Alltag im Krankenhaus bedeutet Überlastung für Ärztinnen und Ärzte

12 Oktober, 2022 - 07:21
Bianca Freitag
Erschöpfte Ärztin im Krankenhaus

Überstunden, arbeiten trotz Krankheit, zu viel Bürokratie – die hohe Arbeitsbelastung im Krankenhaus sorgt bei vielen jungen Ärztinnen und Ärzten für Überlastung. Das ergab eine Umfrage des Arbeitskreises junge Ärztinnen und Ärzte im Hartmannbund. Die Ergebnisse seien erschreckend.

„Salutogenese“ lautete das Thema der Umfrage, also der individuelle Entwicklungs- und Erhaltungsprozess von Gesundheit. Insgesamt nahmen 850 Assistenzärztinnen und -ärzte an der Umfrage des Arbeitskreises im Hartmannbund teil. Dabei zeigen die Umfrageergebnisse, dass die Arztgesundheit im Gesundheitswesen eher weiter unten auf der Prioritätenliste steht.

Keine verlässliche Planung

Denn der Arbeitsalltag im Krankenhaus scheint bei den Ärztinnen und Ärzten häufig zu einer psychischen und physischen Überlastung zu führen. Das liege hauptsächlich an der zu hohen Arbeitsbelastung, erklärt der Arbeitskreis. Etwa 90 Prozent der Befragten gibt an, mehr Stunden im Monat zu arbeiten, als der Stellenanteil eigentlich vorsieht. Dabei haben jedoch nur knapp die Hälfte (47 Prozent) einer Opt-Out-Regelung zugestimmt. Gleichzeitig findet eine exakte Erfassung der Überstunden bei etwa einem Viertel der Befragten am Arbeitsplatz nicht statt. Die Gründe dafür sind vielfältig: Entweder werde das vom Chef nicht gern gesehen (63 Prozent), die Überstünden würden ohnehin nicht genehmigt (53 Prozent), das Ganze sei zu aufwendig (23 Prozent) oder man habe Sorge vor einer Benachteiligung (23 Prozent), sollte man Überstunden melden.

Auch in Sachen Urlaubs- und Dienstplanung lassen die Umfrageergebnisse zu wünschen übrig. Mehr als 40 Prozent der Befragten sagen, dass sie sich nicht auf ihre Dienstplanung verlassen können, 13 Prozent gleichzeitig auch nicht auf ihre Urlaubsplanung. Es gebe zudem zu wenig Flexibilität für die individuellen Bedürfnisse bei der Planung. Der gravierendste Aspekt ist jedoch, dass es bei fast allen Befragten (95 Prozent) keine langfristigen Konzepte gebe, um kurzfristige Dienstausfälle von Kolleginnen und Kollegen nachzubesetzen. „Ohne Balance zwischen Belastung und Entspannung steigt das Gesundheitsrisiko unseres Berufes immer mehr. Hier muss dringend nachgebessert werden“, fordert Dr. Moritz Völker, Vorsitzender des Arbeitskreises junger Ärztinnen und Ärzte.

Dauerhaftes Arbeiten am Limit

Ein weiteres erschreckendes Ergebnis der Umfrage ist, dass 66 Prozent aller Befragten im Grunde dauerhaft am Limit arbeiten. Etwa die Hälfte gibt an, dass sie künftig ihren Stellenanteil reduzieren, die Fachrichtung oder den Arbeitgeber wechseln wollen. Die Reduzierung der Arbeitszeit hätte jedoch eine völlige Überlastung des Gesundheitssystems zur Folge, mahnt Völker.

Patientinnen und Patienten wünschen sich natürlich einen gesunden Arzt oder Ärztin und nicht jemanden, der schon eine 18-Stunden-Schicht im Krankenhaus hinter sich hat und überarbeitet oder selbst krank ist. Aber auch hier gibt es Probleme, wie die Umfrage zeigt: Mehr als 45 Prozent der Befragten hat derzeit keinen Hausarzt oder Hausärztin, weil sie selten krank seien oder schlicht keine Zeit hätten, jemanden zu suchen. Mehr als die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte setzt jedoch bei Krankheit auf Selbstmedikation. 40 Prozent haben häufig trotzdem gearbeitet, obwohl sie eigentlich krank waren, bei 10 Prozent kam das sogar sehr häufig vor. Die Hauptgründe dafür waren, einerseits nicht die Kolleginnen und Kollegen im Stich lassen zu wollen (90 Prozent), andererseits die Patientinnen und Patienten nicht unversorgt zu lassen (44 Prozent). Die Befragten weisen ein hohes Pflichtbewusstsein auf, da es keine oder nur schlecht umsetzbare Ersatzregelungen gebe. Das schade einerseits dem Einzelnen und erfordere andererseits einen Systemwechsel, fordert Völker eindringlich.

Bessere Work-Life-Balance und Arbeitsklima

Die meisten Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer befinden sich in den ersten Weiterbildungsjahren, es handelt sich also um junge Ärztinnen und Ärzte. Doch hier sagten schon 73 Prozent der Befragten, dass ihnen die Freude an der Arbeit verloren gehe. Die Gründe dafür seien eine zu hohe Arbeitsbelastung (87 Prozent), respektlose oder undankbare Patientinnen und Patienten (81 Prozent), zu wenig Weiterbildung (79 Prozent), zu wenig Zeit für Patientinnen und Patienten (73 Prozent) oder zu viel Dokumentation (71 Prozent). Sollte sich daran nichts ändern, könnten diese Medizinerinnen und Mediziner dem Gesundheitssystem möglicherweise gänzlich verloren gehen, was den Ärztemangel drastisch verschärfen würde, fürchtet Völker.

Insgesamt wünschen sich die Ärztinnen und Ärzte zur Verbesserung ihrer Lage eine bessere Work-Life-Balance und ein besseres Arbeitsklima: kürzere Arbeitszeiten pro Tag, mehr Freizeitausgleich, weniger Bürokratie, mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten, strenge Arbeitszeitkontrollen und geregelte Pausen, mehr Personal und einen wertschätzenden Umgang im Kollegium sowie kluge Digitalisierung. Nur dadurch könne man den Beruf auch noch jahrelang gesund und glücklich ausüben.

Quelle: Umfrage zu Salutogenese junger Ärzt:innen, Arbeitskreis junge Ärztinnen und Ärzte im Hartmannbund, 2022

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