
Ärzte müssen Patienten über Risiken aufklären, die in ihrer Person begründet sind, wenn die Risiken Einfluss auf die ärztliche Heilbehandlung haben können. Unterlassen sie dies, machen sie sich strafbar, auch wenn sie die Behandlung sachgerecht ausführen.
Damit Patienten „informiert“ in eine Behandlung einwilligen können, müssen Ärzte sie vor einer Behandlung über die mit der Behandlung einhergehenden Risiken aufklären. Ohne eine wirksame Einwilligung wertet die Rechtsprechung den Heileingriff als strafbare Körperverletzung – selbst dann, wenn Ärzte die Behandlung lege artis durchgeführt haben. Die Urteile dazu sind Legion und seit einigen Jahren ist diese Aufklärungspflicht in § 630 e des Bürgerlichen Gesetzbuchs kodifiziert. Danach sind Ärzte verpflichtet, Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Bisher nicht obergerichtlich geklärt war die Frage, ob Ärzte auch über Risiken aufklären müssen, die in ihnen selbst begründet sind.
Aktueller Fall: Augenarzt erlitt Schlaganfall
Ein operativ tätiger Augenarzt erlitt einen Schlaganfall. Diagnostiziert wurden eine Aphasie, Alexie, Akalkulie und eine rechtsseitige armbetonte Hemiparese. Die rehabilitative Behandlung brachte Fortschritte, was die Sprachstörungen und die Koordination betrafen. Der Augenarzt setzte die Therapie ambulant fort. Aufgrund der Unzufriedenheit mit seinen Therapiefortschritten unternahm er einen Suizidversuch. Nach stationärer psychiatrischer Behandlung führte er die rehabilitative ambulante Therapie fort. Nachdem er sich subjektiv genesen fühlte, nahm der Augenarzt mit einem Kollegen gemeinsam einige Operationen vor.
Sodann fühlte er sich, bestärkt durch den Kollegen, in der Lage, auch wieder eigenständig zu operieren. Insgesamt operierte er 2.943 gesetzlich krankenversicherte Patienten und eine unbekannte Zahl von Privatpatienten. Die Komplikationsrate war nach Feststellung des Landgerichts Kempten nicht signifikant erhöht. Eine von der Approbationsbehörde veranlasste amtsärztliche Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass es trotz des erlittenen Schlaganfalls keine Anhaltspunkte gebe für körperliche Einschränkungen des Angeklagten. Insgesamt kamen neun Fälle zur Anklage, bei denen der Augenarzt Katarakt-Operationen vorgenommen hatte und die Patienten einen Schaden erlitten.
Letztlich war der angeklagte Augenarzt allen Gerichten zufolge verpflichtet, die Patienten auf seine gesundheitlichen Einschränkungen hinzuweisen, die auf die sachgerechte Durchführung der ärztlichen Heilbehandlung Einfluss haben können. Ohne einen solchen Hinweis ist die Einwilligung der Patienten in die Behandlung unwirksam.
Vorsätzliche oder fahrlässige Körperverletzung?
Nach Einschätzung des Landgerichts Kempten ist kein direkter kausaler Zusammenhang nachweisbar zwischen der Ungeeignetheit des Angeklagten, ambulante Augenoperationen durchzuführen, und den während oder nach den Operationen aufgetretenen Komplikationen und Behandlungsfehlern. Doch nach Überzeugung des Gerichts war der Arzt im gesamten Zeitraum von fünf Jahren aufgrund seiner fortbestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen objektiv ungeeignet zu operieren. Das Gericht stützt sich in seinem Urteil maßgeblich auf zwei neurologische Sachverständigengutachten. Das Landgericht verneinte eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Körperverletzung und verurteilte den Augenarzt wegen fahrlässiger Körperverletzung (LG Kempten, 3 Ns 111 Js 10508/14). Die Richter hielten dem angeklagten Arzt zugute, dass er davon ausgegangen sei, trotz seiner Vorerkrankung ohne erhöhtes Risiko operieren zu können. Damit habe er sich Umstände vorgestellt, die ihn nicht zu einer gesonderten Aufklärung verpflichtet hätten. Eine vorsätzliche Körperverletzung scheidet den Richtern zufolge wegen eines sogenannten Erlaubnistatbestandsirrtums damit aus.
Dieser Auffassung folgte das Bayerische Oberste Landesgericht nicht (BayObLG, Urteil vom 29. Juni 2021, 205 StRR 141/21, nicht rechtskräftig). Es nahm eine vorsätzliche Körperverletzung an wie zuvor bereits erstinstanzlich das Amtsgericht Kempten (AG Kempten – 32 Ls 111 Js 10508/14). Die Richter gehen davon aus, dass der Augenarzt um seine körperliche Beeinträchtigung wusste und damit im Rechtssinne vorsätzlich gehandelt habe. Aufgrund prozessualer Vorgaben konnte das Bayerische Oberste Landesgericht das Strafverfahren jedoch nicht beenden, sondern musste den Prozess zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an eine andere Kammer des Landgerichts Kempten zurückverweisen. In diesem Verfahren wird nun auch zu klären sein, ob und wie die diagnostizierte Anosognosie im konkreten Fall zu werten ist, um Vorsatz von Fahrlässigkeit abzugrenzen.
Eingriff in das Persönlichkeitsrecht
Unabhängig von der noch offenen Frage, ob der Arzt im konkreten Fall letztlich wegen vorsätzlicher oder doch „nur“ wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt wird, gilt nunmehr, dass Ärzte ihre Patienten nicht nur über die allgemeinen Risiken einer geplanten Behandlung aufklären müssen, sondern auch über solche Risiken, die sich aus ihrer Person ergeben. Bei einem bewussten Verschweigen solcher Umstände wird die Behandlung als vorsätzliche Körperverletzung gewertet – selbst dann, wenn der Eingriff erfolgreich verläuft.
Letztlich ist das ist ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arztes. Die Rechtsordnung bewertet aber die abstrakt gefährdete körperliche Unversehrtheit des Patienten und dessen konkret beeinträchtigtes Selbstbestimmungsrecht höher. Damit gilt: Nach einer Erkrankung, die die eigenen Fähigkeiten beeinträchtigt hat, sollten sich Ärzte in jedem Fall fachgutachterlich attestieren lassen, dass sie ohne erhöhtes Risiko für die Patienten wieder behandeln können, selbst wenn sie persönlich ihren Fähigkeiten wieder vertrauen.
Hohe Anforderungen an Prüfung der Fähigkeiten
An Ärzte werden dabei hohe Anforderungen an eine selbstkritische Prüfung der eigenen Fähigkeiten gestellt. Nur wenn das Gutachten zu dem Schluss kommt, dass es kein erhöhtes Risiko für die Patienten gibt, kann der betroffene Arzt auf eine gesonderte Aufklärung verzichten. Hält das Gutachten Beeinträchtigungen für möglich, aber für kompensierbar, muss der betroffene Arzt seine Patienten aufklären. Sind Beeinträchtigungen hingegen möglich und nicht kompensierbar, darf der betroffene Arzt nicht mehr tätig werden.
Dtsch Arztebl 2022; 119(22-23): [2]
Der Autor
Dr. iur. Torsten Nölling
Fachanwalt für Medizinrecht
04229 Leipzig