Die Herzchirurgin Dr. Dilek Gürsoy hat als erste Frau in Europa eine Kunstherz-Operation durchgeführt, sie hat Angela Merkel getroffen und wurde 2019 zur Medizinerin des Jahres gekürt. Doch trotz dieser außergewöhnlichen Vita erlebt sie, wie schwer es für Frauen immer noch ist, in der Medizin an die Spitze zu kommen. Im Interview spricht sie darüber, was Ärztinnen trotz bester Qualifikationen daran hindert, in Führungspositionen aufzusteigen, und wie Frauen sich gegenseitig unterstützen können.
Frau Dr. Gürsoy, Sie haben vor Kurzem ein autobiografisches Buch mit dem Titel „Ich stehe hier, weil ich gut bin“ veröffentlicht. Warum haben Sie diesen selbstbewussten Titel gewählt?
Dr. Dilek Gürsoy: Erstmal, weil es so ist. Und zweitens, weil so etwas ab einem gewissen Punkt in der Karriere kein anderer mehr für einen ausspricht. Für diesen Titel bekomme ich auch viel Kritik: Viele lesen diesen Titel als „Ich bin besser als alle anderen“. Aber das meine ich überhaupt nicht so. Natürlich machen auch viele andere gute Medizin. Das hat ja nicht nur etwas mit der Zahl der OPs oder der Veröffentlichung zu tun. Für mich zählen auch die innovative Forschungsarbeit und die menschlichen Fähigkeiten dazu. Das Ziel sollte ja sein, gute Medizin für die Patienten zu machen und nicht für das eigene Ego. Das ist mir wichtig, aber bei vielen Kollegen erlebe ich es anders – vor allem bei den Männern. Mit dem Buch wollte ich unter anderem zeigen, wie es für mich als selbstbewusste, hochqualifizierte Frau ist, mich ständig in den etablierten Klinikhierarchien behaupten zu müssen. Wir reden alle über Gleichberechtigung, sorgen aber nicht dafür. Mit meiner Geschichte will ich auch versuchen, die Leute aufzurütteln, die im Medizinbetrieb die Entscheidungen treffen. Es geht dabei ja nicht nur um mich persönlich. Es gibt viele Talente, die nicht das erreichen, was sie erreichen wollen und erreichen könnten. Und ich will Frauen dazu bringen, sich besser zu vernetzen und gegenseitig zu unterstützen.
In Ihrem Buch berichten Sie ja auch von Ihren eigenen Schwierigkeiten, Ihren Platz in diesen Hierarchien zu finden. Was haben Sie da erlebt?
Dr. Dilek Gürsoy: Für Frauen ist es nach wie vor schwierig, in der Klinikhierarchie aufzusteigen. Das macht sich allerdings erst bemerkbar, wenn man schon ein gutes Stück weit gekommen ist: Als junge Assistenz- oder Oberärztin stört man niemanden. Ich habe in dieser Zeit auch einfach meinen Job gemacht. Frauen gelten in der Klinik als gut und verlässlich. Aber wenn man wirklich Karriere machen will, ändert sich das Bild. Die sogenannte „gläserne Decke“ ist für Frauen real. Im vergangenen Jahr war ich auf der Suche nach einer Führungsposition in der Kunstherzchirurgie. Ich habe viel Zeit mit Vorstellungsgesprächen verbracht – die meisten Gespräche sind gut verlaufen, aber zur Vertragsunterzeichnung ist es dann doch nie gekommen.
Man sollte eigentlich meinen, dass Ihre Erfahrung, Ihre Medienpräsenz und Ihre Auszeichnungen es Ihnen leichter machen, auch eine gute Stelle zu finden…
Dr. Dilek Gürsoy: Das sollte man meinen, ja. Ich habe in den Vorstellungsgesprächen immer gesagt, dass ich an einem Kunstherzmodell forsche und dass diese Forschung pro Monat ein bis zwei Tage in Anspruch nimmt. In meinen Gesprächen stelle ich auch klar, dass meine Medienauftritte für mich zweitrangig sind. In erster Linie sehe ich es als meine Aufgabe, für die Patienten da zu sein – ich würde nie für einen Talkshow-Termin eine OP absagen. Meine Bekanntheit ist für die Klinik eigentlich ein Bonus, den sie für ihre Außendarstellung und Öffentlichkeitsarbeit nutzen kann. Aber tatsächlich hat sich herausgestellt, dass meine Bekanntheit kein Vorteil, sondern ein Hindernis ist.
Inwiefern ein Hindernis?
Dr. Dilek Gürsoy: Bei den Vorstellungsgesprächen wurde mir mehrmals gesagt, dass meine Bekanntheit Unruhe ins Team bringen könnte. Ich habe mich in meinem ganzen Berufsleben gut mit meinen Kollegen verstanden – ich bin auch eigentlich ein Mensch, der sich gut in ein Team integrieren kann. Ich bin zwar immer selbstbewusst aufgetreten, aber habe nie versucht, mich als perfekt zu verkaufen. Denn auch ich habe natürlich Lücken – wie jeder andere auch. Und das habe ich auch in den Gesprächen immer gesagt. Ich hatte mehrere Vorstellungstermine mit den Geschäftsführern der Kliniken, die sehr gut gelaufen sind. Aber an den Egos der Abteilungsleiter bin ich dann regelmäßig gescheitert. Ich denke, sie waren mit mir und meiner Vita häufig einfach überfordert und hatten eventuell Bedenken davor, von einer starken Frau in den Schatten gestellt zu werden. Dabei will ich den Chef gar nicht übertrumpfen. Ich beachte Hierarchien und kann mich gut in ein Team eingliedern.
Wie unterscheiden sich aus Ihrer Perspektive in der Medizin Frauen in Führungspositionen von Männern auf der gleichen Ebene?
Dr. Dilek Gürsoy: Jede Frau, die ich bis jetzt kennengelernt habe und die es in der Medizin in eine leitende Position geschafft hat, ist auch top in ihrem Bereich – sonst hätte sie es nicht so weit gebracht. Von einigen Männern, die ich als Chirurgen kennengelernt habe, würde ich das nicht so behaupten: Da spielt auch Vitamin B immer noch eine große Rolle. Vielleicht hat jemand seinem Chef mehr zugearbeitet, um seine mittelmäßigen chirurgischen Fähigkeiten auszugleichen. Ich erlebe jedenfalls so einige Männer in Führungspositionen, die keine guten Chirurgen und vor allem keine guten Leader sind – aber die sich trotzdem als die letzten „Götter in Weiß“ aufspielen. Frauen kommen meistens gar nicht so weit nach oben. In der Herzchirurgie gibt es derzeit in Deutschland beispielsweise nicht eine einzige Chefärztin. Die Strukturen und Hierarchien sind einfach immer noch sehr stark von Männern geprägt.
Was können Frauen tun, um trotzdem in der Medizin Karriere zu machen?
Dr. Dilek Gürsoy: Frauen müssen nach vorne kommen und sichtbarer werden. Es gibt viele, viele Frauen, die richtig gut sind in dem, was sie tun – nicht nur in meinem Bereich, der Herzchirurgie. Frauen müssen sich besser miteinander vernetzen und auch selbstbewusst sagen, was sie geleistet haben. Dafür möchte ich mittelfristig gern auch einen Kongress speziell für Frauen in der Chirurgie etablieren, in dem Medizinerinnen im Mittelpunkt stehen, in dem es aber auch inhaltlich um gendermedizinische Themen gehen soll. Denn auch die medizinischen Therapien sind vor allem auf Männer ausgerichtet. Das kleinere Kunstherz-Modell für weibliche Patientinnen gibt es ja auch erst seit sechs Jahren.
Sie wollen auch mehr junge Frauen dazu bringen, chirurgische Fächer und speziell die Herzchirurgie zu wählen. Warum ist Ihnen das wichtig?
Dr. Dilek Gürsoy: Gerade Herzpatienten sind sehr sensibel. Da können Frauen oft mit einer größeren Empathie punkten. Aber auch rein handwerklich ist Chirurgie etwas für Frauen: Wir bewegen uns anders, können sehr filigran arbeiten, können aber am OP-Tisch auch mal Platz für einen Kollegen machen. Und mehr Frauen in den chirurgischen Fächern helfen auch dabei, diese altmodischen Strukturen zu überwinden. Wenn es mehr Frauen in medizinischen Spitzenpositionen gibt, hört dieses Ego-Denken vielleicht irgendwann auf. Und dann besinnen wir uns auf die Qualität und nicht auf die Quantität in der Medizin.
Was sind Ihre aktuellen beruflichen Pläne?
Dr. Dilek Gürsoy: Ich möchte die Kunstherzchirurgie voranbringen und in Deutschland ein eigenes Kunstherzzentrum gründen. Das ist leider schwieriger als gedacht: Ich habe mich an das Gesundheitsministerium einer Landesregierung gewandt – dort hieß es aber, das sei schwierig mit der Kassenzulassung und ich sollte mich lieber einer bestehenden Klinik anschließen. Das war die Vision, mit der ich in meine Bewerbungsgespräche gegangen bin: die bestehende Herzchirurgie in den jeweiligen Kliniken entsprechend zu erweitern. Aber das hat aus den oben genannten Gründen nicht funktioniert – die Kliniken haben mich entweder vertröstet oder sich gar nicht mehr bei mir gemeldet. Jetzt schreibe ich keine Bewerbungen mehr, sondern mache mich selbstständig. Derzeit führe ich zu Forschungszwecken OPs an Tieren durch und arbeite weiter im Labor an dem verbesserten Kunstherz. Ich habe inzwischen etwas bescheidenere Pläne und will erstmal klein anfangen: Ich werde im ersten Schritt eine Praxis eröffnen und zusätzlich auch weiter operieren. Aber die Vision, aus meiner kleinen Privat-Klinik irgendwann ein Kunstherzzentrum zu machen, habe ich mir als festes Ziel gesetzt.
Buchtipp:
Dilek Gürsoy, „Ich stehe hier, weil ich gut bin“
© Eden Books, 2020
240 Seiten, Klappenbroschur
ISBN: 978-3-95910-286-5
Preis: 14,95 Euro