Arbeitsplatz Polizei – ein spannendes Feld für Ärztinnen und Ärzte

22 August, 2022 - 07:38
Gerti Keller und Michael Fehrenschild
Deutsche Polizisten vor dem Streifenwagen

In Kriminalfilmen spielt die Gerichtsmedizin häufig eine große Rolle dabei, den Mörder überführen. Im Vergleich dazu fristen Polizeiärztinnen und -ärzte medial fast ein unbeachtetes Nischenwesen. Zu Unrecht! Denn diese Version des Berufs ist nah dran am Polizeialltag und manchmal sogar ganz „vorne“ dabei – wie Dr. Jan-Hinrich Hilpert berichtet.

Kann ein Bewerber mit vorderer Kreuzbandplastik für den Polizeivollzugsdienst eingestellt werden? Welche Impfungen braucht eine Polizistin für einen Auslandseinsatz in Mali? Aber auch: Wie versorge ich eine Schussverletzung im Einsatz? Das sind Fragen, die einen Polizeiarzt wie Dr. Jan-Hinrich Hilpert beschäftigen. „Unsere Arbeit ist vielseitig, bunt und lebendig. Wir sind ärztliche Ansprechpartner für sämtliche medizinische Aspekte, die der Polizeivollzugsdienst aufwirft – und echte Generalisten“, schildert er. Denn für alle Medizinerinnen und Mediziner, die sich für den Arbeitgeber Polizei entscheiden, gilt: Sie sind nicht nur Ärzte, sondern auch Gutachter, Berater und Ausbilder.

Polizeiarzt: Ein Blick in den Alltag

Einerseits ist Hilpert ein typischer Betriebsarzt und zuständig für die mehr als tausend Beamtinnen und Beamte in Bielefeld, vom Streifenpolizisten über den KFZ-Meister bis zur Sekretärin: „Ich persönlich beginne meinen Tag – dank Gleitzeit – gegen 6:45 Uhr, unter anderem mit der Sichtung von Laborwertbefunden. Von 7:30 bis 12 Uhr ist Sprechstunde mit Vorsorgen, Tauglichkeits- und leistungsphysiologischen Untersuchungen – denn wir sind auch bei Neueinstellungen dabei – sowie ganz normalen Untersuchungsterminen.“

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Nachmittags erledigt er jedoch andere Tätigkeiten. Diese Zeit ist gefüllt mit Besprechungen, wie Dezernentensitzungen, der Bearbeitung von Rehabilitationsanträgen bis hin zu Unterrichtsvorbereitungen. „Neben der eigenen Behörde haben wir zudem landesweite Aufgaben, zum Beispiel die Fortbildung von Rettungssanitätern oder die Mitarbeit in verschiedenen Arbeitsgruppen“, beschreibt Hilpert. Und an manchen Tag muss die Sprechstunde aufgrund von ad-hoc-Einsätzen kurzfristig abgesagt werden. Denn: „Einsatz geht vor“, so der Intensivmediziner.

Beim G7-Gipfel dabei

Polizeiärztinnen und -ärzte unterstützen ihre Kollegen landesweit in verschiedenen Gefahrenlagen. Das können Fußballspiele, Demonstrationen oder die Einsätze spezialisierter operativer Einheiten wie dem SEK sein. „Beispielsweise waren wir im Hambacher Forst dabei oder haben im Juni die Hundertschaften zum G7-Gipfel in Elmau begleitet“, erzählt Hilpert.

SEK-Einsätze muss ein Polizeiarzt oder eine Polizeiärztin aber nicht zwingend mitmachen. Auch setzt dies eine Qualifikation in taktischer Medizin und traumatologischer Notfallversorgung nach internationalen Standards voraus. „Passieren kann immer etwas“, sagt Hilpert – was ihn selbst aber nicht davon abhält, mitzufahren. Auch da ihm diese Erfahrungen helfen, die Situation der Kolleginnen und Kollegen vor Ort besser zu verstehen. Überdies ist gut vorgesorgt: „Für den Ernstfall trainieren wir regelmäßig mit allen Beteiligten, um eine wirksame Rettungskette bis in die Notaufnahme oder Schockraum zu gewährleisten.“ 

Von Dienstplänen bis zur hohen Politik

Und das ist noch längst nicht die komplette Bandbreite, informiert Hilpert: „Ich arbeite zudem an Gesundheitskonzepten für die unterschiedlichsten Probleme, vor allem mit Blick auf Belastungen. Die sind bei Beamtinnen und Beamten, die etwa in Mordermittlungen arbeiten oder Kinderpornografie bekämpfen, ganz andere, als beim Wach- und Wechseldienst.“

Überhaupt gibt es wenige Themen, die an ihm und seinen ärztlichen Kollegen vorbeigehen. Polizeidocs verfassen auch Konzepte zu Themen wie: Welche Arbeitsschutzmaßnahmen sind für eine schwangere Polizistin erforderlich? Wie kann ein langzeiterkrankter Polizist nach Genesung wiedereingegliedert werden? Was ist bei der Anschaffung neuer Körperschutzausstattung zu beachten? „Einige von uns sind außerdem besonders ausgebildet in der psychosozialen Betreuung von Polizeibediensteten nach belastenden Einsätzen, zum Beispiel mit Schusswaffengebrauch oder nach tödlichen Verkehrsunfällen“, erläutert der Mediziner.

Darüber hinaus bestimmen aktuelle Entwicklungen den Alltag. So musste sich Hilpert während der Corona-Krise mit dem Problem befassen, den Infektionsschutz mit dem Auftrag der Polizei und der ganz persönlichen Sicherheit der Beamten unter einen Hut zu bekommen. Und sogar die Polizeitaucher werden medizinisch betreut. Nicht zuletzt gehört auch die Beratung der Polizeiführung und der Politik, wie der Ministerien, zu seinem Portfolio – sowie auch „trockene“ Aufgaben. So müssen viele Berichte, Stellungnahmen und Gutachten geschrieben werden.

Was sollten Bewerberinnen und Bewerber mitbringen?

Wer an diesem besonderen Arbeitsumfeld interessiert ist, sollte sich, so Hilpert, nicht von Verwaltungsstrukturen abschrecken lassen. „Fachlich ist breites medizinisches Wissen Voraussetzung sowie die Bereitschaft, sich ständig – insbesondere arbeits- und notfallmedizinisch – fortzubilden. Hilfreich ist ferner Interesse an Sportmedizin und Psychotraumatologie“, informiert der 44-Jährige und ergänzt: „Die Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin kann bei uns erworben werden. Viele andere Weiterbildungen werden ebenfalls unterstützt, so lerne ich gerade in der Sportmedizin dazu.“ Weitere Vorteile: Es sind nur wenige Nacht- und Wochenenddienste erforderlich. Die Arbeitszeit kann recht frei eingeteilt werden. Zu Hilperts Team gehören sieben Medizinische Fachangestellte, drei Notfallsanitäter, die ihn auch bei Einsätzen begleiten, sowie zwei Verwaltungskräfte.

Sein persönlicher Werdegang überrascht übrigens weniger: „Das Berufsfeld Polizei ist mir seit meiner Kindheit nicht fremd: Bereits mein Vater war Polizist. Nachdem ich lange Zeit intensivmedizinisch in leitender Funktion tätig war, entstand vor einigen Jahren in mir der Wunsch, beruflich etwas Neues zu wagen. Da lief mir die Stellenanzeige für meinen jetzigen Job über den Weg.“

Polizeiarzt oder -ärztin werden

Bewerben können sich die unterschiedlichsten Fachrichtungen der unmittelbaren Patientenversorgung. Bei der Einstellung ist man zunächst Beamtin/Beamter auf Probe, in Abhängigkeit von Vordienstzeiten erfolgt die Ernennung zur Beamtin/zum Beamten auf Lebenszeit. In der Regel geschieht das nach ein bis zwei Jahren.

Die Entlohnung richtet sich nach der Besoldungstabelle: zunächst mit BesGr A14 LBeso A NRW, dann BesGr A15 LBesO A NRW. Ärztliche Vordienstzeiten werden auch hier anerkannt. Die Ausübung von Nebentätigkeiten ist innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen möglich. Insbesondere werden diese in relevanten Bereichen, wie in der Arbeits- oder Notfallmedizin, unterstützt.

Sinnstiftend wie auf einer Intensivstation

Eins ist Hilpert allerdings noch wichtig: „Die Arbeit hier ist genauso sinnstiftend wie auf einer Intensivstation. Es muss nicht immer um Leben und Tod gehen“, meint er. So bereitet es ihm Zufriedenheit, einen Beamten nach längerer Krankheit unter Nutzung des BEM-Verfahrens, des betrieblichen Eingliederungsmanagements, wieder in den Dienst zu integrieren: „Ist der dann im Dienstalltag gut angekommen, ist das für mich genauso wichtig, als wenn ich jemand intensivmedizinisch behandelt und ihn dann nach einiger Zeit vor dem Krankenhaus mit seiner Familie gesund wiedergesehen habe.“

Übrigens: Zunehmend steigt der Anteil an Frauen bei der Polizei – ebenso unter den Medizinerinnen. 18 der 29 Polizeiärzte in NRW sind weiblich.

Der Experte

Dr. Jan-Hinrich Hilpert

Dr. Jan-Hinrich Hilpert ist Facharzt für Anästhesiologie mit den Zusatzbezeichnungen Notfallmedizin, Intensiv- und Palliativmedizin und – seit diesem Jahr – auch Betriebsmedizin. Nach einer breiten klinischen Tätigkeit arbeitet er seit 2019 als Regierungsmedizinaldirektor bei der Bielefelder Polizei.  

Bild: © Christina Hohe, Polizei Bielefeld

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