Neben der eigentlichen Behandlung ist die richtige und rechtzeitige Aufklärung der Patienten eines der wichtigsten Haftungsrisiken für Ärztinnen und Ärzte. Abgesehen vom Inhalt der Aufklärung liegt die Schwierigkeit dabei auch darin, den richtigen Zeitpunkt zu finden.
Bevor Ärzte einen Patienten behandeln, muss dieser in die Behandlung einwilligen. Damit eine informierte Einwilligung (informed consent) überhaupt möglich ist, müssen Ärzte den Patienten vor der Behandlung über deren Ablauf und die Risiken, die mit ihr einhergehen, aufklären. Bleibt eine solche Einwilligung aus, ist die Behandlung rechtswidrig, selbst dann, wenn sie lege artis ausgeführt wurde und medizinisch indiziert war.
Richtiger Zeitpunkt der Aufklärung
Seit Anfang dieses Jahres können viele Eingriffe ambulant vorgenommen werden, die zuvor noch stationär ausgeführt wurden. Grund dafür ist die Erweiterung des „Katalogs ambulant durchführbarer Operationen“ (AOP-Katalog). Unterschiede ergeben sich dabei vor allem bei der Wahl des richtigen Zeitpunkts der Aufklärung. Während Ärzte bei stationären Behandlungen mindestens einen Tag vorher aufklären sollen, genügt bei leichteren ambulanten Eingriffen häufig eine Aufklärung am gleichen Tag.
Der Zeitpunkt muss dabei so gewählt werden, dass Patienten genügend Zeit haben, wohlüberlegt entscheiden zu können, ob sie dem Eingriff zustimmen oder nicht. So soll verhindert werden, dass sie sich unter Druck gesetzt fühlen. Gerade bei ambulanten Routineuntersuchungen und -eingriffen sollten Ärztinnen und Ärzte diesen Gedanken ernst nehmen. Doch sollte die Aufklärung auch nicht zu weit im Voraus stattfinden, sondern in zeitlicher Nähe, um zu verhindern, dass Patienten die Aufklärung bis zur Behandlung ganz oder teilweise wieder vergessen haben und damit wiederum keine wirksame Einwilligung mehr besteht.
Keine konkreten Vorgaben
Explizite Vorgaben, wann bei welcher Prozedur der „richtige“ Zeitpunkt für die Aufklärung ist, gibt es keine. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) ist ein Zeitraum bis sechs Wochen zwischen Aufklärung und Behandlung unkritisch. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Dresden war ein Zeitraum von mehr als einem halben Jahr in einem anderen Fall zu lang. Wo genau die Grenze verläuft, lässt sich nicht abstrakt sagen. Sie ist von den individuellen Umständen abhängig. Dabei sind neben der Art des Eingriffs auch Faktoren wie der Gesundheitszustand des Patienten oder die Eilbedürftigkeit der Behandlung zu beachten. Aber auch die Persönlichkeit des Patienten sollte berücksichtigt werden und kann Einfluss auf den Zeitpunkt der Aufklärung haben.
Bei Eingriffen, die mit einem erhöhten Risiko einhergehen, kann es daher erforderlich sein, die Aufklärung mindestens auf den Tag vor dem Eingriff zu legen. Diese könnten Ärzte beispielsweise zusammen mit für den Eingriff erforderlichen Voruntersuchungen vornehmen. Zudem ist auch eine Aufklärung via Telemedizin in medizinisch geeigneten Fällen denkbar, was die Abläufe in der ambulanten Versorgung erleichtern könnte. Auch kann sich die Tatsache, dass ein Patient die geplante ambulante Behandlung bereits mehrfach hat vornehmen lassen und demnach mehrfach über diese aufgeklärt wurde, auf die Wahl des richtigen Zeitpunkts auswirken. Gegebenenfalls kann die Aufklärung am gleichen Tag genügen oder sogar gänzlich entfallen, wenn der Patient noch ausreichende Kenntnisse über den Ablauf und die Risiken dieser Behandlung hat.
Patienten genügend Bedenkzeit einräumen
Unabhängig vom Zeitpunkt sollte Patienten nach dem Aufklärungsgespräch genügend Bedenkzeit eingeräumt werden, um das Für und Wider der Behandlung abzuwägen und so die für sie richtige Entscheidung treffen zu können. Jedoch gibt es auch dafür keinen festgeschriebenen Zeitraum. Ob Patienten also noch etwas Bedenkzeit brauchen oder sofort in den Eingriff einwilligen, ist grundsätzlich ihnen überlassen. Auch der Arzt oder die Ärztin haben die Möglichkeit und Pflicht, Patienten mehr Zeit für ihre Einwilligung einzuräumen, wenn sie erkennen, dass diese noch unentschlossen sind und mehr Zeit benötigen.
Infolge des erweiterten AOP-Katalogs können Ärzte nun bei dort aufgeführten Eingriffen, die im letzten Jahr noch stationär stattfanden und damit eine Aufklärung regelhaft spätestens einen Tag vorher erforderlich machten, grundsätzlich am gleichen Tag aufklären. Obwohl sich die Behandlung im Wesentlichen nicht verändert hat, führt der Wechsel von stationär zu ambulant dazu, dass Ärzte die Aufklärung künftig auch inhaltlich an die neuen Gegebenheiten im ambulanten Sektor anpassen müssen.
Aspekte der Sicherungsaufklärung
Veränderungen könnten sich vor allem bei der Sicherungsaufklärung, auch therapeutische Aufklärung genannt, ergeben, die kein Teil der Aufklärung selbst ist, sondern Bestandteil der ärztlichen Behandlung. Sie ist dabei von der Behandlungs- und der Risikoaufklärung abzugrenzen, die zur Selbstbestimmungsaufklärung gehören und gesetzlich normiert sind (§ 630 e BGB). Mit der Sicherungsaufklärung informieren Ärzte Patienten darüber, wie sie sich nach dem Eingriff therapiegerecht verhalten sollten, um den Behandlungserfolg zu sichern.
Ein Beispiel dafür ist, über die korrekte Einnahme verschriebener Medikamente zu informieren. Die Nachbehandlung und -betreuung ambulanter Eingriffe findet nun nicht mehr stationär statt, sondern ebenfalls ambulant, oft bei Patienten zu Hause. Um Patienten mit neuen oder anderen Risiken vertraut zu machen, kann es künftig erforderlich sein, Aspekte der Sicherungsaufklärung ausführlicher zu gestalten und als Teil der Behandlungsaufklärung bereits vor dem Eingriff vorzunehmen. So bleibt Patienten die Wahl, ob sie, trotz eventuell höherer Risiken in der Nachbehandlung, den Eingriff ambulant vornehmen lassen wollen oder nicht.
Gerade im Hinblick auf die geplante erneute Novellierung des AOP-Katalogs zu Beginn des Jahres 2024 werden voraussichtlich immer mehr Eingriffe, die bisher stationär erfolgten, ambulant vorgenommen. Umso wichtiger ist, dass Ärzte wissen, wie und wann sie bei ambulanten Behandlungen aufzuklären haben. Im Sinne des sichersten Weges sollten sie die Aufklärung daher in Anlehnung an das stationäre Setting spätestens am Vortag des Eingriffs vornehmen.
Dtsch Arztebl 2023; 120(37): [2]
Das Autorenteam:
Dr. iur. Torsten Nölling, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht
Lisa-Marie Büchner, wissenschaftliche Mitarbeiterin
Nölling – Leipzig – Medizinrecht
04229 Leipzig