
Vom Patienten-Vorabendcheck-in über digitale Zwillinge bis zum Algorithmus, der die beste Behandlung ermittelt: Dies und mehr wird an der Uniklinik Bonn (UKB) derzeit getestet – wobei der Krankenhausbetrieb als riesiges Real-Labor dient. Prof. Ulrike Attenberger gibt Auskunft, was auf die Ärzteschaft in naher Zukunft zukommen könnte.
„Wir erproben den Medizin-Campus der Zukunft“, erklärt Prof. Ulrike Attenberger und erläutert die einzelnen Schritte: „Ein Ziel ist, die Patienten-Journey zu optimieren. Bevor Patientinnen und Patienten auf den Campus kommen, sollen alle Unterlagen bei uns digital vorhanden sein, und zwar mit Hilfe eines Upload-Portals“, erläutert die Leiterin des Projekts „Innovative Secure Medical Campus UKB“. Bereits dadurch könnten Ärztinnen und Ärzte, wie auch die Pflegekräfe, künftig enorm viel Zeit sparen. Auch die Terminierung soll über ein intelligentes System laufen „damit kein Spezialist, der für absehbare Aufgaben benötigt wird, vor Ort fehlt sowie Slots für Großgeräte wie MRTs und Ops etc. wirklich frei sind“, so Attenberger. Zudem sollen sich die Patientinnen und Patienten künftig besser auf dem Gelände orientieren können, inklusive smartem Parken und autonom fahrenden Shuttle-Fahrzeugen.
Algorithmen, die Therapien vorschlagen
Im zweiten Projektarm werden die Verfahren der Künstlichen Intelligenz (KI) für Diagnostik und Therapie eingesetzt. Dazu zählt die Erstellung digitaler Patienten-Zwillinge. An diesen Avataren sollen Behandlungserfolge mithilfe von Simulationen ausprobiert werden, bevor etwas tatsächlich angewandt wird. Sämtliche Daten, die am UKB erhoben werden, fließen in einen strukturierten „Datensee“. „Diese dienen dann als Material für selbstlernende Systeme, die immer klüger werden, je mehr Daten sie bekommen“, beschreibt die Direktorin der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie. Dazu gibt sie ein Beispiel aus ihrem Fachgebiet: „Unsere Hoffnung ist, dass wir ergänzend über die klassische Bilddatenanalyse einen Algorithmus laufen lassen. Damit können Informationen aus einer Läsion gezogen werden, die wir mit dem menschlichen Auge gar nicht mehr sehen können.“
Das wird dann integrativ abgeglichen mit den klinischen Daten des Patienten oder der Patientin, der Anamnese, Medikamentation, vielleicht auch der Genetik. „So ermitteln wir Wahrscheinlichkeiten, beispielsweise um welchen Tumor es sich in welcher Subspezifizierung handeln könnte und auf welche Therapie dieser am besten anspricht.“ Das alles dient auch als nachfolgende interne Qualitätskontrolle. Darüber hinaus können die vielen gespeicherten Daten perspektivisch für die Forschung genutzt werden, zum Beispiel als Material für Studien.
Mehr Reichweite für OP-Robotik dank 5G
Ein weiteres Feld ist die Optimierung der OP-Robotik. Getestet wird aktuell unter anderem im Bereich der vaskulären Medizin, zum Beispiel bei der Behandlung von akuten Gefäßverschlüssen. Hier geht es für die Zukunft nicht zuletzt um das Operieren aus der Ferne, „als vorbereitenden Schritt, um im Deutschland von morgen weiterhin die ländlichen Gegenden gut zu versorgen“, schildert Attenberger und führt aus: „Auf unserem Campus gibt es bereits ein 5G-Netz. Das erlaubt uns, große Datenmengen in Echtzeit zu transferieren, um Latenz in der Ansteuerung des Roboters zu vermeiden.“ Top-Spezialistinnen und -Spezialisten müssten also in Zukunft nicht mehr reisen, sondern operieren vielleicht von einem Einsatzzentrum aus. Diese Technik kann Medizinerinnen und Medizinern künftig aber auch vor Ort Vorteile bieten. „Bei Katheter-Interventionen schützt dies vor Strahlung, weil die ausführende Person nicht mehr direkt in der Angio dabeistehen muss“, erklärt die Medizinerin. Und neue Trainingsmöglichkeiten für den Nachwuchs bietet die Robotik auch.
Effizient und datensicher
Ebenso sollen viele Abläufe generell effizienter werden. „Für mich geht es auch um bessere Ressourcenplanung, um bei einem universitären Maximalversorger die Prozesse des Patientenaufenthalts sowie die Personaleinsatzplanung optimal aufeinander abstimmen zu können“, sagt die Radiologin. Auch in der Pflege soll die Orga von Stations-Abläufen auf diese Weise einfacher werden. Im Ergebnis werden dadurch auch Liegezeiten reduziert und die Gesamtversorgung günstiger.
Einige dieser Optimierungen werden zwar schon überall rund um den Globus erprobt, doch wirklich neu ist: „Wir testen alles weltweit erstmals in Realitas mit sämtlichen Daten, Konzepten und Therapien, die in einem so großen Haus anfallen. Dann werden wir sehen was funktioniert. Und was bei uns funktioniert, wird auch woanders funktionieren.“
Um all das umzusetzen, nimmt die heute schon große Anzahl an vernetzten Geräten im Krankenhaus noch einmal deutlich zu. Klar ist damit aber auch: Das ganz große Risiko liegt natürlich im Thema Informationssicherheit und Datenschutz. „Wir wissen aus der Vergangenheit, dass in allen Geräten Sicherheitslücken lauern können. Somit können wir erfolgreiche Cyber-Angriffe nie ganz ausschließen. Also versucht man zum einen die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Angriffs zu minimieren, aber gleichzeitig die Auswirkungen beherrschbar zu machen“, informiert Dieter Padberg, IT-Direktor des UKB und Co-Leiter des Projekts. Dafür werden in Kooperation mit dem Cyber Security Cluster Bonn Systeme implementiert, die KI-gestützt sowohl potenzielle Gefährdungen frühzeitig erkennen als auch deren zielgerichtete Bewältigung unterstützen.
Was genau erwartet uns in der Welt von morgen?
Werden manche Fachrichtungen gar abgeschafft? „Selbstverständlich nicht“, beruhigt Attenberger. „Sicher ist aber, dass alle Arbeitsprozesse digitaler werden. Darauf muss sich die neue Generation einstellen. Doch das dient nur als Unterstützung unseres täglichen Handelns und unserer Entscheidungen. Es geht darum, die Arbeit, die auf uns lastet und die noch auf uns zukommen wird, schaffbarer zu machen.“
Denn die Herausforderungen durch den demografischen Wandel werden sich bereits in den nächsten zehn bis 15 Jahren für das Gesundheitssystem gravierend zuspitzen: Fachkräftemangel in der Pflege wie im ärztlichen Dienst – und das bei mehr multimorbiden, komplexerkrankten Patientinnen und Patienten, teureren individualisierten Therapien und weniger Beitragszahlern. „Wir müssen uns jetzt einfach trauen, diesen Schritt zu gehen. Da kommen wir als überalternde Gesellschaft einfach nicht drum herum“, betont die Ärztin.
Außerdem könnte noch etwas richtig Gutes dabei „herausspringen“: „Ich habe das Gefühl, dass sich die Patienten und Patientinnen und auch die Angehörigen zunehmend verloren fühlen. Sie bekommen einfach zu wenig Informationen und Zuwendung. Ich bin zuversichtlich, dass wir am Ende wieder mehr Zeit für den Dienst am Menschen bekommen“, hofft Attenberger.
In Bonn getestet: Der Medizin-Campus der Zukunft
Das Digitalisierungs-Projekt „Innovative Secure Medical Campus UKB“ hat eine Laufzeit von drei Jahren. Es wird vom Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen mit einer Fördersumme von bis zu 17,5 Million Euro unterstützt. Involviert sind zunächst Radiologie und Chirurgie. Letztere ist eingebettet in das operative Zentrum mit Verbindungen zu Orthopädie, Unfallchirurgie, Urologie, Innerer Medizin, Kardiologie und Vaskulärer Medizin. Auch der gesamte administrative Stab wird miteinbezogen. Die Ergebnisse sollen zeitnah anderen Kliniken zugutekommen.