Achtung Fehldiagnose: Warum „Peer to Peer“-Netzwerke helfen können

21 August, 2023 - 07:32
Bianca Freitag

„Viele Köche verderben den Brei“ ist ein bekanntes Sprichwort. Was in vielen Bereichen stimmt, trifft jedoch nicht auf diagnostische und therapeutische Entscheidungen von Ärztinnen und Ärzten zu. Wie sich nämlich die Rate von Fehldiagnosen verringern lässt, zeigt eine amerikanische Studie.

Sind es nur Kopfschmerzen oder liegt vielleicht doch ein Schlaganfall vor? Wenn ein Patient oder eine Patientin mit Symptomen wie Kopfschmerzen und Schwindelattacken in der Klinik vorstellig wird, werden viele Ärztinnen und Ärzte kein MRT anfordern, um einen Schlaganfall auszuschließen. Denn sonst könne es heißen, dass sie unnötige Tests durchführen. Aber hätte ein MRT einen Schlaganfall bestätigt, wäre es eine Fehldiagnose des Arztes oder der Ärztin gewesen.

Fehldiagnosen können tödlich enden

Fehldiagnosen kommen häufiger vor, als viele annehmen. Allein in den USA sind jährlich mehr als 420.000 Menschen davon betroffen, und für mehr als 370.000 enden diese Fehldiagnosen tödlich, wie eine Studie feststellte. Aber wie können Medizinerinnen und Mediziner solche Situationen vermeiden?

30.08.2024, Orthopraxis Dr. med. Ebrahimi
Aachen
30.08.2024, Krankenhaus des Maßregelvollzugs (KMV)
Berlin

Ein Rat von Kolleginnen oder Kollegen kann schon den Ausschlag geben. Das zeigt ein Experiment amerikanischer Wissenschaftler von der University of Pennsylvania in Philadelphia. Sie untersuchten, wie sich die diagnostische Genauigkeit und Behandlungsentscheidungen von Ärztinnen und Ärzten verbessert, wenn sie sich in einem Informationsnetzwerk zu den Patientenfällen austauschen. Dazu sollten die Medizinerinnen und Mediziner sieben klinische Fall-Vignetten beurteilen. Zu den Fällen gehörten beispielsweise kardiale und geriatrische Erkrankungen sowie Rückenschmerzen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Insgesamt nahmen 2.941 Medizinerinnen und Mediziner an der Studie teil.

Allein oder Rat von anderen

Im ersten Schritt sollten die Ärztinnen und Ärzte das diagnostische Risiko einschätzen, beispielsweise wie wahrscheinlich es ist, dass ein Patient mit Brustschmerzen im nächsten Monat einen Herzinfarkt erleide. Im zweiten Schritt sollten sie eine diagnostische Entscheidung fällen. Dabei konnten sie auswählen, ob sie den Patienten nach Hause schicken, ihm Schmerzmittel verabreichen oder zur Beobachtung ins Krankenhaus überweisen wollen.

Die Wissenschaftler teilten die Ärztinnen und Ärzte in zwei Gruppen ein. In der ersten Gruppe trafen sie ihre Entscheidungen allein, in der zweiten konnten sie die Entscheidungen anderer Kolleginnen und Kollegen einsehen. Insgesamt wurden drei Runden in beiden Gruppen durchgeführt.

  1. In der ersten Runde hatten die Ärztinnen und Ärzte beider Gruppen zwei Minuten Zeit, ihre diagnostischen Entscheidungen zum präsentierten Fall abzugeben.
  2. In der zweiten Runde wurde den Ärztinnen und Ärzten der zweiten Gruppe die durchschnittliche Risikoeinschätzung anderer Kolleginnen und Kollegen gezeigt, jedoch nicht deren Therapieentscheidung. Anschließend sollten sie erneut eine eigene Risikoeinschätzung und Therapieentscheidung abgeben. Sie konnten ihre initialen Entscheidungen beibehalten oder diese ändern. Die Ärztinnen und Ärzte der ersten Gruppe erhielten keine Informationen anderer Einschätzungen.
  3. Die dritte Runde wurde wie die zweite Runde durchgeführt. Die Ärztinnen und Ärzte erhielten die durchschnittliche Risikoeinschätzung ihrer Kolleginnen und Kollegen aus der zweiten Runde und sollten anschließend wieder eine eigene Risikoeinschätzung und Therapieentscheidung abgeben.

Deutliche Verbesserung durch Netzwerk

Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Diagnoseentscheidungen in beiden Gruppen verbesserten. Jedoch waren die Ergebnisse in der Gruppe, die sich an Meinungen anderer Kolleginnen und Kollegen orientieren, besser (von 76,3 Prozent auf 81,3 Prozent) als in der Gruppe, die allein entschieden (76,8 Prozent auf 79,3 Prozent). Schon hier zeigt sich der Vorteil eines „Peer to Peer“-Netzwerkes.

30.08.2024, visualeins - MVZ für Augenheilkunde und Anästhesie GmbH
Osnabrück

Am meisten verbesserten sich durch das „Peer to Peer“-Netzwerk die Ergebnisse derjenigen Ärztinnen und Ärzte, die in der ersten Runde eine Fehlentscheidung getroffen hatten. Hier kam es am Ende der dritten Runde insgesamt zu einer Verbesserung von 15 Prozent. Ärztinnen und Ärzte, die bereits in der ersten Runde eine richtige Entscheidung getroffen hatten, ließen sich von den Meinungen der Kolleginnen und Kollegen nicht beeinflussen und änderten ihre Entscheidungen nicht.

Gleichzeitig gab es kaum Änderungen in der diagnostischen und therapeutischen Trefferquote. Das zeige laut der Wissenschaftler, dass „Peer to Peer“-Netzwerke nicht zu einem Mittelmaß führen, also gute Ärztinnen und Ärzte sich verschlechtern, während sich schlechte verbessern.

Die Ergebnisse der Studie könnten zur Entwicklung einer App beitragen, in der Ärztinnen und Ärzte unklare Fälle posten und den Rat von Kolleginnen und Kollegen einholen könnten. Da die Medizinerinnen und Mediziner für alle sieben Fall-Vignetten nur 20 Minuten benötigt hätten, sei auch der Zeitaufwand gering. Außerdem sei der Nutzen hoch, wenn sich dadurch das Risiko von Fehldiagnosen signifikant verringere.

Quelle: PNAS 2023; DOI: 10.1073/pnas.2108290120

 

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