Als Ärztin oder Arzt bei der Deutschen Rentenversicherung Bund

2 März, 2022 - 07:56
Gerti Keller
Junge Frau im Rollstuhl, Rückansicht

23,7 Millionen Versicherte und 10,5 Millionen Renten verwaltet die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund). Allein um die medizinische Beurteilung in Rehabilitations- und Rentenverfahren kümmern sich 185 beratende Ärztinnen und Ärzte. Was genau ist ihr Job? Dr. Maren Gehring ist eine von ihnen und gibt Auskunft.

In der DRV Bund-Verwaltung gibt es vier ärztliche Teams. Fangen wir mit dem ersten an. Was machen beratende Ärztinnen und Ärzte im Team Rente?

Dr. Maren Gehring: Hier geht es im Wesentlichen darum, Anträge wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung zu bearbeiten. Je nachdem, ob der oder die Versicherte gar nicht mehr oder nur noch in reduziertem Umfang arbeiten kann. Dabei muss genau geschaut werden, zu welchen Einschränkungen eine Krankheit führt – in Bezug auf den zeitlichen Umfang, in dem gearbeitet werden kann, aber auch hinsichtlich Arbeitsschwere oder -haltung. So kommt beispielsweise für einen Fliesenleger mit schwerer Kniearthrose sein Beruf kaum mehr in Frage, andere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt können dagegen noch möglich sein. Letztlich erstellen die beratenden Ärztinnen und Ärzte ein individuelles Leistungsbild, was geht, was nicht mehr und was vermieden werden sollte.

In der Jobbeschreibung steht: Die Ärztinnen und Ärzte veranlassen Ermittlungen, um das Leistungsvermögen der Antragsteller festzustellen. Was bedeutet das?

Dr. Maren Gehring: Der Begriff Ermittlung erinnert ein bisschen an detektivische Arbeit, das machen wir natürlich nicht. Es geht um Sachaufklärung. Die Arbeitsabläufe sind in etwa so: Bei einem neuen Antrag schauen wir zunächst, ob die medizinischen Unterlagen aussagekräftig sind beziehungsweise welche Informationen fehlen. Manchmal wurden alle Details akribisch vorbereitet. Dann reicht das einmalige Sichten für ein klares Bild. Bei unvollständigen Eingaben müssen wir die behandelnden Ärztinnen und Ärzte anschreiben, wie die Hausärztin, bei der viele Stränge zusammenlaufen. Oft fordern wir zudem Befunde von Fachärzten oder Berichte aus Krankenblattarchiven von Kliniken an. Es kann auch sein, dass wir Dokumente von einem ganz speziellen Arzt benötigen, zum Beispiel bei seltenen Erkrankungen.

Erfolgt die Beurteilung rein nach Akte?

Dr. Maren Gehring: Ja. Wir begutachten nicht selber, sondern geben gutachterliche Stellungnahmen ab. Dafür arbeiten wir nach der sogenannten Aktenlage ohne direkten Versicherten-Kontakt.

08.05.2024, Ford Motor Company
Köln
04.05.2024, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Berlin

Was machen beratende Ärztinnen und Ärzte im Team Rehabilitation?

Dr. Maren Gehring: Diese Kolleginnen und Kollegen beschäftigen sich mit Reha-Anträgen. Hier geht es darum, eine passende Leistung oder die richtige Rehabilitationseinrichtung für die Antragstellenden zu finden, denn es gibt so viele verschiedene medizinische und berufliche Angebote. Dafür werden die medizinischen Unterlagen der Anträge entsprechend ausgewertet. Es bestehen auch verschiedene Schnittstellen zum Team Rente. Unser medizinischer Blick ist immer auf den Grundsatz „Reha vor Rente“ fokussiert, im Zweifel tauschen sich die Teams dann aus.

Um welche Reha-Leistungen geht es?

Dr. Maren Gehring: Wir haben zwei große Gruppen, die medizinische und die berufliche Rehabilitation. Neben der bekannten klassischen medizinischen Reha gibt es auch Rehabilitation für Kinder und Jugendliche, onkologische Rehabilitation oder die Anschlussheilbehandlung. Die Leistungen zur beruflichen Reha sind noch weitaus vielfältiger. Da können technische Hilfen beantragt werden, wie eine spezielle Büroausstattung oder ein finanzieller Zuschuss zum Beispiel in Form der Kraftfahrzeughilfe, wenn jemand einen Führerschein oder eine spezielle Fahrzeugausstattung benötigt, um seinen Arbeitsplatz zu erreichen. Ferner existieren breite Umschulungsangebote. Zudem gibt es ein Zusammenspiel zwischen Ärztinnen und Ärztenen und Sachbearbeitung, wo Spezialisten für bestimmte Fragestellungen bereitstehen.

Werden die Fälle fachlich zugeteilt?

Dr. Maren Gehring: Grundsätzlich erst einmal nicht, mit Ausnahme einzelner spezialisierter Bereiche. Wir arbeiten wirklich interdisziplinär sozialmedizinisch. So kann eine Gynäkologin durchaus den Burnout auf den Tisch bekommen. Sie weiß aber, an wen sie sich für weiterführende Informationen wenden kann und es gibt Möglichkeiten sich – auch auf dem kurzen Dienstweg – fachlich beraten zu lassen. Denn neben den großen Fächern wie Innere Medizin, Orthopädie und Psychiatrie/Psychosomatik arbeiten bei uns fast alle ärztlichen Disziplinen. Im Team Reha und Rente sind wir zusammen 185 Ärztinnen und Ärzte. Und bei komplexen Fällen oder wenn ich eine sehr umfangreiche Expertise brauche, kann man eine externe Begutachtung beauftragen.

Was sind die häufigsten Fälle?

Dr. Maren Gehring: Die Anträge betreffen das gesamte medizinische Spektrum. Die häufigsten stammen, sowohl was die Reha als auch die Rente angeht, aus dem psychosomatischen und psychiatrischen Fachgebiet, der Orthopädie gefolgt von Erkrankungen der inneren Organe. Nicht selten haben wir aber auch Fragestellungen aus kleineren Fachgebieten wie Augenheilkunde, Dermatologie oder Urologie. Inzwischen ist auch Long-/Post-COVID ein wichtiges Thema in der Rehabilitation.

Was sind ungewöhnliche, nicht alltägliche Fälle?

Dr. Maren Gehring: Spannend wird's auch bei uns immer dann, wenn sogenannte medizinische „Kolibris“ kommen, also ganz seltene Erkrankungen. Und das passiert gar nicht so selten. Ich erinnere mich beispielsweise gerade an eine Ichthyose oder eine besondere Form der Lichtdermatose, die im Alltag bereits schwerste Einschränkungen zur Folge hatte. Da muss man dann recherchieren und sich mit dem Hintergrund beschäftigen.

Wie viele Fälle hat ein Arzt oder eine Ärztin bei Ihnen „in der Mache“?

Dr. Maren Gehring: Das ist ganz verschieden und hängt von vielfältigen Faktoren ab, insbesondere von der Komplexität. So als grobe Größenordnung kann man sagen zwischen 30 und 50 Fällen pro Tag bei einer Vollzeitbeschäftigung. Mit Luft nach oben und unten.

Wie lange kann sich ein Fall hinziehen?

Dr. Maren Gehring: Auch das ist sehr unterschiedlich. Bei manch einer Erkrankung braucht man viele Unterlagen, bei anderen reichen wenige Dokumente aus. Darüber hinaus kann eine Diagnose ganz verschiedene Symptome zur Folge haben. Nur weil Diabetes mellitus auf der Krankschreibung steht, weiß man ja nicht, wie schwer jemand in seinen Aktivitäten eingeschränkt ist. Während bei dem einen die Behandlung gut anspricht, hat die andere einen komplikationsbehafteten Verlauf. Hinzu kommt, dass Versicherte, die bei uns eine Erwerbsminderungsrente beantragen, häufig langfristig betroffen sind und infolgedessen oft auch unter einer psychischen Erkrankung leiden. Da ist wirklich eine ganzheitliche Sichtweise gefragt. Für mich ist das wie ein Knäuel aus verschiedenen Garnen mit unterschiedlichen Stärken und Farben. Sie müssen diese Elemente auseinandernehmen, sortieren, und das Ganze dann wieder zusammensetzen und bewerten. Dieser Blick weit über das eigene Fachgebiet hinaus, ist auch das spannende an der Sozialmedizin. 

Sind die Ärztinnen und Ärzte auch an Widersprüchen beteiligt?

Dr. Maren Gehring: Ja. Wird ein Antrag nicht bewilligt oder nicht in dem erwarteten Ausmaß, kommt es häufig zum Widerspruch. Dann müssen wir den neuen Argumenten nachgehen. Meistens sind medizinische Informationen dazugekommen oder der Fokus wurde in eine andere Richtung gelenkt. Die Versicherten müssen schließlich begründen, warum sie Widerspruch einlegen. Wird dieser zurückgewiesen, kann vor dem Sozialgericht geklagt werden; das betrifft vor allem Fälle im Bereich der Erwerbsminderungsrente. Auch dann sind wir weiter tätig. So fertigen wir zu den Sachverständigen-Gutachten, die vom Gericht eingeholt werden, Stellungnahmen an, beraten die Juristinnen und Juristen unseres Hauses und versuchen, die medizinischen Dokumente gut für sie zu übersetzen. Ein solches Verfahren kann sich über viele Jahre hinziehen. Letztlich geht es ja darum, ob Leistungen zurecht gewährt werden. Das ist unsere Verantwortung für die Solidargemeinschaft.

Als Arzt oder Ärztin bei der DRV Bund

Ärzte und Ärztinnen im Team Rente der DRV Bund arbeiten an drei Standorten: Berlin, Gera und Stralsund. Einsteiger und Einsteigerinnen werden mehrwöchig intensiv eingearbeitet, um sich die umfangreiche Thematik anzueignen. Wer schon einen Facharzttitel hat, kann „on the job“ die Zusatzbezeichnung Sozialmedizin erlangen. Aber auch alle Mediziner und Medizinerinnen ohne Facharzttitel nehmen an den Fort- und Weiterbildungen teil. Die Einstellung erfolgt je nach Qualifikation und Erfahrung in den EG-Gruppen 14 (Stufe1) bis 15 (Stufe 6). Das entspricht derzeit einer Gehaltsspanne von 4.460 Euro bis 7.020 Euro brutto.

Ferner sind Ärztinnen und Ärzte bei der DRV Bund in Rehakliniken beschäftigt sowie als Betriebsärzte oder Arbeitsmediziner. Und darüber hinaus gibt es noch die 14 regionalen Rentenversicherungsträger mit weiteren offenen Stellen.

Was machen die Ärztinnen und Ärzte in den anderen beiden Teams?

Dr. Maren Gehring: Sie haben ganz andere Aufgaben. Im Team „Grundsatz Sozialmedizin“ werden keine konkreten Einzelfälle bearbeitet. Da geht es mehr um allgemeine sozialmedizinische Fragestellungen aus den Gebieten Prävention, Rehabilitation, Rente – und zwar für die gesamte Deutsche Rentenversicherung, auch, um das intern zu koordinieren. Zudem ist dort die Vertretung der DRV gegenüber der Politik oder Fachgesellschaften angesiedelt. Ebenso gibt es Kooperationen in Bezug auf Wissenschaft und Forschung; diese Kolleginnen und Kollegen werden auch zu Leitlinien gefragt. Im Team „Rehabilitationseinrichtungen und Gutachter*innen-Betreuung“ wiederum steht die medizinische Qualität der Rehakliniken sowie der Gutachten, die für uns erstellt werden, im Mittelpunkt. Das beinhaltet einen intensiven Austausch mit den Einrichtungen, der auch vor Ort stattfindet. 

Warum sind Sie zur DRV gegangen?

Dr. Maren Gehring: Ich bin Internistin und kam 2013 aus einer Uniklinik. Zum einen lockte mich die unbefristete Anstellung, zum anderen – und ich glaube, das war ausschlaggebend – war es die gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Als Mutter von zwei Kindern sind flexible Arbeitszeiten ohne Wochenend- oder Nachtdienste für mich wichtig. Gleichzeitig war für mich damit auch der Wechsel aus einer Teilzeit- auf eine Vollzeitstelle möglich.

Vermissen Sie etwas?

Dr. Maren Gehring: Wenn ich für mich persönlich sprechen darf: nichts. Die Sozialmedizin ist keineswegs angestaubt. Sie ist modern, dynamisch und abwechslungsreich. Wir sind immer am Puls der Zeit. Dem ein oder der anderen mag der Patientenkontakt fehlen, auch das handwerklich Praktische. Es ist eine Schreibtisch-Tätigkeit. Allerdings wird diese gerade immer digitaler mit neuen Home-Office-Möglichkeiten. So stehen wir mittlerweile über Videokonferenzen enger im Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen an den verschiedenen Standorten, als vorher durch Telefon und Dienstreisen.

Welche Fähigkeiten sollten Bewerber mitbringen?

Dr. Maren Gehring: An erster Stelle großes Interesse und Offenheit für andere Fachdisziplinen. Wenn man die Neugier mitbringt, über den Tellerrand zu gucken und sich auch gerne mit gesetzlichen Rahmenbedingungen beschäftigt, ist man bei uns genau richtig. Wer Fragen hat, kann mich auch gern anrufen oder mal einen Tag hospitieren.

Die Expertin

Dr. Maren Gehring

Dr. Maren Gehring ist Internistin und seit 2017 Abteilungsärztin Rente bei der DRV Berlin.

Bild: © Raphael Gödecke

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