bis zu sechs Wochen zwischen Aufklärung und Eingriff liegen, ohne dass diese unwirksam wird (BGH-Urteil vom 28. Januar 2014, Az.: VI ZR 143/13). Als Faustregel gilt damit, dass es möglich ist, einen Eingriff um bis zu einen Monat zu verschieben, ohne dass der Patient erneut aufgeklärt werden muss. Bei längeren Zeiträumen ist im Einzelfall zu entscheiden. Sollte die Verzögerung hingegen sechs Monate oder länger betragen, ist die Aufklärung vollständig zu wiederholen. Denn dann ist davon auszugehen, dass die verbliebenen Kenntnisse für eine informierte Einwilligung im Regelfall nicht mehr ausreichen. Sollte der Patient hingegen explizit auf eine erneute Aufklärung nach § 630 e III BGB verzichten, ist es ratsam, dies zu dokumentieren und vom Patienten gegenzeichnen zu lassen.
Schließlich sind eine erneute Aufklärung und Einwilligung erforderlich, wenn sich der Eingriff ändert oder die damit verbundenen Risiken, zum Beispiel weil die Grunderkrankung weiter fortgeschritten ist. Dann muss der Arzt erneut aufklären und der Patient erneut einwilligen.
Dtsch Arztebl 2023; 120(7): [2]
Der Autor:
Dr. iur. Torsten Nölling
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht
04229 Leipzig