
Der Aufstieg zur Chefärztin ist nicht leicht. Sabine Grund ist er gelungen. Seit Juli 2023 ist sie Chefärztin der Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Ärztliche Direktorin der Rehabilitations-Klinik Eichholz. Was ihr dabei geholfen hat, verrät sie hier.
Frau Grund, wollten Sie schon immer Chefärztin werden?
Sabine Grund: Nein (lacht). Ich habe auf meinem Weg nie nach ganz vorne geschaut und gesagt: „Ich will unbedingt an die Spitze“, sondern immer einen Schritt nach dem anderen gemacht. Ich dachte einfach jedes Mal: „So, die nächste Hürde ist geschafft, das hast du hingekriegt, weiter geht´s.“ Und – was ganz wichtig ist – ich suchte mir dabei stets das aus, was mir Spaß macht.
Ihr persönliches Erfolgsrezept dabei?
Sabine Grund: Ich habe immer eine Stufe höher gearbeitet, als es meine Position hergab. So übernahm ich schon als Assistenzärztin zusätzlich leitende Tätigkeiten. Irgendwann hieß es dann: „Wollen Sie nicht Oberärztin werden?“. Als Oberärztin erledigte ich dann viele Aufgaben des Leitenden Oberarztes mit. Allerdings war ich jedes Mal sogar erstmal zögerlich, ob ich die Beförderung wirklich will. Doch dann sagte ich mir: „Die Arbeit machst du doch sowieso schon. Dann bekommst du auch die Bezahlung dafür“.
Welche Tätigkeiten lassen sich gut vorweg übernehmen?
Sabine Grund: Als Assistenzärztin führte ich zum Beispiel Operationen aus, die bald schon Facharztniveau hatten, und war für die Dienstplangestaltung verantwortlich. Als Leitende Oberärztin baute ich ein Endoprothesen-Zentrum mit auf. Dabei bekam ich glücklicherweise von meinem Chef freie Hand. Denn tatsächlich hängt das natürlich stark von den jeweiligen Vorgesetzten ab, wieviel sie zulassen und vertrauensvoll in Ihre Hände legen. Dann kann man sich gut weiterentwickeln, an Aufgaben wachsen, zumal wenn dies im weiteren Verlauf immer reibungsloser funktioniert.
Mir hat es zudem sehr geholfen, das Wachsen der Struktur des Krankenhauses mitzuerleben und deswegen auch detailliert zu kennen. Ich habe meine Facharzt- Ausbildung dort begonnen und insgesamt 22 Jahre gearbeitet. Also war ich gut vernetzt und wusste, an welcher Schraube ich drehen muss, um Lösungen auch über Fachgebietsgrenzen hinaus zu finden. Das hat den internen Aufstieg enorm erleichtert.
Was ist noch wichtig?
Sabine Grund: Sie müssen irgendwann in Ihrer Laufbahn verstehen, wie entscheidend es ist, dass sie andere gut einarbeiten, damit Sie selbst Platz für die eigenen Tätigkeiten bekommen. Ein Klassiker, der vielen im Wege steht: Formell soll man die alten Aufgaben nicht in die neue Position mitnehmen. Aber in der Realität lässt sich vieles nur abgeben, wenn man zum Beispiel als neue Oberärztin die Assistenzärzte gut anleitet und auch fordert, damit diese ihre Tätigkeit selbstständig bewältigen. Sonst hängt man in deren Arbeit doch wieder mit drin und dreht sich im Kreis.
Wie sieht es aus mit Überlastung?
Sabine Grund: Die Arbeitsbelastung war immer hoch. Und gerade ein operatives Fach, und hier besonders die Unfallchirurgie, hat ein hohes Maß an Unplanbarkeit. Gut gefüllte Bereitschaftsdienste und lange Arbeitstage wegen notwendig gewordener Operationen kamen regelmäßig vor. Das wirkt auch in das Privatleben hinein. Damit aus der Belastung keine Überlastung wird, ist es sehr wichtig, dass das persönliche Umfeld in der Familie und mit Freunden stimmt. Wenn man dafür irgendwann zu wenig Freiraum hat, macht alles keinen Spaß mehr: Der Willen sich fortzuentwickeln schwindet. Neue Herausforderungen nimmt man dann schon gar nicht mehr an.
Wie haben Sie das Familienleben gemanagt?
Sabine Grund: Wenn ich nicht Rückendeckung meines Mannes gehabt hätte, der zeitweise Vollzeit zu Hause war, wäre zugegebenermaßen vieles für mich schwerer gewesen. Auch das Aufziehen unseres Kindes war so leichter.
Was raten Sie Kolleginnen mit Kindern, die keinen Hausmann haben?
Sabine Grund: Es braucht nach wie vor eine gute, sichere Struktur zur Unterbringung des Kindes, die auch flexibel genug ist. Sprich, dass dann vielleicht die Großeltern oder ein Babysitter einspringen, wenn es erkrankt und spontan aus dem Kindergarten abzuholen ist. Das erleichtert die Vereinbarkeit von Arbeit und Familienleben.
Hier muss aber auch der Arbeitgeber sich an die Lebenswirklichkeit anpassen: Ich habe jetzt als Chefin auch Mitarbeiterinnen, die zu einer bestimmten Uhrzeit gehen müssen, die nicht unbedingt zu dem Zeitpunkt der anfallenden Arbeit passt. Das macht die Planung nicht gerade einfach, aber man kriegt das hin, wenn alle mitmachen. Es ist im Idealfall ein Geben und Nehmen: Eine Mitarbeiterin wohnt zum Beispiel in der Kliniknähe. Sie sagt manchmal: „Ich muss jetzt los, kann aber später noch mal eine Stunde kommen“. Dafür gibt es bei uns ja auch eine Zeitdokumentation. Andere sind zum Beispiel dienstags zeitlich angespannt, dafür aber mittwochs und donnerstags flexibler. Klar ist: Bei uns in der Reha-Klinik ist das einfacher als in Kliniken der Akutversorgung. Trotzdem glaube ich, dass viele Häuser in diesem Punkt noch nachlegen müssen, damit ihnen die Leute nicht weglaufen.
Braucht es Verbündete auf dem Weg nach oben?
Sabine Grund: Auf jeden Fall. Frauen sollten wirklich mehr netzwerken. Unterstützung kommt häufig von Kolleginnen auf Augenhöhe. Aber auch Frauen, die in anderen Bereichen arbeiten, können einem gute Ideen aus ihrem Erfahrungsschatz mitgeben, nach dem Motto: „Bei uns haben wir das so und so gemacht“. Auch sich gegenseitig mental zu unterstützen ist hilfreich. Dieses Miteinander ist immens wichtig, und das gilt ebenso im eigenen Team. Wenn Sie auf einer Position sind und als Einzelkämpferin agieren, verzetteln Sie sich, verschleißen und gehen unter!
Wie gelang der Sprung nach ganz oben?
Sabine Grund: Vor rund fünf Jahren nahm ich an einer interdisziplinären Führungskräfte-Werkstatt teil, die von der Klinik angeboten wurde. Dort wurden alle relevanten Führungs- und Management-Themen, wie Teambuilding, Mitarbeitergespräche führen, Umgang mit schwierigen Mitarbeitern und wirtschaftliches Denken an uns herangetragen. Das waren jeweils zwei Seminartage verteilt über mehrere Jahre. Teilnehmende waren Führungskräfte der mittleren Ebene aus verschiedenen Organisationsbereichen, wie der Pflege oder der Verwaltung. Neben dem Fachwissen erfuhr man so auch mehr aus den anderen Bereichen, lernte noch intensiver die Struktur des Hauses und die dort tätigen Personen kennen, und das Wir-Gefühl wurde gestärkt. Mir hat das nicht nur Spaß gemacht, sondern vor allem mein Selbstbewusstsein gestärkt. Ich wusste zum Schluss einfach: „Das kannst du auch!“ Hätte ich das nicht gemacht, wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin.
Darüber hinaus ist es sehr wichtig, sich ab einem gewissen Punkt berufspolitisch zu informieren, zu wissen, was sich wie im Gesundheitssystem wo abzeichnet, in welche es Richtung geht – um dann in diesen Themen auch gut aufgestellt zu sein.
Extratipp von der erfahrenen Coachin Ulrike Ambrosy:
Über was sollte man sich bewusst sein, wenn man diesen Weg geht?
Sabine Grund: Man sollte sein Ziel vor Augen haben, aber auch mal nach links und rechts schauen. Und letztlich das wählen, was einem Spaß macht. Das gilt schon für die Suche nach dem richtigen Fachbereich. Ich wollte erst Augenärztin werden, dann Kinderärztin oder Kinderchirurgin. Letztlich bin ich über Umwege zur Chirurgie gekommen. Eigentlich wollte ich im PJ dort nur ein bisschen Erfahrung für die Kinderchirurgie sammeln, bin dann aber überzeugt dabeigeblieben. Sehr viele haben mir gesagt: „Chirurgie, das bedeutet schlechte Arbeitszeiten. Entscheide dich doch lieber für die Anästhesie, da kannst du gut Teilzeit arbeiten“. Doch ich wollte das machen, was mir Freude bereitet und mir liegt. Ich habe gemerkt, ich brauche das Handwerk. Und das, obwohl die Chirurgie damals einen viel geringeren Frauenanteil hatte. Das hat sich aber schon zum Besseren geändert.
Haben Sie diese Veränderung miterlebt?
Sabine Grund: Ja, und es war auch manchmal eine Herausforderung. Hier hat mir meine Zielstrebigkeit und Genauigkeit geholfen. Ich kann mich an folgende Phase anfänglich sehr gut erinnern: Ich hatte einen altgedienten Oberarzt, der mich anfangs belächelte nach dem Motto „Naja, jetzt haben wir auch noch eine Frau in der Abteilung…“. Er wollte immer relativ zügig die Operationstätigkeit aus meiner Hand und damit selbst übernehmen. Also habe ich zu ihm bei den ersten OPs gesagt: „Jetzt lassen Sie mich doch mal. Ich mache hier weiter. Ich kriege das hin.“ Da schaute er ganz erstaunt. Denn, dass er so eine Ansage oder gar Widerworte kriegte, kannte er gar nicht. Als er dann aber merkte, dass alles auch mit mir funktionierte, hat sich letztendlich bei ihm und damit in der ganzen Abteilung viel getan. Nach einer Weile wollte er sogar lieber Frauen einstellen, weil er meinte, dass die alles strukturiert abarbeiten, sodass er sich kaum noch kümmern bräuchte.
Was sind Ihre persönlichen Top-Tipps für eine Klinik-Karriere?
Sabine Grund: Sie müssen sehr beharrlich sein und ein sicheres Auftreten haben. Entscheidend ist zudem Authentizität im Umgang mit Kolleginnen und Kollegen. Ich bin ein sehr ehrlicher Typ, sage immer, was ich denke. So wissen die anderen stets, woran sie bei mir sind. Was ich auch immer gelebt habe und womit ich in meiner neuen Position gut klarkomme, ist eine sehr wertschätzende Art jedem Mitarbeitenden gegenüber. Ich bin keine Führungskraft, die von oben herab dirigiert. Das empfehle ich auch allen: Verlieren Sie nicht die Bodenhaftung, egal wie weit Sie nach oben kommen – und nehmen Sie die anderen Berufszweige, insbesondere die Pflege, mit.
Zur Person:
Sabine Grund ist Chefärztin der „Orthopädie und Unfallchirurgie" und Ärztliche Direktorin Rehabilitations-Klinik Eichholz, Bad Waldliesborn. Von 2000 an war sie am Marienkrankenhaus Soest tätig, zuletzt acht Jahre als Leitende Oberärztin. Seit 2018 lässt sie sich in ihrem Werdegang von Ulrike Ambrosy begleiten.