
Starkregen und Flutkatastrophen, Dürren und Waldbrände – über diese Folgen des Klimawandels wird fast täglich berichtet. Über die Auswirkungen der steigenden Sommertemperaturen auf Kranke und den Arztberuf hingegen weniger. Der Spezialist für Lungenerkrankungen und Hitzeforscher Prof. Dr. Christian Witt gibt Auskunft über Gefahren und Chancen.
Der Klimawandel und die dazu gehörenden steigenden Hitzegrade verändern die Arbeit in Krankenhaus und Praxis schon seit Jahren. Und dabei geht es längst nicht nur um mehr Hitzschläge und Hautkrebs. Selbst bei nur einem Grad durchschnittlicher Erwärmung – ein Ziel, das bereits jetzt nicht mehr erreichbar ist – steige die Gesamtmortalität an respiratorischen Erkrankungen in den Hitzeperioden um drei bis sechs Prozent, sagt der Lungenexperte Christian Witt. Anders ausgedrückt: In einem sehr heißen Sommer sterben in Deutschland Tausende vor allem betagte Menschen vorzeitig in Zusammenhang mit oder an der Hitze, und zwar seit Jahren. Laut Robert-Koch Institut war 2018 das schlimmste Jahr der jüngeren Vergangenheit mit schätzungsweise um die 8.000 hitzebedingten Todesfällen. Für 2023 werden etwa 2.400 Fälle bis Mitte August angenommen.
Auch die aktuelle Tendenz, die Anzahl der Krankenhausbetten zu reduzieren, könnte an der Hitze scheitern. So wurde beispielsweise für den US-Bundesstaat New York, in dem knapp 20 Millionen Menschen leben, bei einer Klimaerwärmung von drei bis vier Grad eine Zunahme der Notfallaufnahmen im Krankenhaus wegen Lungenkrankheiten von jährlich bis zu 600 Fällen hochgerechnet.
Therapien müssen geprüft werden
„Es trifft vor allem Alte, Multimorbide und chronisch Kranke“, erläutert Witt. Und dabei beeinflusst die Hitze eine ganze Menge verschiedener Beschwerden, beispielsweise Hypertonie, Diabetes, multimorbide chronische Herz- und Nierenerkrankungen sowie alle Lungenleiden, „denn die ist das Grenzorgan des Körpers zur Umwelt“, so Witt.
Eine Tatsache ist dem Hitzeforscher zudem besonders wichtig: Vulnerabilität kommt nicht nur durch die Krankheiten – die sind nur einer der größten Faktoren – sondern oftmals auch durch deren Therapie. „Medikamente beeinflussen den Flüssigkeitshaushalt aktiv. Daran müssen Mediziner denken, zum Beispiel bei der Behandlung von Bluthochdruck. Bei der Hitze erweitern sich die Blutgefäße sowieso und der Blutdruck sinkt.“ Aber auch bei Nierenerkrankungen gelte Vorsicht. Zusammengefasst: Manche Therapien verändern die adaptive Kapazität der Menschen. Witt betont: „Die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Hitzestress ist aber bei den Vulnerablen ohnehin schon limitiert.“
Dabei sind nicht nur die heißen Tage das Problem. Der erfahrene Fachmann erklärt dazu: „Die Nächte sind für empfindliche Gruppen oft noch schlimmer. Denn ein geschwächter Körper kann sich bei Temperaturen, die mit über 20 Grad schon tropisch sind, nicht erholen. Wenn der Mensch nicht ordentlich schläft, wird das kritisch. Da ist man am nächsten Tag noch fertiger. Irgendwann geht diese Eskalation nicht weiter und endet für manche nicht gut.“
Initialerlebnis: Sommermärchen 2006
Auf die Frage, warum er sich so für das Thema engagiert, blickt Witt zurück auf die Fußball-WM in Deutschland: „Damals standen Lungentransplantationen in der Charité an und diese Patienten mussten im Krankenhaus warten.“ Es war unglaublich heiß – nicht alle überlebten die Wartezeit. Er erinnert sich: „Transplantationspatienten waren meiner Meinung nach damals die vulnerabelste Gruppe, und sind es auch heute noch. Es war für uns die schlimmste ärztliche Niederlage, dass manche gegangen sind, bevor wir ihnen helfen konnten.“ Dieser Sommer war für ihn das Initialereignis, um sich mit den Folgen steigender Temperaturen zu befassen.
„Ich dachte damals: Es wäre vielleicht klüger, das Krankenzimmer zu klimatisieren, statt noch mal und noch mal in den Medikamentenschrank zu greifen…“ Als Ergebnis dieser Fragestellung entstand eine Studie. Diese stellte fest, dass in Zimmern mit 23 Grad eine deutlich bessere Rekonvaleszenz und schnellere Mobilisierung erfolgt. Heute gibt es solche gekühlten Krankenzimmer deutlich häufiger. Dasselbe gilt für zahlreiche Fortbildungen zum Thema. Aber: „Das Wissen über die medizinischen Folgen des Klimawandels muss auch in die Curricula der Fort- und Weiterbildungen aufgenommen werden“, fordert Witt und führt aus: „Wir brauchen keinen Hitze-Arzt, sondern qualifizierte Frontärzte für die Versorgung, die Bescheid wissen.“ Denn die Medizin sollte sich, so der Experte, tendenziell auf 20 bis 30 Hitzetage mit über 30 Grad in jedem Jahr einstellen.
Müssen wir alle unser Verhalten ändern?
Manches klingt banal: Menschen sollten zum Beispiel lernen, immer im Schatten zu gehen. Witt erklärt: „Ein normaler Fußgänger etwa in Belgrad weiß, dass er das tun muss, wenn es warm ist. Das lernen wir jetzt in Berlin halt auch langsam.“ Alle sollten erkennen, dass Menschen an diesen heißen Tagen eben keine Leistungsspitzen erbringen können. Auch die Praxis kann ruhig früher schließen, wenn hitzebedingt viele nicht mehr kommen können. Die Menschen müssten das als häufigere Ausnahmesituation verstehen lernen.
Aber auch die Mediziner sollten ihr eigenes Verhalten prüfen und sich laut Witt mehr um die Umwelt kümmern. „Der Arzt hat eine lebensphilosophische und gesellschaftliche Vorbildfunktion. Wir entscheiden selber, ob wir weiterhin CO2 durch den Auspuff jagen oder ein Elektroauto fahren.“ Von der Politik erhofft er sich so praktische Dinge wie städtische Kälteräume. Solche Cooling Center existieren etwa schon in Wien. „Ich hatte Patienten, die sind Auto gefahren, nur weil sie darin eine Klimaanlage haben! Das geht so doch nicht. Wir sind eine alternde Gesellschaft, in der die halbe Bevölkerung über 50 ist, daran müssen wir denken.“
Wie wird die Zukunft?
Dennoch sieht Witt den Klimawandel auch als Triebfeder für positive Veränderungen. „Wenn wir die Emissionen dadurch immer weiter runterkriegen, wird in der Mitte des Jahrhunderts die Zahl der vorzeitigen Todesfälle (Premature Deaths) durch Luftbelastung (Air Pollution) geringer sein, als die der vorzeitigen Hitzetoten. Eine Minderung der Lebenserwartung muss nicht sein.“