Arbeiten beim IMPP: So entstehen die Fragen fürs medizinische Staatsexamen

14 September, 2023 - 13:54
Gerti Keller
Meeting

Beim Zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung müssen klinische Fragestellungen in jeweils 320 Multiple-Choice-Aufgaben behandelt werden. Die allermeisten Aufgaben sind für jeden Prüfungstermin neu. Und genau für die Erstellung dieser Prüfungsaufgaben sucht das Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) regelmäßig Ärztinnen und Ärzte als wissenschaftliche Referentinnen und Referenten. Doch wie kann man sich den Arbeitsalltag vorstellen? Ein Gespräch mit Dr. Martin Hendelmeier, der die Klinik gegen das Büro getauscht hat.

Herr Dr. Hendelmeier, denken Sie sich täglich Prüfungsaufgaben aus?

Dr. Martin Hendelmeier: Viele meinen, wir sitzen im stillen Kämmerchen und tun genau das. Wir sind schließlich die zuständige Behörde dafür und heißen „Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen“. Aber – und das ist ganz wichtig – die Aufgaben für die medizinischen Staatsprüfungen werden von medizinischen Expertinnen und Experten, den sogenannten Sachverständigen erstellt. Diese sind akademische Koryphäen für ihr jeweiliges Fachgebiet und werden auf Vorschlag der medizinischen Fakultäten und Fachgesellschaften ernannt. Überwiegend handelt es sich dabei um Lehrstuhlinhaber und -inhaberinnen sowie Chef- und Oberärzte und -ärztinnen aus allen medizinischen Hochschulen in Deutschland. Das heißt, die Sachverständigen kommen aus der Mitte der akademischen Hochschullandschaft mit großer Expertise im Unterricht von Studierenden und der Behandlung von Patientinnen und Patienten. Ihnen allein obliegt der primäre fachlich-inhaltliche Input. Die wissenschaftlichen Referentinnen und Referenten des IMPP sichern Wissenschaftlichkeit und Eindeutigkeit. In enger Abstimmung bündeln wir die einzelnen Prüfungsaufgaben zu einem Staatsexamen und kümmern uns um die „Feinabstimmung“.

Was heißt das konkret?

Dr. Martin Hendelmeier: Zur „Feinabstimmung“ gehört die wissenschaftliche Referenzierung der Prüfungsaufgaben, von uns auch „Belegarbeit“ genannt. Beim Zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung handelt jede Aufgabe von einem klinischen Fall mit jeweils fünf Antwortoptionen, von denen nur eine die richtige Lösung darstellt, während die anderen vier die „Falschantworten“, „Distraktoren“ genannt, sind. Jede dieser Optionen muss eindeutig durch mehrere Literaturstellen in studentischen Lehrbüchern belegt werden. Somit gehört die systematische Literaturrecherche zum Arbeitsalltag unserer Mitarbeitenden.

Wie kann man sich das tägliche „Doing“ vorstellen?

Dr. Martin Hendelmeier: Unsere Referentinnen und Referenten stehen im Kontakt zu „ihren“ jeweiligen Sachverständigen. Wie sie diese Kontaktpflege gestalten, ob per Telefon, E-Mail oder im Videoformat, ist ihnen freigestellt. Zudem finden verschiedene größere Sitzungen statt, die von ihnen vorbereitet werden müssen. Dazu gehören etwa 26 Revisionssitzungen pro Jahr, die überwiegend im Videoformat stattfinden. Darin wird jede Aufgabe mit den Sachverständigen besprochen – und zwar interdisziplinär. Heißt: Die Fragen und Antworten werden vom Blickwinkel jeweils unterschiedlicher klinischer Disziplinen betrachtet, gegebenenfalls modifiziert und im Konsens verabschiedet. Die Sitzungen stellen somit einen Kernbereich für die Gestaltung der Prüfungsaufgaben und damit der medizinischen Staatsexamina dar. 

Können Sie diese Meetings näher erläutern?

Dr. Martin Hendelmeier: Lassen Sie mich das an einem Beispiel einer Fallstudie mit insgesamt drei Prüfungsaufgaben aus der Pädiatrie verdeutlichen: Die Fallstudie wurde von einem oder einer Sachverständigen erstellt, zum Beispiel von einer Lehrstuhlinhaberin für Pädiatrie. Bei der ersten Aufgabe geht es um eine Diagnosestellung mittels Bildgebung. Dafür können neben der Sonografie auch ein Röntgen-Thorax oder eine CT-Untersuchung in den Antwortoptionen vertreten sein. Das bedeutet, hier ist neben dem pädiatrischen Blickwinkel auch die Sichtweise aus der Radiologie erwünscht. Bei der zweiten handelt es sich um den Verdacht auf eine bakterielle Infektion und es stehen mehrere mikrobiologische Diagnosemöglichkeiten zur Auswahl. Die dritte dreht sich um die pharmakologische Therapie der Erkrankung. Also werden an der Sitzung neben der Pädiatrie auch die Radiologie die Mikrobiologie und die Pharmakologie vertreten sein.

Welche Fachrichtungen arbeiten bei Ihnen?

Dr. Martin Hendelmeier: Wir haben Allgemeinmedizin, Innere Medizin, Chirurgie, Radiologie, Mikrobiologie und Pharmakologie an Bord. Aber natürlich nicht jede Fachdisziplin. Wir helfen uns gegenseitig, prinzipiell müssen unsere 22 Mitarbeitenden jedoch jedes medizinische Fachgebiet bearbeiten können. Darüber hinaus kooperieren wir mit mehr als 200 Sachverständigen – und der Austausch mit diesen Expertinnen und Experten ist uns sehr wichtig.

Ihre Ärztinnen und Ärzte sollen auch Prüfungsformate weiterentwickeln. Was ist damit gemeint?

Dr. Martin Hendelmeier: Je nachdem, was die neue Approbationsordnung vorschreiben wird, gibt es künftig vielleicht neue Formate. Schlagwort ist auch hier die Digitalisierung. Unsere Staatsexamina sind momentan noch papierbasiert. Vielleicht ist das demnächst per Tablet möglich? Das könnte spannende Optionen eröffnen. Statt – wie bisher – einer schriftlichen Beschreibung von Atemproblemen könnten die Studierenden in zukünftigen Prüfungen diese tatsächlich als Auskultationsbefund hören und beurteilen. Oder sie könnten sich ein Video eines Anamnesegesprächs ansehen, in dem eine Patientin ihre Beschwerden schildert.

In vielen medizinischen Fakultäten wird zwar schon seit Jahren computerbasiert geprüft, aber das sind „Insel-Lösungen“. Wir haben jedoch die Anforderung, dass die Staatsprüfung an allen Standorten, ob in Greifswald oder in Freiburg, bundesweit zeit- und inhaltsgleich stattfinden muss. Und das kann potentiell ein Problem sein, wenn durch IT-Komplikationen, zum Beispiel durch den Ausfall eines Servers an irgendeinem Prüfungsstandort erst mit zeitlichem Verzug gestartet würde oder die Prüfung dort gar nicht mehr stattfinden kann.

In Ihren Stellenanzeigen steht, dass man das IMPP auch bei Gericht vertreten muss?

Dr. Martin Hendelmeier: Wir müssen die Prüfungsaufgaben „rechtssicher“ gestalten. Denn jeder Prüfungsteilnehmende kann das Ergebnis juristisch anfechten. Lassen Sie mich auch hier ein Beispiel nennen: In der richtigen Lösung wird ein Kind mit dem Antibiotikum XY behandelt, der Studierende hat aber ein anderes angekreuzt und ist der Meinung, dies sei genauso richtig. Für die Stellungnahme schreiben wir dazu jetzt keinen juristischen Text, sondern eine medizinische Stellungnahme. Jede gut belegte Prüfungsaufgabe lässt sich schließlich auch entsprechend gut verteidigen. Den Gerichtssaal betritt man aber relativ selten.

Welche besonderen Fähigkeiten sollte man für diesen Job mitbringen?

Dr. Martin Hendelmeier: Analytisches, strategisches und wissenschaftliches Denken sowie eine selbstständige Arbeitsweise. Ebenso praktisch-ärztliche Berufserfahrungen, denn bei den Prüfungsaufgaben handelt es sich um klinische Fälle. Bewerbende sollten deshalb die zugrunde liegende klinische Situation beurteilen und die Lösung „vor dem geistigen Auge durchspielen“ können. Für die Sitzungen mit den Sachverständigen sind gute Vortrags-, Präsentations- und Moderationskenntnisse von Vorteil.

Was sind die Vorteile, was die Nachteile?

Dr. Martin Hendelmeier: Es handelt sich um einen spannenden, herausfordernden Job in einem motivierten, interdisziplinären Team, das sinnvolle Arbeit am Puls der Zeit leistet. Unsere Crew wirkt durch die Erstellung medizinischer Examina an der Qualitätssicherung der medizinischen Ausbildung mit und leistet somit auch einen Beitrag zur zeitgemäßen Gesundheitsversorgung unserer Bevölkerung.

Wir bieten einen sicheren Arbeitsplatz im Öffentlichen Dienst. Der Arbeitsalltag wird durch die Möglichkeit alternierender Telearbeit modern und familienfreundlich gestaltet. Es gibt keine Nacht-, Wochenend- und Feiertags-Dienste oder Rufbereitschaften. Feste Sitzungstermine werden langfristig im Voraus geplant. Ein Nachteil ist sicherlich, dass man nicht mehr ärztlich-kurativ tätig ist – es fehlt der Patientenkontakt. Allerdings besteht am IMPP grundsätzlich die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit, sodass man beispielsweise am IMPP und in einer Klinik sein kann, falls einem die Klinik doch zu sehr fehlen sollte.

Welche Inhalte finden Sie besonders spannend?

Dr. Martin Hendelmeier: Ich finde es richtig klasse, mit den medizinischen Topleuten aus ganz Deutschland zusammenzuarbeiten. Es ergeben sich immer wieder tolle Gespräche, bei denen man selbst dazu lernen kann. Wir haben außerdem mit allen medizinischen Fachgebieten zu tun, das ist gelebte Interdisziplinarität!

Wie wird man eingearbeitet?

Dr. Martin Hendelmeier: Wer bei uns anfängt, wird strukturiert eingearbeitet und zeitnah an die eigenverantwortliche Bearbeitung von Prüfungsaufgaben herangeführt, stets mit der Möglichkeit, diese im Team zu diskutieren. Dazu gehört auch, dass Neulinge zu Beginn erst einmal „mitlaufen“ und zusehen, wie wir unseren Arbeitsalltag gestalten. Es gibt ganz unterschiedliche Wege, die zum Ziel führen. Jeder Mitarbeitende hat einen eigenen Arbeitsstil, und was zu Ihnen am besten passt, können Sie sich dann aussuchen. Auch bei den ersten Sitzungen sind Sie zunächst passiv dabei, machen sich Notizen und wir sprechen darüber, was Ihnen aufgefallen ist. Erst danach bekommen Sie die ersten eigenständig zu bearbeitenden Aufgaben.

Wie viele neue Leute suchen Sie? Lohnt es sich finanziell?

Dr. Martin Hendelmeier: Wir suchen mehrere neue Kolleginnen und Kollegen. Im Angestelltenverhältnis kann man bis zur Entgeltgruppe E15 aufsteigen. Zudem besteht die Möglichkeit zur Verbeamtung auf Lebenszeit mit Aufstiegsmöglichkeiten bis einschließlich Besoldungsgruppe A15. Man kann noch weiter aufsteigen, beispielsweise zum Fachgebietsgruppenleiter.

17.03.2025, Med X Gesellschaft für medizinische Expertise mbH
Hamburg
14.03.2025, Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS)
Augsburg

Nutzen Sie schon KI?

Dr. Martin Hendelmeier: Derzeit nicht, aber wir streben Forschungsprojekte an, um zu untersuchen, ob KI künftig den Fragenerstellungs- und Fragenrevisionsprozess unterstützen kann. Aber: Sie wird niemals die klinisch-ärztliche Entscheidungsfindung oder die Sachverständigen ersetzen können. Dafür ist die Medizin zu komplex, individuell und – zum Glück – auch zu „menschlich“. Die umfassende Erfahrung unserer Sachverständigen aus Lehre, Forschung und Praxis gibt die KI zumindest zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht wieder. Sie kann vielleicht punktuell unterstützen, wie ein Grundgerüst für eine Prüfungsaufgabe vorschlagen, aber das ist nicht der entscheidende Punkt. Es geht darum, Aufgaben zu entwickeln, in denen Lehrbuchwissen auf die in der Prüfungsaufgabe geschilderte klinische Situation kontextspezifisch angewendet werden muss. Dabei spielen Begleiterkrankungen eine große Rolle, aber auch Faktoren wie Alter, Geschlecht oder die Lebenssituation des Patienten oder der Patientin.

Schlussendlich muss ein Examen, bevor es „in den Druck“ geht, ganzheitlich beurteilt werden, sprich es muss sichergestellt werden, ob alle relevanten Kernbereiche thematisch abgedeckt sind und die Schwierigkeit im Vergleich zu vorherigen Examina ausgewogen ist. Auch dazu braucht es menschliche Expertise – sowohl medizinisch-fachliche aber auch im Prüfungswesen. Aber, wer weiß, wenn wir das Interview in zwei Jahren führen, gebe ich vielleicht eine andere Antwort.

Info:

Das IMPP ist die zentrale Einrichtung aller Bundesländer mit Sitz in Mainz. Es verantwortet inhaltlich, in enger Kooperation mit Expertengremien, wichtige Teile der bundesweiten Staatsprüfungen der Medizin, Pharmazie, Psychotherapie und – in naher Zukunft – auch der Zahnmedizin. Übrigens wird auch der Erste Abschnitt der Ärztlichen Prüfung vom IMPP verantwortet und die Aufgaben dort erstellt. www.impp.de.

Der Experte

Dr. Martin Hendelmeier

Dr. med. Martin Hendelmeier, MHBA, ist Facharzt für Transfusionsmedizin und Hämostaseologe. Er arbeitete einige Jahre als Stations- und Facharzt, unter anderem an der Universitätsmedizin Mainz und der Universitätsklinik Bonn. 2017 kam er zum IMPP und ist aktuell Fachgebietsgruppenleiter für den Zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung.

Bild: © IMPP

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