Ärztinnen und Ärzte in Führung: Durch Perspektivenwechsel leichter führen

5 Januar, 2022 - 07:35
Dr. med. Sonja Güthoff, MBA
Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Stress- und Burnout-Coach und leitet die Leaders Academy Augsburg - Garmisch Partenkirchen
Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Stress- und Burnout-Coach und leitet die Leaders Academy Augsburg - Garmisch Partenkirchen

Wir Ärztinnen und Ärzte machen einen tollen Job. Wie empfindet jedoch die Patientin oder der Patient unsere Behandlung? Und fühlen sich die Pflegenden von uns gesehen und wertgeschätzt?

Eine gute Nachricht vorweg: Aus Patientensicht liegt die Zufriedenheit mit der ärztlichen Versorgung gemessen an der Weiterempfehlungsbereitschaft im Bundesdurchschnitt bei 81,8 Prozent, jedoch mit einem Minimalwert von 43,1 Prozent (Studie der Bertelsmann Stiftung und der Weissen Liste zur Krankenhausqualität aus Patientensicht, 2018 zu 1.579 Krankenhausstandorten und über 700.000 Bewertungen). Wie aber fühlen sich Patientinnen und Patienten während der Behandlung?

Der Plicker Report von 2016 zeigt auf einer Datenbasis von mehr als 38.800 Rückmeldungen erwachsener Patientinnen und Patienten sowie von mehr als 4.200 Eltern aus 37 pädiatrischen Abteilungen, dass 17 Prozent der erwachsenen Patientinnen und Patienten und sogar 25 Prozent der Eltern kein oder nur wenig Vertrauen in Ärztinnen und Ärzte haben. Dabei bemängeln 36 Prozent bzw. 46 Prozent im Falle der Eltern, dass Ärzte nicht für Ängste, Befürchtungen und Sorgen verfügbar wären. Wie oft versetzen Sie sich in deren Lage?

Ein weiterer Punkt, der einen Perspektivenwechsel wertvoll macht, ist der interprofessionelle Umgang. Schaut man sich die Befragung von 8.570 Pflegekräften aus 25 deutschen Krankenhäusern an (Plicker Report 2015), so geben sie die Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten in mehr als der Hälfte der Antworten als eher negativ an. Außerdem berichten 48 Prozent der Pflegenden, dass sie nicht den Eindruck haben, dass ihre Arbeit als wichtig für das Krankenhaus erachtet wird.

Sind Sie offen für einen Perspektivenwechsel?

Die Tipps, die Thilo Baum als Experte für klare Kommunikation und Kundenorientierung Unternehmen gibt, lassen sich auch auf uns in der Klinik oder Praxis übertragen.

Es kann helfen, sich vor Augen zu führen, dass andere Menschen andere Erfahrungen mitbringen, ein anderes (Fach-)Wissen haben, insgesamt vielleicht auch anders denken – beispielsweise Kolleginnen und Kollegen aus der eigenen oder einer anderen Fachrichtung sowie Pflegende. Nicht zu unterschätzen sind die aus unserer individuellen Erfahrung entstandenen Glaubenssätze und Routinen, die nicht unbedingt für andere gültig und teilweise auch für andere nicht nachvollziehbar sind.

Gerade im medizinischen Team kommen ganz unterschiedliche Berufsgruppen zusammen, die alle zum Gelingen des Behandlungserfolges beitragen – alle auf ihre Weise und mit ihrem Können. Gerade bei Missverständnissen oder Unverständnis zeigt sich immer wieder, dass den anderen beteiligten Personen oft einfach nur Informationen und das entsprechende (Fach-)Wissen fehlen. Sich in deren Perspektive zu versetzen, ist eine gute Möglichkeit, bereits im Vorfeld entsprechende Informationen und Wissen anzubieten.

Alleine es für möglich zu halten, dass man sich auch selber irren oder „betriebsblind“ sein könnte, kann bereits helfen, einer anderen Meinung oder anderen Argumenten gegenüber offen zu bleiben, wenn Kritik oder Wünsche von anderen geäußert werden, also auch die andere Perspektive zu verstehen.

Merke:

Basis für einen Perspektivenwechsel:

  1. Wir machen unterschiedliche Erfahrungen und denken anders.
  2. Anderen könnten Informationen bzw. (Fach-)Wissen fehlen.
  3. Ich könnte mich auch irren oder „betriebsblind“ sein.

Interne „Codes“ und verschiedene Sprachebenen können Frust hervorrufen

Wie oft sprechen wir unsere eigene Fachsprache, die für Patientinnen und Patienten schwer verständlich sind? Aber es gibt auch klinik- oder abteilungsinterne „Codes“, die uns gar nicht mehr bewusst sind. Versuchen Sie doch mal, im Alltag diese „Codes“ zu eruieren, wie „dem PJler, der eine Braunüle legen kommen wird“, was die Patientin etwas verdattert zurücklässt. Häufig finden sich auch uneindeutige Abkürzungen oder interne Bezeichnungen von Medikamenten.

Allerdings kann auch schon allein die Sprachwahl entscheidend sein. Die Pflegenden sind normalerweise räumlich und zeitlich intensiver mit den Patientinnen und Patienten zusammen. Hier kann auch eine stärkere emotionale Beziehung aufgebaut werden, die auch die Sprache über die betroffene Person verändert. Hingegen bleiben uns Ärztinnen und Ärzten aus Zeitmangel oft nur die diagnostischen Fakten, so dass eine ganz andere Sprachebene entsteht. Dies kann nicht nur bei den Patientinnen und Patienten zu dem Gefühl führen, dass nicht auf deren Ängste eingegangen wird, sondern auch zu emotionslos klingenden Anweisungen gegenüber der Pflege.

Sich diese Unterschiede im Stations- oder Praxisteam gemeinsam bewusst zu machen, kann helfen, Frust und Unverständnis vorzubeugen. Auch Tandem-Tage können für einen positiven Perspektivenwechsel sorgen (siehe Praxisbeispiel).

Tipp:

Gemeinsam interne „Codes“ und Sprachunterschiede aufdecken

Nutzen Sie doch mal ein Stations- oder Praxis-Meeting dazu, Awareness dafür zu schaffen, welche internen „Codes“ und Unterschiede es in der Kommunikation mit Patientinnen und Patienten aber auch untereinander gibt.
Sie können z.B. im Aufenthaltsraum eine Liste zur Sammlung auslegen, auf die immer weiter ergänzt wird, was im Stations- und Praxisalltag auffällt. Diese Liste kann nicht nur unterhaltsam sein, sondern auch für ein besseres Miteinander sorgen. Schließlich bietet sie eine gute Grundlage für einen Perspektivenwechsel.

Beispiel aus der Praxis

Der Oberarzt einer neurologischen Station in einer Universitätsklinik ist verzweifelt: Die Stimmung auf seiner Station ist sehr angespannt; das liegt vor allem an der Unzufriedenheit der Pflegekräfte bezogen auf die Zusammenarbeit mit den ärztlichen Mitarbeitenden. Nach einem Führungskräfte-Training zum Thema Perspektivenwechsel ist er entschlossen, etwas zu unternehmen. Er bittet die Chefärztin in Absprache mit der Pflegedienstleitung darum, Tandem-Tagen zuzustimmen. Hierbei ist vorgesehen, dass jeweils Mitarbeitende aus der Pflege und dem ärztlichen Team einen Tag bei der anderen Berufsgruppe mitarbeiten, wobei man einer festen Tandem-Person zugeteilt wird.

Zwei Drittel des Stations-Teams nehmen in den nächsten Monaten freiwillig an den Tandem-Tagen teil. Alle sind angehalten, ihre Erfahrungen schriftlich festzuhalten. Nach drei Monaten ziehen sie gemeinsam im Stations-Team Resümee: Es war interessant zu sehen, wie unterschiedlich die zeitliche Organisation des Tagesablaufs gestaltet wurden. Die ärztlichen Teilnehmenden sind sich darüber bewusst geworden, wie oft den Pflegenden Informationen zur Übernahme der seitens der Ärztinnen und Ärzte angeordneten Aufgaben fehlten. Außerdem war es ihnen geradezu peinlich, wie oft die Pflegekräfte zur Visite auf sie warten mussten oder durch ihre Wünsche und Anordnungen in anderen Tätigkeiten unterbrochen wurden. Die Pflegenden bekamen ein besseres Verständnis vom Arbeitspensum der ärztlichen Kolleginnen und Kollegen, was sie häufig zu knappen Anordnungen zwingt oder auch keinen Raum für zwischenmenschliche Kommunikation lässt.

Alle Teilnehmenden fanden den Tandem-Tag aus der jeweiligen anderen Perspektive sehr bereichernd. Das Verständnis füreinander ist entscheidend gewachsen und die Kommunikation und Stimmung untereinander ist seitdem deutlich gebessert.

Welcher Geist herrscht in Ihrer Klinik oder Praxis?

Wie würden denn Patientinnen und Patienten Ihre Klinik oder Praxis beschreiben, wenn sie ein Mensch wäre? Es hört sich für uns Ärztinnen und Ärzte seltsam an, aber die Patientinnen und Patienten sind im übertragenen Sinne unsere Kundinnen und Kunden, die einen guten Service verdienen. Auch unser Gehalt wird am Ende durch die Krankenkassenbeiträge der Patientinnen und Patienten gezahlt. Erst wenn wir wissen, wie Patientinnen und Patienten unsere Klinik oder Praxis empfinden, können wir gezielt daran arbeiten, unser Image zu verbessern.

Dasselbe gilt jedoch auch hinsichtlich der interdisziplinären Arbeit. Wie würden Kolleginnen und Kollegen aus anderen Abteilungen Ihre Abteilung beschreiben? Welche Atmosphäre herrscht hier und welchen Ruf haben Sie als Team?

Toolbox Führung

Fragen Sie sich als Team doch mal, welche Atmosphäre bzw. Geist in Ihrer Klinik bzw. Praxis herrscht.

  • Wie würden Sie Ihre Klinik oder Praxis beschreiben, wenn sie ein Mensch wäre?
  • Welche Attribute passen zu ihr (siehe Beispiele im Download (jpg, 137 kB))?
  • Befragen Sie doch auch Patientinnen und Patienten anonym nach Ihrer Meinung.
nach Thilo Baum

Haben Sie viel Freude am Perspektivenwechsel. Sie werden nicht nur ein besseres Verständnis für Ihre Mitmenschen erhalten, sondern auch aktiv ein besseres Miteinander im Klinik- und Praxisalltag unterstützen. Unterschätzen Sie auch hier nicht Ihre Vorbildfunktion als Ärztin oder Arzt in Führung.

Die Autorin:

Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Stress- und Burnout-Coach. Auf ärztestellen.de gibt sie regelmäßig Tipps zu Führungs-Themen. Als Leiterin der Leaders Academy Augsburg - Garmisch Partenkirchen begleitet sie Ärztinnen und Ärzte, aber auch Führungskräfte aus anderen Branchen dabei, sich und andere besser zu führen.

Sie möchten mehr erfahren? Das Modul „Erfolg durch Perspektivenwechsel“ mit Thilo Baum als Führungsexperte ist eines der Module im Führungskräfte-Konzept der Leaders Academy.

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