Traumjob auf Traumschiff? Wie arbeiten Ärztinnen und Ärzte auf Kreuzfahrten?

8 August, 2022 - 07:54
Michael Fehrenschild
AIDA-Kreuzfahrtschiff im Eidfjord, Norwegen
AIDA-Kreuzfahrtschiff im Eidfjord, Norwegen

Ist es wirklich ein Traum, Arzt oder Ärztin auf einem Kreuzfahrtschiff zu sein? Wer ist für die ungewöhnliche Stelle geeignet? Und was kann an Bord alles passieren? Die erfahrene Schiffsärztin Dr. Bettina Bauer berichtet über ihre Erlebnisse.

Sechs Monate Urlaub im Jahr, eine komfortable Einzelkabine und delikates Essen gehören zum Alltag eines Arztes oder einer Ärztin auf einem Kreuzfahrtschiff. Und das muss noch nicht alles sein: Fitnessstudio, Schwimmbad und Frisör kann es als Service obendrauf geben, bei manchen Reedereien sogar umsonst. Dr. Bettina Bauer ist seit 2007 auf den Weltmeeren unterwegs. Wer sich mit ihr über ihren Job unterhält, merkt sehr schnell, wie gern sie ihren Beruf an Bord eines riesigen Urlaubsdampfers ausübt. Denn hier kann sie zwei große Leidenschaften verbinden: die Medizin und die Reiselust, die sie schon vor dem Studium verspürte. Das ist auch die erste Voraussetzung für eine solche Stelle, wie sie betont: „Man muss einfach gerne unterwegs sein.“

Am Anfang stand der Zufall

Pure Neugier spielte bei ihrem Einstieg die Hauptrolle. Sie erinnert sich heute noch gerne daran: „Ich war selbst Passagierin auf einer Kreuzfahrt und ging zu dem sogenannten Ärztetreffen. Das findet meist zu Beginn einer Reise an einem Tag auf See statt. Dort berichtete eine Kollegin über den Arztberuf an Bord. Das fand ich sehr spannend. Zuhause schrieb ich gleich eine Initiativbewerbung, wurde angenommen und witzigerweise von derselben Kollegin, der ich im Urlaub zugehört hatte, eingearbeitet.“ Bereut hat die 49-Jährige aus Bayern das noch keinen Tag.

Harte Arbeit – tiefe Eindrücke

Auf den Ozeanriesen reisen manchmal halbe Kleinstädte um die Welt. 4.000 bis 5.000 Menschen sind mittlerweile völlig normal. Der größte Mega-Liner, die „Wonder of the Seas“, kann inklusive Crew mehr als 9.000 Personen beherbergen. Basierend auf den Empfehlungen des Kreuzfahrtverbands „Cruise Lines International Association“ (CLIA) sind ab einer Anzahl von 800 Passagieren in der Regel zwei Mediziner im Schichtdienst dabei. Auf einem Schiff wie der AIDAstella kommen noch zwei Krankenschwestern oder -pfleger und eine medizinische Fachangestellte dazu. Bei den ganz großen Schiffen fährt noch mehr medizinisches Personal mit. Dementsprechend sieht auch Bauers Dienstplan auf AIDAstella aus.

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„Wir sind zwei Kolleginnen und teilen uns die Nächte. Jede zweite Nacht ist für mich also Bereitschaftsdienst. Tagsüber hat eine Kollegin ‚Vordergrund‘ und die andere ist im ‚Hintergrund‘. Es ist daher nicht so, dass man 24 Stunden an vorderster Front sein muss. Aber wir arbeiten jeden Tag, das ist schon sehr intensiv.“ Klingt nach viel Stress, bietet aber auch schöne Verschnaufpausen. Die sehen dann unter anderem so aus: Legt das Schiff beispielsweise in Valencia an, hat eine von beiden tagsüber frei, beim nächsten Stopp in Barcelona dann die andere. Diverse Stadtbummel inklusive.
Doch der größte Ausgleich zu der vielen Arbeit ist: „Ich bin ungefähr die Hälfte des Jahres auf See und die andere Hälfte zuhause, aber nicht durchgehend. Meistens bin ich drei Monate unterwegs und habe dann drei Monate frei“, so Bauer.

Das heißt auch, man ist lange von Familie und Freundeskreis getrennt. Aber Bauer gibt folgendes zu bedenken: „Ich bin nicht nur auf zwei oder drei Wochen Urlaub am Stück angewiesen, wie es für die meisten Ärzte in Deutschland nun mal üblich ist. Als ich noch im Krankenhaus arbeitete, war ich extrem eingespannt, musste mich auf viele Dienste einstellen und wenn jemand krank war, die Vertretung übernehmen. Heute schätze ich meine durchgehend lange Freizeit, in der ich meinen Interessen viel besser nachgehen kann – und habe sogar ein reicheres Sozialleben.“

Was passiert in der Praxis an Bord?

Bauer ist die Chefin eines kleinen medizinischen Bereichs, den man sich am ehesten wie eine Landarztpraxis vorstellen kann. Die meisten Patientinnen und Patienten kommen mit eher kleinen Beschwerden, nicht viel anders als bei einer Hausarztpraxis. Das sind Husten, Schnupfen, leichte Verletzungen bis hin zu vergessenen Medikamenten, die besorgt werden müssen. „Wir sehen in einer Sprechstunde bei voll belegtem Schiff etwa 20 bis 30 Patienten pro Tag; viel weniger als der ‚normale‘ Allgemeinmediziner durch seine Praxis schleust. Dadurch kann ich mich wesentlich intensiver um die Menschen kümmern. Ein weiterer Vorteil ist, dass ich viele verschiedene Sachen sehe und vom fachlichen her sehr breit arbeiten kann.“ Die Crewmitglieder haben übrigens zumeist dieselben Beschwerden. Die Mannschaft leidet allerdings weniger unter chronischen Erkrankungen, da sie meistens eher jung ist.

Und sie ist auch Offizierin: „Ich bin Erster Schiffarzt und trage eine Uniform mit drei goldenen Streifen auf meiner Schulter. Wir Ärzte sind direkt dem Kapitän unterstellt. Ich kann Crewmitglieder krankschreiben, aber natürlich nicht etwa einem Koch sagen, wie er etwas zubereiten soll“, erzählt sie mit einem Augenzwinkern.  

Für jeden Notfall gerüstet

„Wir haben die Ausstattung und die Instrumente für jeden Notfall an Bord“, so Bauer. „Im Ernstfall kümmern wir uns zunächst selbst um den Patienten und übernehmen die Erstbehandlung vergleichbar einem Notarzt“, erläutert sie weiter. Sollte der Notfall an Bord nicht adäquat versorgt werden können,  passiert dann folgendes: „Wir sorgen dafür, dass der Patient so schnell wie möglich in ein gutes Krankenhaus kommt. Geht es jemandem sehr schlecht, drehen wir um und laufen den nächsten Hafen an, fahren schneller oder bringen den Betroffenen per Boot oder Helikopter an Land.“ Wenn alle Stricke reißen, gibt es sogar die Möglichkeit, an Bord Operationen durchzuführen. „Uns steht ein kleiner Eingriffsraum für die Notfallversorgung zur Verfügung. In diesem Fall ist man wirklich auf sich selbst gestellt und muss mehr als ein Hausarzt leisten. Aber das ist die ganz große Ausnahme“, erzählt die erfahrene Medizinerin.

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Manche ärztliche Situationen kommen auf See zudem praktisch nicht vor. Geburten scheiden zum Beispiel aus. Ähnlich wie beim Fliegen ist es ab einem bestimmten Schwangerschaftsmonat nicht erlaubt, eine Kreuzfahrt zu unternehmen. Trotzdem ist die Schiffspraxis so ausgestattet, dass Probleme in der frühen Schwangerschaft behandelt werden können. Dies gilt ebenso bei Beschwerden wie Ohr- oder Zahnschmerzen, die erst einmal an Bord behandelt werden. Wenn das aber nicht ausreicht, wird werden die Betroffenen zu einem Termin beim nächsten Landgang beim HNO- oder Zahnarzt angemeldet. 

Ein internationales Team

Ein weiterer Vorteil ihres besonderen Arbeitsplatzes: „Wir sind eine eingeschworene Gemeinschaft aus vielen Nationalitäten mit einer tollen Stimmung.“ Nur eine oft kolportierte Geschichte stimmt nicht. Die Ärztin sitzt nicht beim Abendessen neben dem Kapitän, das ist wohl nur auf dem Fernseh-Traumschiff der Fall. Dafür mag sie es bis heute, in ihrer Kabine durch die Bullaugen aufs Meer zu schauen. „Das finde ich immer noch einfach nur schön...“

Wer kann Schiffsarzt/-ärztin werden?

Voraussetzung ist eine abgeschlossene Facharzt-Weiterbildung in der Chirurgie, Inneren Medizin, Allgemeinmedizin oder Anästhesie. Wichtig sind zudem Notfallqualifikationen und Berufserfahrung in diesem Bereich. Dazu kommen Kenntnisse in Strahlenschutz, Röntgen- sowie Ultraschall. Zudem ist es nötig, mindestens Englisch fließend sprechen zu können sowie allgemein kommunikativ und offen zu sein. Neben Initiativbewerbungen gibt es für die Jobsuche auch Möglichkeiten wie die deutsche Personalagentur „Schiffsarztbörse“.

Die Expertin:

Dr. Bettina Bauer, 49, arbeitet seit vielen Jahren an Bord von Kreuzfahrtschiffen.

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