Unerwünschtes Verhalten bei älteren Patientinnen und Patienten: Was Ärztinnen und Ärzte wissen sollten

18 November, 2024 - 07:22
Miriam Mirza
Alter Mann zieht junger Frau an den Haaren - Aggression bei Demenz

Die steigende Lebenserwartung und die Zunahme älterer Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern stellen Ärztinnen und Ärzte in allen Fachrichtungen vor neue Herausforderungen. Insbesondere das Management von unerwünschtem Verhalten bei Patientinnen und Patienten mit Demenz oder kognitiven Beeinträchtigungen wird zunehmend relevant. Ein Workshop von Dr. Wolfrid Schröer, Chefarzt der Geriatrie an den Sana Kliniken Duisburg, anlässlich des ä24-Kongresses in Bonn bot wertvolle Einsichten, die nicht nur für Geriaterinnen und Geriater, sondern für alle Klinikärztinnen und -ärzte von Bedeutung sind.

Warum das Thema alle betrifft

„Es ist eine Illusion zu glauben, dass nur Geriaterinnen oder Geriater mit dem Problem des unerwünschten Verhaltens konfrontiert werden“, betont Dr. Schröer. Tatsächlich betreffen Demenz und altersbedingte kognitive Beeinträchtigungen immer häufiger Patientinnen und Patienten in allen Abteilungen, von der Chirurgie bis zur Kardiologie. Schröer macht deutlich: „Patientinnen und Patienten werden nicht nur älter, sie werden auch komplexer. Jede Ärztin und jeder Arzt muss darauf vorbereitet sein, mit Verhaltensauffälligkeiten umzugehen.“

Unerwünschtes Verhalten: Ein häufiges Phänomen

Unerwünschtes Verhalten, wie Aggressionen, Unruhe, Verweigerung von Untersuchungen oder pflegerischen Maßnahmen, tritt häufig bei älteren Patientinnen und Patienten auf – insbesondere bei denen mit kognitiven Einschränkungen. Diese Verhaltensweisen können durch Schmerzen, Angst, Reizüberflutung oder Unverständnis für die Situation der Betroffenen ausgelöst werden. „Ein demenziell erkrankte Patientin oder ein demenziell erkrankter Patient versteht oft nicht, warum er oder sie im Krankenhaus ist, und das verstärkt die Ängste und das Gefühl des Kontrollverlusts“, erklärt Dr. Schröer.

25.04.2025, Geriatrische Rehaklinik Am Klosterwald GmbH
Villingen-Schwenningen

Die häufigsten Formen unerwünschten Verhaltens sind:

  • Aggressives Verhalten
  • Verbale und physische Ablehnung von Behandlungen
  • erhöhter Bewegungsdrang

  • Ruhelosigkeit und Verwirrtheit, besonders nachts

Kommunikation als Schlüssel

„Die Art und Weise, wie wir mit diesen Patientinnen und Patienten sprechen, ist entscheidend“, sagt der Geriater. Er empfiehlt eine klare, langsame und beruhigende Kommunikation. Dabei ist es wichtig, der Patientin oder dem Patienten immer in die Augen zu sehen und einfach strukturierte Anweisungen zu geben. „Vermeiden Sie medizinischen Fachjargon und bleiben Sie geduldig. Diese Patientinnen und Patienten brauchen Zeit, um die Informationen zu verarbeiten.“ Auch das Einbeziehen von vertrauten Personen wie Angehörigen kann helfen, die Kommunikation zu erleichtern und die Ängste der Patientin oder des Patienten zu mindern.

Strategien im Umgang mit unerwünschtem Verhalten

Dr. Schröer empfiehlt eine Reihe von Strategien, die Ärztinnen und Ärzte anwenden können, um mit unerwünschtem Verhalten umzugehen:

  1. Verstehen der Ursache: Oft steckt hinter dem Verhalten ein unerfülltes Bedürfnis der Patientinnen und Patienten, wie Schmerzen oder Hunger. „Bevor wir auf das Verhalten reagieren, müssen wir herausfinden, warum die Patientin beziehungsweise der Patient so handelt“, erklärt Dr. Schröer. Eine genaue Anamnese, auch unter Einbezug von Pflegekräften oder Angehörigen, ist unerlässlich.
  2. Milieutherapie: Die Schaffung einer ruhigen und sicheren Umgebung kann helfen, das Verhalten zu beruhigen. „Krankenhausumgebungen sind oft sehr belastend für demente Patientinnen und Patienten. Lärm, Hektik und ständige Wechsel von Personal oder Räumen verstärken die Verwirrung“, so der Mediziner. Ein fester Tagesablauf sowie die Vermeidung von Reizüberflutung sind hier sinnvoll und können Abhilfe schaffen.
  3. Medikamentöse Ansätze: In einigen Fällen kann es notwendig sein, pharmakologische Mittel zur Beruhigung oder Schmerztherapie einzusetzen. „Medikamente sollten aber immer das letzte Mittel sein“, mahnt Schröer und betont: „Vieles lässt sich durch nicht-medikamentöse Maßnahmen besser in den Griff bekommen“. Empathie und das Eingehen auf die Situation der Betroffenen sei dabei der Schlüssel.

Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen

Eine der größten Herausforderungen besteht darin, dass Ärztinnen und Ärzte in Fachbereichen wie Chirurgie oder Innerer Medizin oft wenig Erfahrung im Umgang mit demenziell erkrankten Patientinnen und Patienten haben. „Es ist wichtig, dass alle Abteilungen zusammenarbeiten, um diesen Patientinnen und Patienten die bestmögliche Versorgung zu bieten“, erklärt Dr. Schröer. Er rät daher zu interdisziplinären Fallbesprechungen im Krankenhaus und einem engeren Austausch zwischen Geriaterinnen, Geriatern, Pflegekräften und Fachärztinnen und -ärzten. „Nur so können wir sicherstellen, dass die Bedürfnisse dieser Patientinnen und Patienten nicht übersehen werden.“

Praktische Tipps für den Klinikalltag

Für den Alltag in der Klinik gibt Schröer folgende Ratschläge:

  • Geduld zeigen: Es braucht oft länger, bis eine  demenzkranke  Patientin oder ein demenzkranker Patient auf Anweisungen reagiert. „Nehmen Sie sich die Zeit und planen Sie mehr für Untersuchungen ein“, so Schröer.
  • Vermeidung von Konfrontationen: Wenn eine Patientin oder ein Patient aggressiv wird, ist es besser, sie oder ihn zu beruhigen und deeskalierend auf die Person einzuwirken, anstatt auf Konfrontation zu setzen. „Bleiben Sie ruhig und bieten Sie Alternativen an. Oft hilft es, dem Patienten oder der Patientin etwas Zeit zu geben und später wiederzukommen.“
  • Engagement des Teams: Pflegekräfte, die oft engeren Kontakt mit den Patientinnen und Patienten haben, sollten in den Entscheidungsprozess einbezogen werden. „Ihre Beobachtungen sind oft der Schlüssel zur richtigen Behandlung,“ so die Erkanntnis des Mediziners.

Die Zahl älterer Patientinnen und Patienten mit kognitiven Beeinträchtigungen wird in den kommenden Jahren weiter steigen. Prognosen zufolge wird die Lebenserwartung weiter zunehmen, was bedeutet, dass mehr Menschen mit Demenzerkrankungen oder anderen Alterskrankheiten in die Krankenhäuser kommen werden. Laut Schröer sind Krankenhäuser daher gut beraten, ihre Behandlungsstrategien anzupassen: „Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass wir in allen Fachbereichen immer häufiger mit demenziellen Patientinnen und Patienten arbeiten werden.“ Es wird erwartet, dass die Zahl der Demenzpatientinnen und -patienten in Deutschland bis 2050 auf etwa 3 Millionen ansteigt. Die Notwendigkeit, personalisierte und interdisziplinäre Behandlungsansätze zu entwickeln, wird daher immer dringlicher.

Fazit: Herausforderung für alle Fachbereiche

Das Management von unerwünschtem Verhalten bei älteren Patientinnen und Patienten mit kognitiven Einschränkungen ist eine wachsende Herausforderung für alle Krankenhausabteilungen. Schröer betont, dass nicht nur Geriaterinnen und Geriater, sondern auch Ärztinnen und Ärzte anderer Fachrichtungen auf diese Patientinnen und Patienten vorbereitet sein müssen. „Es geht darum, auf die besonderen Bedürfnisse dieser Patientinnen und Patienten einzugehen, sie zu verstehen und angemessen zu reagieren“, so Schröer. Nur durch eine enge Zusammenarbeit und den Einsatz wirksamer Strategien kann eine angemessene Versorgung sichergestellt werden.

Ä24

Der Ä24-Kongress ist eine jährliche Veranstaltung, die im World Conference Center Bonn stattfindet und von der Ärztekammer Nordrhein organisiert wird. Der Fokus liegt auf medizinischen Fortbildungen für Ärztinnen und Ärzte aus unterschiedlichen Fachrichtungen. Der Kongress bietet ein umfangreiches Programm, das von Geriatrie über Notfallmedizin bis hin zu Sonographiekursen reicht. Es handelt sich um eine interdisziplinäre Plattform für Fortbildungen, Diskussionen und den Austausch zu neuesten Entwicklungen im Gesundheitswesen.

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