Zusatz-Weiterbildung Geriatrie: Dauer, Inhalte, Voraussetzungen

10 Mai, 2024 - 08:53
Stefanie Hanke
Ärztin im Gespräch mit älterer Patientin

Im Alter brauchen Patientinnen und Patienten eine andere medizinische Betreuung als junge Menschen. Die Versorgung von Seniorinnen und Senioren ist das Spezialgebiet der Geriatrie. Wie die Zusatz-Weiterbildung Geriatrie abläuft und für wen sie in Frage kommt, erfahren Sie im Beitrag.

Auf einen Blick: Zusatz-Weiterbildung Geriatrie

  • Definition: Die Geriatrie beschäftigt sich mit der medizinischen Versorgung von alternden Menschen. Dazu gehören die Diagnose und Behandlung von akuten und chronischen Erkrankungen, aber auch die Prävention und Rehabilitation. Auch psychologische und soziale Aspekte spielen eine Rolle.
  • Voraussetzungen: Facharztanerkennung im Gebiet Allgemeinmedizin, Innere Medizin, Neurologie, Physikalische und Rehabilitative Medizin oder Psychiatrie und Psychotherapie
  • Dauer: 18 Monate Weiterbildung unter Befugnis an Weiterbildungsstätten
  • Anzahl der Ärzte: In Deutschland sind 3.574 Ärztinnen und Ärzte mit der Zusatzbezeichnung "Geriatrie" bei den Kammern registriert. Davon sind 3.318 berufstätig.

Die demographischen Daten zeigen es schon seit Jahren: Die Menschen in Deutschland werden im Durchschnitt immer älter, und immer mehr Seniorinnen und Senioren erreichen ein sehr hohes Alter. So waren im Jahr 2020 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 20.465 Menschen 100 Jahre alt oder älter, 80 Prozent davon waren Frauen. Die Mehrzahl der Patientinnen und Patienten, die von der Geriatrie profitieren, sind mindestens 80 Jahre alt, heißt es von der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie.

Im hohen Alter funktioniert der Körper nicht mehr so wie bei 30-Jährigen – manche Erkrankungen (z.B. dementielle Erkrankungen, Parkinson-Syndrom) treten hauptsächlich bei älteren Menschen auf, andere sind schwerer zu diagnostizieren, weil sich andere Symptome zeigen. Außerdem dauert es länger, bis eine Therapie Erfolge zeigt. Die Patientinnen und Patienten sind häufig sehr gebrechlich und multimorbide. Bei der Behandlung können Ärztinnen und Ärzte daher nicht nur auf die einzelnen Organe und Erkrankungen schauen, sondern verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz. Hinzu kommt: Viele ältere Menschen sind neben der medizinischen auch auf soziale Unterstützung angewiesen, um ihre Autonomie und Lebensqualität zu erhalten.

Geriatrie: Hier ist interdisziplinäres Arbeiten gefragt

Daher gibt es auch große Überschneidungen mit anderen medizinischen Fachrichtungen, beispielsweise mit der Allgemeinmedizin, der Inneren Medizin, der Neurologie, der Orthopädie und der Psychiatrie. Für die Arbeit in der Geriatrie bedeutet das: Die Fachärzte und Fachärztinnen arbeiten stark interdisziplinär im Austausch mit anderen Fachrichtungen. Ihnen kommt eine Funktion als Schnittstelle zu: Denn multimorbide Patientinnen und Patienten werden häufig von vielen verschiedenen medizinischen und therapeutischen Fachleuten behandelt. So haben viele Hochbetagte beispielsweise zugleich Herz-Kreislauf-Beschwerden und rheumatische Erkrankungen, dazu vielleicht Diabetes oder sogar Krebs. Außerdem kann auch die geistige Fitness nachlassen. Geriater und Geriaterinnen haben hier nicht die einzelnen Symptome, sondern den Gesamtzustand im Blick.

Eine Methode, mit der der Gesamtzustand beurteilt werden kann, ist das geriatrische Assessment. Hier werden die Probleme und Ressourcen von Patientinnen und Patienten systematisch erfasst. Auf dieser Grundlage kann dann ein ganzheitlicher Behandlungsplant entwickelt werden. Beim geriatrischen Assessment werden mit standardisierten Tests verschiedene Faktoren untersucht, beispielsweise:

  • Mobilität (Timed up and go)
  • Selbstständigkeit im Alltag (Barthel-Index)
  • Abklärung von Sturzrisiken (Tinetti-Test)
  • Depressivität (Geriatrische Depressionsskala)
  • Handkraftmessung
  • kognitive Beeinträchtigungen (Uhrentest nach Shulman)

Facharzt für Innere Medizin und Geriatrie oder Zusatz-Bezeichnung?

Die Geriatrie gewinnt zunehmend an Bedeutung: Immer mehr Universitäten richten einen entsprechenden Lehrstuhl ein. In Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt gibt es die Möglichkeit, die Facharztanerkennung im Gebiet Innere Medizin und Geriatrie zu erwerben. In der (Muster-)Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer ist diese Möglichkeit allerdings noch nicht etabliert. Allerdings könnte sich das mit der nächsten Version der Weiterbildungsordnung ändern.

Wer sich aktuell für die Geriatrie interessiert, braucht zunächst eine Facharztanerkennung im Gebiet Allgemeinmedizin, Innere Medizin, Neurologie, Physikalische und Rehabilitative Medizin oder Psychiatrie und Psychotherapie und kann dann eine Zusatz-Weiterbildung anschließen.

Hier finden Sie aktuelle Stellenangebote aus dem Gebiet Geriatrie auf ärztestellen.de
 


Geriater werden: Die Zusatz-Weiterbildung im Überblick

Dauer der Weiterbildung

  • 18 Monate Weiterbildung unter Befugnis an Weiterbildungsstätten

Inhalte der Weiterbildung

Übergreifende Inhalte der Zusatz-Weiterbildung Geriatrie

  • Demographie und Altersepidemiologie
  • Biologische, psychologische, soziologische Aspekte des Alterns
  • Management der Komplexität bei Multimorbidität
  • Ernährungsberatung und Ernährungstherapie
  • Symptomatologie und funktionelle Bedeutung von Altersveränderungen sowie Erkrankungen und Behinderungen des höheren Lebensalters
  • Sexualität im Alter

Geriatrisches Team

  • Anleitung eines interdisziplinären und interprofessionellen Teams bei geriatrischen Fragestellungen
  • Aktivierend-therapeutische Pflege in der Geriatrie
  • Multiprofessionelle Therapiekonzepte, z. B. physio- und ergotherapeutische sowie logopädische Maßnahmen

Diagnostische Verfahren

  • Geriatrische Screeningverfahren
  • Geriatrisches Assessment zur Erfassung und Verlaufsbeurteilung organischer, motorischer, funktioneller, emotioneller und kognitiver Funktionseinschränkungen (Richtzahl: 300)
    • Tests zur Beurteilung der Mobilität und des Sturzrisikos
    • Tests zur Beurteilung der Funktionalität und Performance (ATL, iATL)
    • Tests zur Beurteilung der Muskelfunktion und Muskelkraft
    • Tests zur Beurteilung der Kognition
    • Tests zur Erfassung eines Delirs
    • Tests zur Beurteilung der Emotion
    • Tests zur Beurteilung des Ernährungszustandes
    • Beurteilung der sozialen Situation
    • standardisierte Schmerzerfassung, auch bei kognitiv eingeschränkten Patienten
  • EKG (Richtzahl: 200)
  • Langzeit-EKG (Richtzahl: 50)
  • Langzeit-Blutdruckmessung (Richtzahl: 50)
  • Orthostase-Tests (Richtzahl: 50)
  • Richtungsweisende B-Modus-Sonographie des Abdomen und Retroperitoneum einschließlich Nieren und Blase
  • Richtungsweisende B-Modus-Sonographie der Halsweichteile
  • Durchführung von Punktionen, z. B. Pleura, Aszites, Liquor
  • Dopplersonographie der hirnversorgenden und peripheren Arterien und Venen
  • Echokardiographie
  • Einfache Lungenfunktionsdiagnostik
  • Endoskopische Verfahren, z. B. fiberoptische endoskopische Schluckdiagnostik und Anlage der perkutanen endoskopischen Gastrostomie
  • Spezielle neuropsychologische Testverfahren
  • Konventionelle Röntgendiagnostik des Thorax, des Abdomens und des Skelettsystems
  • Schnittbilddiagnostik

Behandlung von Gesundheitsstörungen und Krankheiten

  • Prophylaxe, Diagnostik, prognostische Einschätzung und Therapie bei geriatrischen Syndromen
    • Ernährungsstörungen und Sarkopenie einschließlich „Sarcopenic Obesity“
    • Gebrechlichkeit (Frailty)
    • lokomotorische Probleme und Stürze
    • verzögerte Remobilität/Immobilität und Dekubitus
    • Harn- und Stuhlinkontinenz
    • kognitiv-neuropsychologische Störungen einschließlich Delir, Depression und Demenz
    • metabolische Instabilität einschließlich Altersdiabetes und Anämie
    • Multimorbidität, Polypharmazie und verzögerte Rekonvaleszenz
    • Exsikkose und Elektrolytstörung
    • chronische Schmerzen
  • Sensorische Einschränkungen
  • Erstmaßnahmen und Indikationsstellung zur weiterführenden Therapie bei typischen Notfällen im Alter, z. B. Herzinfarkt, Lungenembolie, akute Blutung, Synkope, Schlaganfall, Epilepsie, Delir, Sturz, Fraktur
  • Kardiologische und angiologische Erkrankungen im Alter
  • Lungenerkrankungen im Alter
  • Gastroenterologische Erkrankungen im Alter
  • Infektiologische Erkrankungen im Alter
  • Nephrologische und urologische Krankheiten im Alter
  • Transurethraler und/oder suprapubischer Katheter
  • Hämatologische und onkologische Krankheiten im Alter
  • Endokrinologische Krankheiten und Diabetes im Alter
  • Rheumatologische Krankheiten im Alter
  • Neurologische Erkrankungen im Alter
  • Psychiatrische Erkrankungen im Alter
  • Alterstypische traumatologische und orthopädische Erkrankungen
  • Behandlung chronischer Wunden, Wundversorgung, Indikationsstellung zur weiterführenden Therapie bei Wundheilungsstörungen
  • Zahnmedizinische und kieferorthopädische Aspekte einschließlich Zahnprothetik

Pharmakotherapie

  • Spezielle Pharmakokinetik und Pharmakodynamik im Alter unter Berücksichtigung von Multimorbidität und Multimedikation
  • Psychopharmakotherapie
  • Faktoren der Pharmakoadhärenz im Alter
  • Typische Arzneimittelinteraktionen
  • Management von Multimedikation, z. B. Priorisierung, „Deprescribing“
  • Schmerztherapie im Alter
  • Antikoagulation geriatrischer Patienten

Rehabilitative Aspekte der Therapie

  • Beurteilung von Potentialen und Behinderungen nach der International Classification of Functioning, Disability and Health
  • Rehabilitationsplanung und Therapieorganisation
  • Sozialrechtliche Aspekte, z. B. Akuttherapie, Frührehabilitation, Rehabilitation unter Berücksichtigung ambulanter, teilstationärer und stationärer Leistungsangebote
  • Beantragung von Rehabilitationsleistungen
  • Einleitung von Reintegrationsmaßnahmen einschließlich Nutzung externer Hilfen

Ethische und palliativmedizinische Aspekte

  • Gesetzliche Regelungen zur Durchsetzung des Patientenwillens einschließlich Betreuungsrecht, insbesondere Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Zwangsbehandlung
  • Beratung zum Willen des Patienten, auch unter Berücksichtigung kognitiv-neuropsychologischer Einschränkungen
  • Priorisierung evidenzbasierter Verfahren hinsichtlich Prognose, Praktikabilität und Patientenwunsch
  • Symptomkontrolle bei Palliativpatienten im Alter

Konsile und Beratungen

  • Hygieneberatung
  • Inkontinenzberatung
  • Sturzprophylaxe
  • Beratung bezüglich besonderer Aspekte der Heil- und Hilfsmittelversorgung
  • Gerontotechnologie
  • Durchführung geriatrischer Konsile

Quellen: Musterweiterbildungsordnung 2018 der Bundesärztekammer, Ärztestatistik der Bundesärztekammer 2023, Statistisches Bundesamt, Deutsche Gesellschaft für Geriatrie
 


Aktuelle Stellenangebote in diesem Fachgebiet:

Assistenzarztstellen Geriatrie
Facharztstellen Geriatrie
Oberarztstellen Geriatrie

Das könnte Sie auch interessieren: