
In der perioperativen Altersmedizin rückt das St. Franziskus-Hospital in Münster das Thema Delirprävention in den Mittelpunkt. Im Interview erklärt Dr. Wibke Brenneisen, Oberärztin der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin, wie durch speziell geschulte Pflegekräfte und eine umfassende Vorbereitung auf operative Eingriffe das Risiko eines Delirs bei älteren Patientinnen und Patienten gesenkt werden kann.
Die Kombination aus intensiver Begleitung und einer gezielten Anpassungen der Medikation soll dazu beitragen, dass die Patientinnen und Patienten nach ihrer Behandlung in einem stabilen, bestenfalls verbesserten Zustand entlassen werden können. Dabei ist es laut Brenneisen sehr wichtig ist, die besonderen Bedürfnisse geriatrischer Patientinnen und Patienten zu berücksichtigen. Die Ärztin gibt Einblicke in die Herausforderungen und Lösungsansätze dieser spezialisierten Versorgung.
Gezielte Betreuung in der Altersmedizin: Was steckt dahinter?
Können Sie erläutern, was genau die perioperative Altersmedizin umfasst und welche Aufgaben in diesem Bereich besonders relevant sind?
Dr. Wibke Brenneisen: Im Bereich der perioperativen Altersmedizin haben wir den klaren Schwerpunkt der Delirprophylaxe. Wir konzentrieren uns darauf, das Risiko eines Delirs zu minimieren, indem wir unseren Patientinnen und Patienten, die oft durch Alter oder Begleiterkrankungen ein erhöhtes Risiko mitbringen, eine spezifische Betreuung anbieten. Ziel ist, dass die Patientinnen und Patienten in demselben kognitiven Zustand entlassen werden, wie sie aufgenommen wurden. Dazu stellen wir ihnen eine Pflegekraft zur Seite, die sie rund um die Operation begleitet. Gerade für ältere Menschen, die ohnehin unter großem Stress stehen, weil Krankenhausaufenthalte eine fremde und häufig beängstigende Umgebung darstellen, ist diese kontinuierliche Betreuung essenziell.
Das klingt nach einem sehr durchdachten Konzept, das allerdings in Zeiten von Fachkräftemangel gar nicht so einfach umzusetzen ist. Wie gehen Sie mit der Herausforderung um, diese Betreuung unter den begrenzten Ressourcen in Krankenhäusern zu ermöglichen?
Dr. Wibke Brenneisen: Ja, das ist eine zentrale Frage. Natürlich haben wir im Krankenhausalltag begrenzte personelle und zeitliche Ressourcen. Aber unsere Erfahrungen zeigen, dass die intensivere Betreuung sich langfristig auszahlt, weil die Patientinnen und Patienten schneller und in besserem Zustand entlassen werden können. Es ist schwer, dies mit konkreten Zahlen zu belegen, aber die Delirrate ist bei unseren betreuten Patientinnen und Patienten im Vergleich zu anderen deutlich niedriger, was zeigt, dass unsere Maßnahmen wirken.
Prävention statt Reaktion: Wie eine vertraute Bezugsperson das Delir-Risiko senken kann
Welche spezifischen Faktoren tragen aus Ihrer Sicht am meisten zur Entstehung eines Delirs bei?
Dr. Wibke Brenneisen: Das Delir ist eine multifaktorielle Erkrankung. Ein häufiger Faktor ist zum Beispiel die Nüchternheit vor der Operation. Viele ältere Patientinnen und Patienten sind länger als nötig nüchtern, obwohl es erlaubt wäre, bis zwei Stunden vor der OP noch zu trinken. Bei älteren Menschen kann das jedoch schnell zu Dehydration und Kreislaufproblemen führen. Auch bestimmte Medikamente, besonders solche mit anticholinergen Effekten, können das Risiko erhöhen. In Zusammenarbeit mit unseren Apothekerinnen und Apothekern prüfen wir daher die Medikation und versuchen, potenziell problematische Präparate anzupassen oder alternative Medikamente zu finden.
Kommen wir einmal zu den Angehörigen. Welche Rolle spielen diese in der Betreuung?
Dr. Wibke Brenneisen: Die Angehörigen sind ein enorm wichtiger Faktor. Ein bekanntes Gesicht und eine vertraute Person an der Seite zu haben, kann das Risiko für ein Delir reduzieren. Krankenhausaufenthalte sind für viele ältere Menschen eine Zeit der Angst und Orientierungslosigkeit. Angehörige, die regelmäßig zu Besuch kommen und die Patientinnen und Patienten unterstützen, tragen dazu bei, dass diese sich weniger allein und verloren fühlen. Wir sind daher in regelmäßigem Austausch mit den Familien und ermutigen sie, so viel Zeit wie möglich mit ihren Angehörigen zu verbringen.
Das Thema betrifft viele Abteilungen in Krankenhäusern. Wie organisieren Sie die interdisziplinäre Zusammenarbeit, um die besonderen Bedürfnisse geriatrischer Patientinnen und Patienten zu berücksichtigen?
Dr. Wibke Brenneisen: Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist wirklich zentral. Wissen über das Delir und die speziellen Bedürfnisse geriatrischer Patientinnen und Patienten ist leider noch nicht überall so stark ausgeprägt, wie es notwendig wäre. Daher bieten wir regelmäßige Schulungen an, um das Bewusstsein für diese Themen zu stärken. Es ist wichtig, dass auch Kolleginnen und Kollegen aus anderen Abteilungen erkennen, welche präventiven Maßnahmen sie umsetzen können. So können wir alle gemeinsam dazu beitragen, das Risiko eines Delirs zu reduzieren.
Wunsch für die Zukunft: Mehr Bewusstsein und spezialisierte Teams
Was raten Sie anderen Krankenhäusern, die sich auch in der Sache engagieren wollen?
Dr. Wibke Brenneisen: Ich rate dazu, ebenfalls ein eigenes Team dafür zu bilden, in dem gut ausgebildete Personen zusammenkommen und Kompetenzen bündeln. Das schafft Verantwortlichkeiten und darüber wird das Thema vorangebracht.
Gibt es Innovationen in der Altersmedizin, die Sie besonders spannend finden?
Dr. Wibke Brenneisen: Sehr spannend finde ich das Konzept der Prähabilitation. Hierbei werden die Patientinnen und Patienten auf einen bevorstehenden Krankenhausaufenthalt vorbereitet, indem Faktoren wie Muskelkraft, Ernährung und Vitamine optimiert werden. Dies ist eine präventive Maßnahme, die langfristig einen enormen Unterschied machen könnte. Indem die Patientinnen und Patienten in einem besseren Ausgangszustand in die Operation gehen, können wir hoffentlich Komplikationen reduzieren und die Genesung beschleunigen. In Großbritannien wird dieses Konzept bereits erfolgreich umgesetzt, und ich hoffe, dass wir in Deutschland in Zukunft ähnliche Strukturen etablieren können.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der perioperativen Altersmedizin?
Dr. Wibke Brenneisen: Mein Wunsch ist, dass wir noch mehr Bewusstsein für die speziellen Bedürfnisse älterer Patientinnen und Patienten schaffen. Das erfordert nicht nur Aus- und Weiterbildung, sondern auch die Bereitschaft, neue Wege zu gehen, die vielleicht Ressourcen und Zeit kosten. Es muss ein Verständnis dafür geben, dass Prävention nicht nur für die Patientinnen und Patienten von Vorteil ist, sondern auch für das gesamte Gesundheitssystem. Ein starkes Team und interdisziplinäre Zusammenarbeit sind hierbei essenziell, und ich hoffe, dass sich in diesen Bereichen noch viel bewegt.