Arbeiten unter Palmen: Als Arzt in die Tropen auswandern

21 Juni, 2021 - 07:32
Stefanie Hanke
Frederik Schramm an einer Klippe am Meer auf der Insel La Réunion
Der Urologe Frederik Schramm ist mit seiner Familie nach La Réunion ausgewandert.

Der Urologe Frederik Schramm arbeitet dort, wo andere – wenn überhaupt – nur Urlaub machen: Er ist mit seiner Frau und seinen beiden kleinen Töchtern auf die französische Tropeninsel La Réunion im Indischen Ozean ausgewandert. Im Beitrag berichtet er von seinen Erfahrungen.

La Réunion ist eine Insel, die grob gesagt zwischen Mauritius und Madagaskar liegt. Hier leben knapp 900.000 Menschen. Das Besondere: Die tropische Insel, die ungefähr so groß ist wie das Saarland, gehört zu Frankreich – und damit zur Europäischen Union. Dank der Freizügigkeit innerhalb der EU ist es auch für Deutsche verhältnismäßig einfach, sich hier niederzulassen.

Im Jahr 2020 haben insgesamt 1.674 ursprünglich in Deutschland tätige Ärztinnen und Ärzte ihre Koffer gepackt und den Traum vom Job in einem anderen Land wahrgemacht. Für Frederik Schramm, Facharzt für Urologie, seine Frau und seine zwei kleinen Töchter hat das Inselabenteuer im Februar 2021 begonnen – mitten in der Corona-Pandemie. Seither lebt die Familie im Westen der Insel. Das Meeresrauschen ist ein ständiger Begleiter, nach Feierabend geht es an den Strand.

Herr Schramm, wie sind Sie auf die Idee gekommen, nach La Réunion auszuwandern?

Frederik Schramm: Meine Mutter ist Französin und ich bin zweisprachig aufgewachsen. Die Idee, irgendwann ins Ausland zu ziehen, hatte ich schon länger – ich habe in Brüssel studiert, die Erfahrung hat mir gut gefallen. Auf La Réunion bin ich durch meine Schwester aufmerksam geworden: Mein Schwager stammt von hier, und die beiden sind schon vor einigen Jahren auf die Insel gezogen. Ich war dreimal bei ihnen zu Besuch – auch schon als junger Assistenzarzt. Dabei habe ich auch einige französische Ärzte aus dem Umfeld meiner Schwester kennengelernt. Die haben mir dazu geraten, erst meinen Facharzt in Deutschland zu machen und dann auf die Insel zu ziehen. Hier gibt es einen großen Bedarf an Fachärzten.

Wie hat Ihre Frau auf die Idee reagiert?

Frederik Schramm: Meine Frau ist Kinderärztin. Sie wusste, dass es immer ein Traum von mir war, nach La Réunion zu ziehen, und konnte sich das auch vorstellen. Der Impuls, es tatsächlich zu machen, kam dann auch von ihr. Sie hat selbst eine Stelle für eine sechsmonatige Elternzeitvertretung gefunden und arbeitet hier jetzt als Fachärztin.

Wie ging es dann für Sie weiter?

Frederik Schramm: Als erstes habe ich Kontakt zu den Urologen hier an der Westküste aufgenommen. Man muss wissen, dass es auf La Réunion insgesamt nur 15 Urologen gibt, die für 900.000 Einwohner zuständig sind. Ich war noch während meiner Assistenzarztzeit für zwei Wochen zum Hospitieren auf der Insel. In der Zeit habe ich die anderen Kolleginnen und Kollegen kennengelernt. Darunter waren auch die Klinikdirektorin eines ambulanten Krankenhauses, in dem kleine ambulante Eingriffe gemacht werden, und ein niedergelassener Urologe. Diese beiden Kontakte haben mir den Berufseinstieg hier sehr erleichtert. Ich war damals zwar noch in der Weiterbildung, habe den Kontakt aber über eineinhalb Jahre aufrechterhalten, bis ich dann den Facharzt hatte.

Wie kompliziert war die Anerkennung Ihrer Qualifikationen?

Frederik Schramm: Es war schon eine Herausforderung, erstmal zu verstehen, was alles benötigt wird. Einige Informationen sind etwas versteckt, und natürlich waren die Unterlagen alle in französischer Sprache. Aber eigentlich ist das kein Problem – man braucht nur etwas Zeit. Für die Anerkennung des Studiums muss man nur seine Approbationsurkunde und eine Geburtsurkunde beim DIMDI in Köln (Anm. der Redaktion: Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information, seit 2020 Teil des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte) einreichen, und drei Wochen später war die Äquivalenzbescheinigung da. Bei meiner Facharztprüfung habe ich schon gesagt, dass die Dokumente EU-konform sein müssen. Das läuft über die Ärztekammer. Am Schluss musste alles beglaubigt übersetzt werden – dann habe ich es an die französischen Behörden geschickt und dann musste ich noch in die französische Ärztekammer eintreten. Insgesamt hat der Vorgang vier Monate gedauert – das finde ich okay.

Wie haben Sie den Berufseinstieg auf La Réunion dann geschafft?

Frederik Schramm: In Frankreich läuft der Berufseinstieg oft über eine Praxisvertretung. Ich musste im Dezember 2020 schon eine Praxisvertretung ablehnen, weil der Anerkennungs-Prozess noch nicht soweit war. Ich habe die Stelle dann im März 2021 antreten können – dafür wurde das Verfahren in Paris sogar beschleunigt. Zuerst ging es um eine Vertretung für zwei Wochen, dann für zwei weitere. Daraus hat sich inzwischen eine regelmäßige Sprechstunde in der urologischen Praxis des Arztes, den ich schon während meiner Hospitation 2019 kennengelernt habe, ergeben. Ich habe parallel angefangen, für den privaten Träger der Uniklinik zu operieren, Rufdienste zu machen und zweimal pro Woche Sprechstunden anzubieten. Das wird gut vergütet. Ich baue darauf jetzt meine Tätigkeit hier auf und hoffe, dass ich mich später auch in meiner eigenen Praxis niederlassen werde.

Wie waren die ersten Tage der Praxisvertretung für Sie?

Frederik Schramm: Der Anfang war wirklich hart. Der Praxisinhaber hatte mir am Vortag die Praxis gezeigt und am nächsten Tag war ich alleine zuständig. Natürlich hat mir das Praxisteam sehr geholfen, weil die gesamte Administration von einer Sekretärin erledigt wird. Für mich waren die Abläufe erstmal gewöhnungsbedürftig. In der Sprechstunde mache ich keine Diagnostik – wenn jemand mit entsprechenden Beschwerden kommt, überweise ich erstmal ans Labor oder die Radiologie. Das ist aber alles nah beieinander und geht schnell – wenn es dringend ist, innerhalb weniger Stunden. Manchmal habe ich sprachliche Probleme, weil einige Patienten kreolisch sprechen – das kann ich mit meinen Französischkenntnissen schwer verstehen. Aber es findet sich immer jemand zum Übersetzen. Inzwischen habe ich etwas kreolisch gelernt – da freuen sich die Patienten sehr, weil sie sehen, dass ich ihnen entgegenkomme. Das ist einfach schön.

Wie nehmen Sie die Zusammenarbeit mit anderen Ärztinnen und Ärzten der Insel wahr?

Frederik Schramm: Die Zusammenarbeit mit den anderen Ärzten läuft hier sehr familiär ab. Man trifft sich eher mal zum Essen, wenn man etwas zu besprechen hat, oft bringt man auch die Kinder mit. Die Menschen sind sehr offen und man kommt gut miteinander in Kontakt. Der wirtschaftliche Druck ist nicht so hoch wie in Deutschland, und die Ärzte müssen sich auch nicht mit der Dokumentation beschäftigen. Gleichzeitig ist die Stimmung gut und alle haben Spaß an der Arbeit – das war ich aus Deutschland auch nicht mehr so gewohnt.

Wie nehmen Sie die Corona-Situation auf der Insel wahr?

Frederik Schramm: Natürlich ist das hier auch ein Thema – wir hatten auch einen Lockdown, aber inzwischen (Ende Mai 2021) haben die Restaurants und ähnliches auch wieder geöffnet. Allerdings ist das Dengue-Fieber hier viel stärker Thema. Das gehört natürlich zu den Nachteilen einer Tropeninsel, dass es entsprechende Krankheiten gibt, die wir in Deutschland nicht so kennen.

Also ist das Leben auf der Insel nicht nur ein Paradies mit Strand, Palmen und Meer. Gibt es weitere Schattenseiten?

Frederik Schramm: Die Insel hat einen vulkanischen Ursprung – im Frühjahr war der Vulkan 45 Tage am Stück aktiv. Dramatisch war das nicht, aber das kennt man in Deutschland auch nicht. Außerdem gibt es eine Zyklon-Saison mit heftigen Stürmen und Gewittern. Einen Vorgeschmack haben wir direkt in unserer ersten Woche bekommen – der Donner war so heftig, dass er sich wie ein kleines Erdbeben angefühlt hat. Aber die Nachbarn sind das schon gewohnt – für die war das gar nichts. Da können noch viel schlimmere Unwetter kommen. In so einem Fall bleibt man zu Hause und kauft vorher Vorräte ein – da fällt die Schule aus und niemand geht vor die Tür, weil es viel zu gefährlich ist. Das wird noch auf uns zu kommen. Man ist hier der Natur ganz anders ausgesetzt als in Deutschland.

Haben Sie denn vor, dauerhaft dort zu bleiben oder planen Sie, irgendwann nach Deutschland zurück zu kommen?

Frederik Schramm: Nein, eine Rückkehr ist erstmal nicht geplant. Wir schauen natürlich, wie sich alles entwickelt – aber im Moment sieht es ganz gut aus. Die Berufsaussichten sind gut und ich rechne nicht damit, dass noch das große Heimweh kommt. Ein Teil unserer Familie ist ja auch hier und der Zusammenhalt in der Nachbarschaft ist gut, das gibt uns auch Sicherheit. Natürlich wissen wir noch nicht, wie es dann an Weihnachten wird – es kann schon sein, dass uns das winterliche Wetter und die deutschen Weihnachtstraditionen fehlen werden, wenn wir hier im Hochsommer 40 Grad haben. Aber ansonsten fühlen wir uns alle hier sehr wohl. Für die Kinder ist es ein Geschenk, weil sie die Chance haben, mit so vielen verschiedenen Kulturen aufzuwachsen: Es gibt natürlich Franzosen und Kreolen, aber auch indische und chinesische Einflüsse. Das ist ein sehr buntes Bild von Menschen, die hier friedlich zusammenleben – das gefällt uns sehr gut und ist natürlich auch eine Horizonterweiterung. So, wie es hier für uns anläuft, gibt es eigentlich keine Gründe, wieder nach Deutschland zu ziehen.

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