Klinikleitung als Mutter von drei Kindern: Wie kann das gelingen?

25 Juni, 2020 - 07:58
Stefanie Hanke
Dr. Mareike Schüler-Springorum
Dr. Mareike Schüler-Springorum ist Ärztliche Direktorin des LWL-Therapiezentrums für Forensische Psychiatrie Marsberg.

Karriere als Ärztin machen – und gleichzeitig auch der Familie gerecht werden? Dass das kein Widerspruch ist, zeigt das Beispiel von Dr. Mareike Schüler-Springorum: Sie ist Ärztliche Direktorin des LWL-Therapiezentrums für Forensische Psychiatrie Marsberg und dreifache Mutter. Im Interview gibt sie Tipps, wie man Klinik und Familie unter einen Hut bekommt.

Frau Dr. Schüler-Springorum, Sie sind Ärztliche Direktorin des LWL-Therapiezentrums für Forensische Psychiatrie Marsberg und haben drei Kinder im Teenager-Alter. Wie sieht Ihr aktuelles Arbeitszeitmodell aus?

Dr. Mareike Schüler-Springorum: Aktuell habe ich eine 90-Prozent-Stelle – also 36 Wochenstunden. Inzwischen sind die Kinder etwas größer und bleiben länger in der Schule – deshalb habe ich vor Kurzem von 32 Stunden etwas aufgestockt. Das Ganze ist aber kombiniert mit einem Home-Office-Tag pro Woche, an dem ich ganz von zu Hause aus arbeiten kann. Außerdem habe ich Vertrauensarbeitszeit, die mir eine maximale Flexibilität bietet. Und natürlich hilft mir eine große Bandbreite an mobilen Endgeräten, mit denen ich selbst entscheiden kann, von wo aus ich arbeite. Das ist sicher ein Luxus, wenn man in der Klinikleitung arbeitet. Aber in der Psychiatrie fällt auch viel Schreibtischarbeit an. Um lange Patientenbriefe zu schreiben, muss ich nicht zwangsläufig in der Klinik anwesend sein. In dieser Kombination ist das mit drei pubertierenden Kindern gut machbar.

Wie haben Sie den Wiedereinstieg nach der Elternzeit erlebt?

Dr. Mareike Schüler-Springorum: Meine ersten beiden Kinder sind ja Zwillinge. Ich war gerade mit der Facharztweiterbildung fertig – und mein Chef hatte mir für die Zeit nach der Elternzeit eine Stelle als Oberärztin versprochen. Allerdings war das schwieriger als gedacht: Es war ziemlich frustrierend für mich, dass gerade von den anderen Oberärztinnen so viel Gegenwind kam. Es waren die Kolleginnen, die damals sagten: „Oberärztin nur in Vollzeit.“ Sie hatten Angst davor, dass sie nachmittags meine Arbeit miterledigen müssten und wollten mich nur als Assistenzärztin im Team haben. Deshalb habe ich mich letztlich gegen diese Stelle entschieden. Meine jüngste Tochter kam auch kurz darauf. Mir wurde dann eine Stelle als Oberärztin in Kassel angeboten – da bin ich dann nach der zweiten Elternzeit wieder eingestiegen.

Wie haben Sie sich in dieser Stelle organisiert?

Dr. Mareike Schüler-Springorum: Der Chef in dieser Klinik konnte mit Teilzeit erst gar nichts anfangen. Bei den Vertragsverhandlungen haben wir um halbe Stunden gefeilscht und uns nach einigem Hin und Her auf 27,5 Stunden geeinigt. Das hat dann gut funktioniert. Der Preis für die geringeren Stundenzahlen ist natürlich, dass man in einem Wahnsinnstempo durcharbeiten muss, um das Pensum zu schaffen. Es fehlt dann einfach die Zeit für die kleinen Schwätzchen zwischendurch, die ja eigentlich auch zu einem guten Zusammenarbeiten dazugehören.

Als Oberärztin und jetzt als Klinikleiterin sind Sie ja auch immer Vorbild für andere. Welche Rolle spielt das für Sie?

Dr. Mareike Schüler-Springorum: Schon bei dieser Stelle in Kassel glaube ich im Rückblick, dass das für viele Kollegen auch ein Signal dafür war, dass sich hier etwas bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie verändert hat. Wenn man als Oberärztin auch mal einen Tag nicht kommt, weil das Kind Fieber hat, sehen die anderen, dass das grundsätzlich möglich ist. Ich habe zum Beispiel auch ein Reisebett in mein Büro gestellt, um die Kinder auch dort betreuen zu können, wenn sie noch nicht wieder fit genug für den Kindergarten waren. Dann fällt man nicht den ganzen Tag aus, sondern kann ein paar Stunden arbeiten und das Allerdringendste erledigen. Und nach einer Weile haben sich Kolleginnen dieses Bett von mir ausgeliehen. Auch solche Gesten schaffen ja eine Atmosphäre, dass Beruf und Familie besser vereinbart werden können – das war ein großes Signal.

Sie können als Klinikleiterin inzwischen auch selbst vieles mitgestalten. Was haben Sie zum Beispiel in Marsberg eingeführt?

Dr. Mareike Schüler-Springorum: Wir haben eine klare Regelung eingeführt, wie Urlaub verteilt wird, damit das für alle so fair wie möglich wird. Die, die keine Kinder haben, sollten ihren Urlaub also nicht unbedingt in den Ferienzeiten einplanen. Wer Kinder in der Schule oder im Kindergarten hat, hat erstmal Vorrang – dann kommen die, deren Partner an Schulferien gebunden ist oder Betriebsferien hat. Wir haben auch die Arbeitszeiten flexibilisiert: Es gibt keine Frühbesprechung mit Anwesenheitspflicht mehr. Alle wichtigen Besprechungen liegen jetzt in den Kernzeiten zwischen 9 und 14 Uhr. Dann haben wir Ferienspiele eingeführt, die wahnsinnig gut ankommen. Aktuell bieten wir das vier Wochen in den Sommerferien an, aber wir werden das sicher auch noch auf die Oster- und Herbstferien ausweiten.

Was für ein Angebot ist das genau?

Dr. Mareike Schüler-Springorum: Das ist ein Angebot für Kinder ungefähr zwischen fünf und 13 Jahren. Die Kinder können morgens gebracht werden und werden von Erziehern und Pädagogen betreut. Die Kinder machen jede Woche einen größeren Ausflug – zum Beispiel in einen Freizeitpark. Und ansonsten haben sie ein Zelt auf dem Klinikgelände, eine Hüpfburg und mehrere Räume, wo sie je nach Altersgruppe und Interessen ganz verschiedene Sachen machen können: Basteln, Karaoke singen oder sogar ein Theaterstück einstudieren. Am Ende gibt es da noch eine Aufführung. Was daran toll und wichtig ist: Die Kinder werden nicht nur für einen gewissen Zeitraum betreut, sondern ganz flexibel, bis die Eltern sie wieder abholen können. Wenn es etwas später wird, weiß ich, dass meine Kinder in guten Händen sind. Das gleiche gilt auch für eine Pflegekraft, die schon um 06:30 Uhr ihren Dienst anfängt – die kann natürlich ihr Kind auch vorher dort abgeben. So haben Eltern zumindest diese vier Wochen der Schulferien gut abgedeckt.

Was für Möglichkeiten haben Sie noch, den Eltern den Alltag zu erleichtern?

Dr. Mareike Schüler-Springorum: Wir haben konkrete Pläne für einen Betriebskindergarten mit sehr flexiblen Öffnungszeiten, damit auch Kollegen im Schichtdienst davon profitieren. Schön ist, dass wir dabei sehr stark vom zuständigen Jugendamt unterstützt werden und es viel weniger bürokratische Hürden gibt, als wir erwartet hatten. Außerdem kann man zum Beispiel aus der Klinikküche kostengünstiges Essen für die Familie mitnehmen. Ich erinnere mich noch gut daran, was für ein Horror das früher mit einer Halbtagsstelle war: Ich bin völlig k.o. von der Arbeit gekommen und habe die Kinder aus dem Kindergarten abgeholt, und die hatten erstmal Hunger – und dann musste man erstmal Essen machen und die Kinder waren knatschig. Das ist eine große Entlastung, wenn man in so einer Situation zumindest beim Kochen entlastet wird und das Mittagessen einfach mitnehmen kann. Inzwischen ist das natürlich leichter, weil es in Kitas ja auch meistens Essen gibt. Aber es kann ja auch schön sein, wenn man abends auch nicht kochen muss.

Was machen Sie, wenn Sie z.B. mal zu einer Fortbildung in eine andere Stadt fahren, wo Sie auch übernachten müssen?

Dr. Mareike Schüler-Springorum: Das ist für viele Eltern ein riesiges Problem. Unser Krankenhausträger bietet an, dass man für mehrtägige Fortbildungen auch eine Betreuungsperson für die Kinder mitnehmen kann – die Kosten für die Kinder und die Betreuung werden vom Arbeitgeber übernommen. Aber man muss auch selbst schauen, welche Möglichkeiten es noch gibt. Zum Beispiel bietet die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) auf ihrer Jahrestagung eine großartige Kinderbetreuung an. Das war jahrelang für mich das wichtigste Fortbildungsangebot, weil ich meine Kinder einfach mitnehmen konnte.

Welche anderen Projekte können Sie sich vorstellen, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch weiter zu verbessern?

Dr. Mareike Schüler-Springorum: Wir wollen hier in Marsberg zum Beispiel ein Eltern-Kind-Büro einrichten, von dem auch Pflegemitarbeiter profitieren können. Gerade in der Pflege kann man das Kind ja noch schlechter mitnehmen als ein Arzt, der ein Arztzimmer hat. Aber auch für Pflegekräfte sollte es möglich sein, ein krankes Kind mitzubringen und dann an so einem Tag eben beispielsweise Pflegeplanung und Dokumentation zu machen. Ich kenne ein Projekt aus Niedersachsen: Dort wurde ein eigenes Möbel auf Rollen geschreinert, das aus einem Kinderbett und einem Spielbereich besteht. Das können Eltern dann in ihr Büro schieben, wenn sie das Kind mal mit zur Arbeit bringen müssen. Wir überlegen auch, ein Ferienangebot für Jugendliche anzubieten – zum Beispiel eine Ferienfreizeit nach Sylt mit englischsprachigen Betreuern.

Wie bringt man Kollegen dazu, familiäre Termine auch wirklich ernst zu nehmen?

Dr. Mareike Schüler-Springorum: Ich trage solche Termine wie Elternsprechtag, Klaviervorspiel der Kinder etc. offen in meinen Kalender ein. Da steht dann nicht nur „privater Termin“, sondern etwas konkreter, was es ist. Der Kalender ist für viele Kollegen einsehbar – und so zeige ich, dass diese Termine für mich auch Priorität haben. Wenn da nur etwas Verschlüsseltes steht, ist das eben doch noch ein Signal, dass man nicht offen sagen darf, wenn man wegen der Kinder schon etwas vorhat. Das ist mir übrigens nicht selbst eingefallen, sondern das war ein Tipp von Ursula von der Leyen, die ja selbst sieben Kinder hat. Aber natürlich gehört auch immer eine gewisse Fairness dazu. Eltern können nicht erwarten, alle Brückentage frei zu bekommen und die Kinderlosen müssen sehen, was übrigbleibt und immer im November Urlaub nehmen. Und beide Elternteile sollten auch untereinander fair aufteilen, wer zu Hause bleibt, da sehe ich auch die Väter in der Pflicht.

Was für Tipps haben Sie für junge Eltern, um den Wiedereinstieg nach der Elternzeit zu erleichtern?

Dr. Mareike Schüler-Springorum: Ganz wichtig ist, dass man den Kontakt hält – und zwar nicht nur dadurch, dass man Fotos der Kinder in die WhatsApp-Gruppe mit den Kollegen stellt. Besser ist es, zum Beispiel mal eine Fortbildung zu besuchen. So zeigt man, dass man sich auch immer noch für den Beruf und das Fach interessiert und bleibt im Kontakt zum Chef und den Kollegen. Die Angst beim Wiedereinstieg nach der Elternzeit ist ja oft: Wie komme ich da wieder rein? Wie sehen mich die anderen, wenn ich wiederkomme? Wenn man die ganze Zeit den Kontakt hält, wird das viel einfacher. Und auch in der Elternzeit kann man sich weiterqualifizieren: Fortbildungen finden oft am Wochenende statt – dann kann sich vielleicht der Partner eher kümmern. Inzwischen kann man die Elternzeit ja auch über zwei Jahre strecken und in dieser Zeit mit einer niedrigen Stundenzahl zu arbeiten. Eine Kollegin von mir ist zum Beispiel zu Anfang jeden Tag nur eine Stunde gekommen, um Patienten Blut abzunehmen. Das hat die anderen Kollegen sehr entlastet – und für sie selbst war es auch gut, eben eine Stunde am Tag nicht nur Mama zu sein, sondern etwas Anderes zu tun und gleichzeitig in der Klinik präsent zu bleiben. Eine andere Möglichkeit ist es, z.B. Nachtdienste zu übernehmen, wenn der Partner zu Hause bei den Kindern ist. Und Arbeitgeber sollten die Kollegen in Elternzeit z.B. zur Weihnachtsfeier oder zum Sommerfest einladen.

Was für einen Tipp haben Sie abschließend noch, um Beruf und Familie so gut wie möglich unter einen Hut zu bekommen?

Dr. Mareike Schüler-Springorum: Man sollte sich von der Vorstellung trennen, alles perfekt machen zu wollen. Man muss einen Mittelweg finden: Niemand kann die Super-Übermutter sein, und gleichzeitig eine erfolgreiche Ärztin in einer Führungsposition. Der größte Feind von „gut“ ist „perfekt“. Ich musste mir das auch klarmachen, dass ich nicht beim Sportfest in der Schule die Zeit stoppen und Kuchen backen kann, aber ich habe angeboten, bei den Elternabenden die Protokolle zu schreiben. Wichtig ist einfach, dass man Aufgaben delegieren kann – sowohl im Job als auch privat. Da ist es zum Beispiel eine Haushaltshilfe, die einem viel Arbeit abnimmt. Da muss jeder schauen, was er gern abgibt und wo man sich konkret entlasten kann, damit am Ende mehr Zeit für das übrigbleibt, was einem wirklich wichtig ist.

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