Kommunikation: Wie gute Gespräche mit Kindern gelingen

6 März, 2020 - 15:54
Daniel Bindernagel
Ärztin und Pflegerin lächeln Kind im Krankenbett an

Ärzte stoßen mitunter an Grenzen, wenn sie mit Kindern sprechen. Doch solche Gespräche können den Arbeitsalltag bereichern. Entscheidend ist, „richtig“ zu fragen und die Reaktionen des Kindes zu beachten.

Wenn Ärzte bei der Kommunikation einige wesentliche Grundsätze beachten und eine Gesprächstechnik mit einfachen, kurzen, offenen Fragen anwendet, die an den Worten des Kindes anknüpfen, sind sie zuweilen erstaunt, was sie alles erfahren. So wird es nicht nur einfacher, Kontakt aufzunehmen, sondern Ärzte erhalten auch diagnostische und therapeutisch relevante Hinweise durch spontan geäußerte Sprache.

Ein Fünfjähriger mit akutem Abdomen

Ein Beispiel: Ein fünfjähriger Junge wird mit akutem Abdomen über die Notfallambulanz aufgenommen. Die körperliche Untersuchung zeigt Zeichen einer akuten Appendizitis. Die Ultraschallbefunde sind nicht eindeutig. Der zuständige kinderchirurgische Oberarzt zieht seinen Chefarzt vor einem operativen Eingriff hinzu. Dieser untersucht den Knaben nochmals und hat Zweifel an der Diagnose. Er schickt alle anderen Fachpersonen aus dem Zimmer und führt mit dem Jungen folgenden Dialog: „Was denkst Du gerade?“ Der Junge antwortet: „Da ist was im Bauch.“ „Was ist im Bauch?“ „Mama hat ein Kind im Bauch.“ „Oho, da glaube ich, dass du viel daran denkst.“ Nach einer längeren Pause sagt der Junge: „Das Kind kommt bald raus.“ „Und bei dir?“ „Muss auch raus“. Am nächsten Tag hat der Junge voluminösen Stuhlgang, die abdominalen Schmerzen und der Muskelhartspann sind weg.

So eindrücklich, plausibel und folgenreich sind nicht viele klinischen Situationen. Doch kann man an diesem real stattgefunden Ablauf einiges verdeutlichen, was zum Gelingen von Kommunikation beiträgt. Der entscheidende Punkt ist, dass dieser erfahrene Kinderchirurg sein eigenes Bauchgefühl ernst nimmt und den Jungen einfach und offen befragt. Er schafft zunächst eine angemessene vertrauliche Gesprächssituation, indem er alle anderen rausschickt. Auch kleine Patienten registrieren das und bemerken diese exklusive Zuwendung.

Kinder einfach, kurz und konkret befragen

Die erste Frage „Was denkst du gerade?“ ist einfach, kurz und konkret. Sie signalisiert zudem, dass er den Jungen ernst nimmt. Seine Antwort kann vieles bedeuten. Wichtig ist, nicht zu schnell Bedeutungen zuzuschreiben und zu interpretieren, sondern den Jungen zu Wort kommen zu lassen. In seiner zweiten Frage nimmt der Chirurg die Eigensprache (Idiolekt) des kleinen Patienten eins zu eins auf. Die Frage „Was ist im Bauch?“ ist wieder einfach, kurz und offen. Der Junge kann so „zu Wort kommen“ und stellt eine Verbindung her, auf die man mit zielgerichteten, geschlossenen Fragen nicht gekommen wäre. Als nächstes macht der Chirurg eine wertschätzende Bemerkung und wartet ab. Beides ist äußerst wichtig: Wertschätzung und Abwarten. Diese Wertschätzung wirkt umso mehr, da er sie nicht sofort mit einer nächsten Frage oder Bemerkung verbindet. Dies führt bei Menschen aller Altersstufen zu einem Gefühl, verstanden zu werden.

Hervorzuheben ist, dass es nicht darum geht, dass der Arzt versteht, sondern dass der Gesprächspartner fühlt und spürt, verstanden zu werden. Das Abwarten, also Pausen im Gespräch zuzulassen, ist besonders bemerkenswert, weil das im hektischen zielorientierten ärztlichen Alltag unüblich ist. Der Junge antwortet nach einer Pause: „Das Kind kommt bald raus.“ Es deutet sich bereits eine Lösung an, wobei das Kind diese intuitiv zur Sprache bringt. Dies ist in Bezug auf den Prozess, der beim Kind angestoßen wird, essenziell, weil es selbstorganisiert aus sich selbst heraus geschieht. Sobald Ärzte selbst die professionellen Verknüpfungen, Interpretationen oder gar Lösungen liefern, laufen sie Gefahr, dass diese nicht angenommen, sondern abgelehnt werden. Die letzte Frage „Und bei dir?“ ermöglicht dem Jungen, nachdem er von der Schwangerschaft der Mutter erzählt hat, etwas zu sich selbst zu sagen. Die Antwort zeigt, dass ihm das in dieser wohlwollenden zieloffenen Gesprächssituation möglich ist. Den Abschluss von Gesprächen, die dazu dienen, Patienten zu Wort kommen zu lassen, authentische Informationen zu erhalten und Prozesse anzuregen, sollten möglichst offen gestaltet sein.

Grundsätze und die Gesprächstechnik

An dieser klinischen Vignette wird deutlich, dass mit Kindern keine langen Gespräche notwendig sind, sondern die Qualität von durchaus kurzen Gesprächen bedeutend ist. Damit sind die Grundsätze und die Gesprächstechnik im Kern benannt. Die Grundsätze: Angemessene Gesprächssituation schaffen, echte Zuwendung und Präsenz zeigen, zieloffen vorgehen, Eigensprache aufgreifen, auf Interpretation und Deutung weitgehend verzichten und wertschätzen. Die Gesprächstechnik ist gekennzeichnet durch einfache, kurze, konkrete und offene Fragen. Wichtig ist, das Gespräch an positiv konnotierten nonverbalen Signalen auszurichten und Pausen zuzulassen.

Ärzte mögen einwenden, dass sie für Gespräche zu wenig Zeit haben. Zeitressourcen sind in der Tat eine Schwierigkeit. Gerade bei Kindern sind allerdings keine langen ausführlichen Gespräche möglich und auch nicht notwendig. Es kommt auf die Qualität des Dialogs an. Ziel ist, dass das Kind zu Wort und der Arzt zu authentischen Informationen kommen, die er durch gezielte Fragen nicht erhalten würde.

Ärzte brauchen nicht unbedingt mehr Zeit

Das Ziel solcher Gespräche geht über die Informationsbeschaffung weit hinaus. Denn in einem Gespräch, in dem sich das Kind verstanden fühlt, werden Heilungsprozesse angestoßen und die Wirkung anderer therapeutischer Maßnahmen erhöht. Ein Kind, dessen eigene Sprache aufgegriffen wird, spürt, dass ihm zugehört wird. Dieses Kind macht eine für die spätere Entwicklung wichtige Grunderfahrung: „Meine Äußerungen werden wahrgenommen und beantwortet.“ Da Kinder gern in Bildern sprechen, können sie mit einfachen Fragen zu Bildern viel anfangen und in der Regel leicht und spontan antworten.

Eine solche Gesprächsführung braucht nicht unbedingt mehr Zeit. Es kommt darauf an, die „richtigen“ Fragen zu stellen und die Reaktionen des Kindes sorgfältig zu beachten. So können Ärzte viel von Kindern und Jugendlichen erfahren und mit ihnen eine gute Beziehung aufbauen. Zugleich erhöhen sich die Qualität der Diagnostik und die Effektivität therapeutischer Maßnahmen, indem unnötige therapeutische Interventionen, wie im beschriebenen Beispiel, verhindert werden.

Dtsch Arztebl 2020; 117(10): [2]
 


Der Experte:

Dr. med. Daniel Bindernagel
Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie FMH
9000 St. Gallen
Schweiz

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