Was bedeutet der Klimawandel für Ärztinnen und Ärzte?

19 Juli, 2021 - 13:37
Michael Fehrenschild
Thermometer an einer italienischen Apotheke zeigt 40°C
Durch den Klimawandel werden Temperaturen von 40°C und mehr (hier: gemessen im Juli 2019 in Este, Italien) auch in Europa häufiger auftreten.

Die Folgen der Erderwärmung werden immer spürbarer, auch im eigenen Lebens- und Berufsalltag. Welche begegnen Ärzten bereits heute auf der Arbeit? Was wird noch kommen? Und: Gibt es Hoffnung? Der Mediziner Florian Schulte, der sich seit Jahren für den Klimaschutz engagiert, berichtet über Gefahren, aber auch Chancen.

Während der Hitzewelle 2018 starben nach Angaben des Robert-Koch-Instituts in Berlin 490 Menschen mehr als zu dieser Jahreszeit üblich. Und die internationale Studie „The burden of heat-related mortality attributable to recent human-induced climate change“, die am 31. Mai 2021 in der Fachzeitschrift „Nature Climate Change" veröffentlicht wurde, führt weltweit ein Drittel der Hitzetoten aus den Jahren 1991 bis 2018 direkt auf den Klimawandel zurück. Auch hohe Feinstaubbelastung und sinkende Trinkwasserqualität hängen mit den steigenden Temperaturen zusammen.

Für Ärzte in Deutschland können diese weltumspannenden Entwicklungen heute bereits schwierigere Arbeitsbedingungen und veränderte Krankheitsbilder mit sich bringen. Der Mediziner Florian Schulte, der aktuell zum Thema Hitzesterblichkeit promoviert, ist vielen dieser neuen kleinen und großen Probleme schon persönlich begegnet.

Überhitzte Intensivstationen

So gibt es zum Beispiel inzwischen deutlich mehr gefährliche Sonnenstich-Fälle. „Das wird von Ärzten und Patienten immer noch unterschätzt und oft nicht richtig erkannt“, berichtet er. Schulte hat die Problematik der unmittelbaren Hitzeauswirkungen aber auch schon bei der Arbeit im Krankenhaus miterlebt: „Während der Hitzewelle 2018 habe ich in einer Schweizer Klinik gearbeitet. Es war so heiß, dass die Klimaanlage auf der Intensivstation an ihre Grenzen kam. Das ganze Personal war in Sorge, ob die Patienten das packen, vor allem wenn wir sie wieder auf eine normale Station verlegen wollten.“ Der 35-Jährige erinnert sich dabei besonders an eine Patientin. Sie war wegen Herzinsuffizienz in Behandlung und dehydrierte nachts so stark, dass ihr Blutdruck ganz nach unten sackte. Dies geschah nicht zuletzt, weil die Hitze in der Therapie unberücksichtigt war. „Solche Erlebnisse könnten in Zukunft den ärztlichen Alltag immer häufiger begleiten, egal ob im Krankenhaus oder der Hausarztpraxis“, sagt er.

Kommen die Tropenkrankheiten?

Zu der Übersterblichkeit während sommerlicher Hitzewellen drohen aber noch andere Risiken. So verlängert das wärmere Klima die Pollenflugphasen und führt dadurch zu mehr Allergien und Lungenbeschwerden. Die Bundesrepublik muss sich sogar auf Tropenkrankheiten gefasst machen. „Die sind ja schon da. Das West-Nil-Fieber ist in Sachsen und der Hauptstadt bereits aufgetreten“, erklärt der Mediziner. Weitere mögliche Gefahren sind die asiatische Tigermücke, die mittlerweile in Süddeutschland lebt und das Dengue-Fieber verbreiten kann. Sogar die Anopheles-Mücke, der Malaria-Überträger, ist hierzulande erneut aufgetaucht. Beide Krankheiten brachen bei uns zwar noch nicht wieder aus, doch das könnte sich ändern. Denn bei mehr Hitze leben Mücken länger, was die Virenentwicklung begünstigt. So gab es Miniausbrüche von Dengue-Fieber in den letzten Jahren schon in Südfrankreich.

Aber Schulte, der auch politisch aktiv ist, sieht noch ganz andere Zusammenhänge, welche die Ärzte der Welt beschäftigen werden. So benennt er die Tatsache, dass der Hunger, der bis 2014 global rückläufig war, durch Dürren in einigen Regionen der Erde wieder zunimmt. Dies kann zu mehr sozialen Spannungen und Gewalt führen: „Selbst bei einer Katastrophe wie dem syrischen Bürgerkrieg war eine jahrelange Trockenheit zwischen 2006 und 2011 mitverantwortlich für den Beginn der Feindseligkeiten.“ Schulte spielt dabei auf die enormen wirtschaftlichen und sozialen Probleme an, die durch diese Hitzeperiode ausgelöst wurden – und die trafen auf die Unfähigkeit des Assad-Regimes, Lösungen zu finden.

Doch auch hierzulande drohen aufgrund von Wetterextremen negative Auswirkungen. Neben Toten und Verletzten durch Unwetter können auch seelische Erkrankungen zunehmen - etwa bei ruinierten Landwirten aufgrund von Ernteausfällen, oder wenn zerstörte Wälder keine Erholung mehr bieten. Für solche Phänomene benutzen Wissenschaftler den relativ neuen Terminus „Solastalgie“. Dieser meint den Verlust der gewohnten Umgebung und der umliegenden Natur. Solche Erfahrungen machen Menschen krank und depressiv. Und das landet auf die eine oder andere Weise dann wieder in der Sprechstunde.

Neuausrichtung des Gesundheitswesens

Für Schulte existieren zudem etliche Verknüpfungen zwischen Klimawandel und Gesundheitspolitik. So gibt es auch in Deutschland Schnittstellen zu vielen Zivilisationskrankheiten. Beispiele sind etwa der Bewegungsmangel vieler Menschen bedingt durch das Autofahren und eine Ernährung mit viel Fleisch. Beides ist ungesund und schadet obendrein dem Weltklima. Schulte rät insgesamt dazu, die ganze Problematik weiterzufassen. Er erhofft sich eine Umorientierung und komplette Richtungsänderung des öffentlichen Gesundheitswesens: „Wir haben eine hochtechnisierte, auf individuelle Therapie fixierte Medizin. Stattdessen sollten wir vermehrt auf Prävention setzen. Die Hausarztpraxis sollte gemeinsam mit Patienten schauen, wie im Einzelfall die Umsetzung eines gesunden und klimafreundlichen Lebensstils gelingen kann. Wir müssen uns hier mehr Raum für Gespräche nehmen, die auch ausreichend vergütet werden sollten. Lebensstilmedizin steht auch jetzt schon in den Leitlinien ganz vorne, wird aber oft aus Zeitmangel kaum umgesetzt.“

Würden mehr Menschen das Fahrrad nutzen und verstärkt Gemüse, Nüsse und Hülsenfrüchte essen, spare das sogar dem hiesigen Gesundheitssektor viel Geld. Denn: „Wenn wir die ganze Zeit nur reagieren, wird es teuer. Gestalten wir die Situation aber selbst, etwa durch gute Stadtplanung, wird es viel günstiger. Wir müssen zum Beispiel verstehen, dass der Bau von Radwegen auch Gesundheitspolitik ist. So etwas muss gefördert werden.“

Klimawandel als Chance?

Mittlerweile engagieren sich zahlreiche Mediziner, um den Klimawandel einzudämmen, etwa bei Gruppen wie Health for Future. Schulte selbst arbeitet aktuell bei der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. (KLUG). Deren Ziel ist es, ärztliche Netzwerke aufzubauen, lokale Initiativen zu unterstützen und Informationen an ein medizinisches Publikum zu verbreiten. Interessierte Ärztinnen und Ärzte sind dort immer willkommen. Schulte ist insgesamt aber durchaus optimistisch: „Erst einmal wird der Klimawandel weitergehen. Doch wenn wir die Herausforderung annehmen und uns wirklich darum kümmern, haben wir gute Chancen, danach sogar eine bessere Situation für unsere Patientinnen und Patienten und für den Planeten zu schaffen. Es geht nicht nur darum, unseren Fußabdruck immer mehr zu verkleinern, sondern unseren Handabdruck zu vergrößern.“

Der Experte:

Florian Schulte

Florian Schulte, 35, arbeitete in verschiedenen Krankenhäusern in der Schweiz und der Bundesrepublik sowie in einer Hausarztpraxis in Dortmund. Zudem erwarb er einen Master in International Health und belegte ein Global Health Curriculum, um besser in internationalen Hilfsorganisationen mitwirken zu können. Er ist politisch aktiv in der Klimaschutzbewegung. Aktuell ist er für die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. (KLUG) tätig.

Bild: © privat

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