
Ein männlicher Kollege steckt sich Ihre Idee einfach ein? Ihr Vorgesetzter wendet sich plötzlich gegen Sie? Willkommen im Club der vielen Frauen, die trotz bester Leistung nicht weiterkommen. Ein Interview mit der Buchautorin Isabel Nitzsche über den „Männercode", der immer noch die Karriere-Spielregeln bestimmt.
Frau Nitzsche, viele Ärztinnen wollen Karriere machen, merken aber irgendwann, dass Leistung allein dabei nicht reicht. Was machen karriereorientierte Frauen falsch?
Isabel Nitzsche: Frauen, auch jüngere, wollen nach wie vor allem eins: ihre Arbeit gut machen. Diese fachliche Leistungsorientierung trägt sie bestens durch die Schul- und Unilaufbahn und auch noch durch die erste Zeit im Job. Dann aber findet ein Paradigmenwechsel statt. Denn in punkto Karriere gelten nun andere Spielregeln. Sie befinden sich jetzt auf fremdem Terrain, was sie aber nicht merken.
Wie sind denn die Spielregeln?
Isabel Nitzsche: Die Spielregeln werden von der Mehrheit gemacht und dass sind in den oberen Führungspositionen nach wie vor Männer. Sie nehmen ihre Regeln genauso mit in den Job wie Frauen, was aber fast niemandem bewusst ist. Und eine rein inhaltliche Qualifikation ist in einem männlich-dominierten System nur ein Faktor von vielen, wenn es darum geht, weiterzukommen. Männer zeigen von Anfang an: Sie wollen nach oben. Frauen versäumen es dagegen, ihren Aufstiegswillen und Machtanspruch deutlich zu machen. Sie meinen, dass sie von ihren Vorgesetzten entdeckt und gebeten werden müssten, eine Stufe höher zu steigen. Passiert das nicht, rackern sich noch mehr ab und vertiefen sich ins Detail, anstatt sich in strategischen Planspielen zu üben. Auch wollen sie aus Solidarität ihre Kolleginnen nicht hinter sich lassen. Der Effekt: ein Tunnelblick. Für die Vorgesetzten ist das sehr praktisch, denn so fleißige Mitarbeiterinnen erledigen viel Arbeit sehr zuverlässig. Und es gibt noch einen wichtigen Punkt: Frauen fehlen die Unterordnungsgesten.
Unterordnungsgesten?
Isabel Nitzsche: Das unterschiedliche Verhalten beider Geschlechter hat viele Ursachen, wie Erziehung oder Religion. Da kommen verschiedenste Mosaiksteine zusammen, einer ist biologischer Natur. Frauen sind nicht gewohnt, sich in der Männer-Rangordnung zu positionieren. Deswegen kennen wir auch keine Unterordnungsgesten. Und wenn wir eine gute Idee haben, präsentieren wir sie. Wir kommen gar nicht auf den Gedanken, dass sich unsere männlichen Vorgesetzten dadurch in ihrer Position bedroht fühlen könnten. Wenn uns aber daraufhin Ablehnung entgegenschlägt, stellen wir hilflos fest: „Ich habe doch gar nicht an seinem Stuhl gesägt. Mir geht es doch rein um die Sache. Das würde doch dem Unternehmen oder der Klinik nützen.“ Während Männer untereinander oft schon durch ihre Körpersprache vermitteln, dass sie Ranghöheren Respekt erweisen, indem sie quasi etwas in sich zusammenfallen. Wir kennen das nicht. „Frauen fehlt der ‚Knick-Reflex“, nennt das der Wirtschaftspsychologe Heinrich Wottawa.
Sollten wir diese Unterordnungsgesten dann lernen?
Isabel Nitzsche: Es geht nicht darum, etwas wie ein Roboter zu lernen oder sich unterzuordnen. Ich würde eher darauf achten, sich vorzubereiten. Wo störe ich die Kreise von jemandem und will ich wirklich eine Konfrontation? Wenn ich eine gute Idee habe, sollte ich sie natürlich äußern, aber dabei klug vorgehen. Wo kann ich Unterstützer und Unterstützerinnen finden? Vielleicht kann ich denjenigen, der sich bedroht fühlt, geschickt einbinden? Frauen sollten sich nicht um jeden Preis anpassen, aber überlegen, wie sie sich vorausplanend verhalten, zum Beispiel mit Hilfe von Mikropolitik.
Wie funktioniert das?
Isabel Nitzsche: Mikropolitik heißt „achte im Alltäglichen darauf, deine Macht zu erhalten und auszubauen". Beispiel: Frauen gehen häufig in Besprechungen und meinen, da werden dann die wichtigen Dinge entschieden. Doch sehr oft passiert das bereits vorher. Und das sollten Frauen genauso tun, indem sie ebenfalls vorab für ihre Ideen Fürsprecher suchen. Auch denken viele, sie müssten alles alleine machen. Gerade Medizinerinnen haben ein sehr großes Arbeitspensum. Und dann sind sie so im Alltag gefangen, dass sie keine Kapazitäten mehr übrighaben. Sie empfinden es sogar oft als lästig, nun auch noch Energie und Zeit aufzubringen, um gezielt an ihrer eigenen Karriere zu bauen. Wollen sie weiterkommen, sollten sie das aber tun. Vielleicht mit einer Strategiestunde pro Woche, in der sie überlegen: Wie kann ich sichtbar werden? Wenn man das eine Weile übt, ist es auch nicht mehr so anstrengend. Meist stellen sich bald erste Erfolge ein und es geht ins Spielerische über.
Wie kann man das noch mehr fördern?
Isabel Nitzsche: Was der Spielfreude leider entgegensteht ist: Frauen wollen meist auf Nummer sicher gehen. Machen sie einen Fehler, wissen sie sofort: Ich war schuld. Passiert das einem Mann, sagt dieser: Es war das Umfeld, die Mitarbeiter, die Situation. Auch finden Frauen es meist furchtbar, wenn sie bereits beim ersten Versuch scheitern. Aber es geht darum, ob man auf Dauer scheitert. In meinen Coachings ermutige ich Frauen daher dazu, Experimente zu machen. Erst mal im Kleinen, wo es nicht existentiell ist, und zu schauen: Komme ich damit durch? Hat man sich erst mal herausgewagt, merken sie schnell: Okay, das hat funktioniert, ich kann so weitermachen. Und dann finden oft sehr große Entwicklungssprünge statt.
Haben Frauen auch anerzogene Verhaltensweisen, die ihrer Karriere vielleicht ebenfalls nützen können?
Isabel Nitzsche: Frauen werden zur Beziehungsfähigkeit erzogen und können meist gut in Teams zusammenarbeiten. Sie sollten aber aufpassen, dass sie sich dennoch innerhalb der Hierarchie positionieren. Viele Teamleiterinnen sagen beispielsweise bescheiden: „Ja, mein Team hat so toll gearbeitet.“ Ich muss aber auch sagen: „und ich habe dabei für dies und jenes gesorgt“. Damit beides gesehen wird. Sonst werden sie automatisch eingeordnet, allerdings ganz unten am Fuß der Leiter.
Wie kann man die Rolle des "fleißigen Lieschens" ablegen?
Isabel Nitzsche: Selbstmarketing betreiben: davon erzählen, was ich mache. Frauen halten es oft für selbstverständlich, dass sie so viel wegschaffen. Und sie denken auch, dass würde sich den anderen von allein vermitteln. Aber alle haben so viel zu tun, dass sie gar nicht merken, was im Einzelnen rechts und links passiert. Auch der Chef hat ganz andere Dinge im Kopf, als darüber nachzudenken, was einzelne Mitarbeiterinnen alles erledigen.
Was sind Ihre konkreten Tipps?
Isabel Nitzsche: Gerade Besprechungen sind ideal, um vorzutragen, was man geleistet hat. Überhaupt sollte man sich in jedem Meeting zu Wort melden. Frauen haben häufig den Anspruch, dies nur zu tun, wenn sie etwas Neues zu sagen haben, was auch noch besonders toll ist. Männer agieren eher nach dem Motto: Ich muss hier was sagen, auch wenn es eine Wiederholung ist. Denn sonst könnte ich ja auch wegbleiben. Ärztinnen sollten schauen: Wo kann ich auf einem Kongress reden? Oder ist es vielleicht möglich, im Intranet meiner Klinik etwas über mich und meine Arbeit zu veröffentlichen? Und bitte: Nie ungefragt negativ über sich sprechen.
Wie lässt sich das „Zickenimage" vermeiden?
Isabel Nitzsche: Frauen sind immer irgendetwas: zu jung, zu alt, mal sehen sie zu gut, mal zu schlecht aus, dann haben sie zu viele Kinder oder gar keine oder sind eben zickig. Diese Schuhe sollte man sich erst gar nicht anziehen. Wenn jemand zu mir sagt, ich sei zickig, würde ich darüber nachdenken, ob ich mich vielleicht in einer Sache nicht ganz glücklich ausgedrückt habe und antworten: „Das tut mir leid, aber mein Punkt in der Sache ist der und der.“ Wir Frauen sind leider immer gleich besorgt und denken „oje, jetzt mag mich der nicht mehr“. Dabei spielt sich das gar nicht auf der Beziehungsebene ab. Ich empfehle, sich nicht zu erschrecken – da wird immer irgendetwas kommen – und das nicht als Zuschreibung zu akzeptieren.
Was treibt Frauen um, die in Führungsposition sind?
Isabel Nitzsche: Mit ihnen arbeite ich oft daran, ihr Bewusstsein zu schärfen, dass sie jetzt wirklich die Verantwortung haben. Und auch, dass sie sich abgrenzen müssen gegen Mitarbeiterinnen, die nun der Meinung sind, sie hätten so eine Art Mutter in Form der Vorgesetzen. Gerade am Anfang tappen weibliche Führungskräfte schnell in eine Harmoniefalle.
Ihr Buch ist schon etwas älter, was hat sich verändert in den letzten Jahren?
Isabel Nitzsche: Frauen, die es geschafft haben, empfinden das nicht mehr nur „als Glück“, wie es früher oft der Fall war. Was die männlich gesetzten Spielregeln betrifft, reagieren sie jedoch immer noch mit Verwunderung. Natürlich ist nicht alles schwarz-weiß. Der Austausch in meinen Workshops zeigt mir aber nach wie vor, wie unterschiedlich sich die Geschlechter im Job verhalten. Auch überschätzen wir Frauen öfter den Fortschritt. Dann hören sich das Leitbild und die Diversity-Konzepte auf dem Papier ganz toll an, aber bei Jobantritt findet man dann doch eine hierarchisch-orientierte Leitung vor. Es gibt in diesem Sinne auch kein Patentrezept, sondern man muss die Vor-Ort-Situation analysieren und strategisch schauen: Wie ist mein Weg da durch? Das wird nach wie vor total unterschätzt.
Die Expertin:
Isabel Nitzsche ist Autorin des Buches „Spielregeln im Job durchschauen: Frauen knacken den Männer-Code“, Kösel (2011). Zudem hält sie Workshops über informelle Machtspielregeln, ist Referentin bei Mentorinnen-Programmen, auch an medizinischen Fakultäten und coacht Medizinerinnen, von der Doktorandin bis zur Professorin.