
Corona zieht durch die Lande: Was macht das derzeit mit den niedergelassenen Ärzten? Lesen Sie die Momentaufnahme der Kölner Gynäkologin Annette Weiß*, die für mehrere Praxen als Vertretung arbeitete – bis vor kurzem.
Wann kam Corona bei Ihrer Arbeit an?
Annette Weiß*: Ende Februar schickte ich einer Chefin eine Mail und fragte, ob ich mit Maske arbeiten darf. Da hat sich das Robert Koch-Institut (RKI) noch ziemlich bedeckt gehalten. Ich hatte aber schon im Januar über einen international arbeitenden Kontakt aus Süddeutschland erfahren, was auf uns zukommt. In den ersten Märztagen hat die Corona-Krise uns dann erreicht. Erkältete durften nicht mehr kommen, Angehörige sie nicht mehr begleiten. Bis Mitte März trugen viele Kolleginnen dennoch keine Masken, weil sie es befremdlich fanden. Auch waren bis circa 10. März gar keine FFP3-Masken vorhanden. Ich brachte für meinen Eigenbedarf welche aus meinen Privatbestand mit. Trotzdem war es ein merkwürdiges Gefühl sie zu tragen – und zwar für mich und meine Patientinnen, weil es ein ungewohnter Anblick ist. Ich habe aber allen meinen Patientinnen erklärt, warum das so wichtig ist und auch die Damen am Empfang gebeten, das anzukündigen.
Was sind jetzt die besonderen Herausforderungen in einer gynäkologischen Praxis?
Annette Weiß: Ich komme bei meiner Arbeit den Frauen sehr nah. Man muss die Brustuntersuchung manuell machen, das geht gar nicht anders. Und ich kann viel besser ohne Handschuhe tasten. Auch bei der Vaginaluntersuchung ist es unmöglich Abstand zu halten. Außerdem führt man gerade in der Gyn sehr vertrauliche Gespräche. Ich habe dabei immer versucht, zwei Meter Abstand zu halten, aber die Maske abgenommen. Mit Maske geht einfach zu viel verloren, eine empathische Mimik ist dann nicht mehr möglich – und das ist extrem wichtig bei so persönlichen Themen, wie Aufklärung, Befundbesprechung oder in der Schwangerschaft.
Was merkt man den Patientinnen an?
Annette Weiß: Es ist einfach viel Gesprächsbedarf da. Die Termine dauern länger. Jede hat das Bedürfnis zu erzählen, wie schrecklich sie die Situation findet, dass man nicht weiß, was noch kommt und alles nicht einschätzen kann. Es ist ja keine normale Zeit, in der man nach der Begrüßung einfach so zur Tagesordnung übergehen kann. Die Leute sind besorgt und setzen sich auch von selbst in unterschiedliche Ecken des Wartezimmers.
Welche Maßnahmen gibt es zum Schutz von Praxisteam und Patientinnen?
Annette Weiß: Am Eingang steht eine Händedesinfektion. Alle Patientinnen, die erkältet sind, wurden aufgefordert, zuhause zu bleiben. Dazu haben wir Schilder an die Türen gehängt und das bei telefonischen Terminabsprachen ebenfalls erwähnt. Seit Mitte März gibt es einen Spritzschutz am Empfang. Und wir sorgen natürlich für ausführliche Stuhl-, Geräte- und Klinken-Desinfektion. Desinfektionsmittel war genug da, aber kein Toilettenpapier. Das mussten wir von zuhause mitbringen. Einfache Beschwerden, wie vaginale Pilz- oder unkomplizierte Harnwegsinfektionen versuchen wir telefonisch zu besprechen, Rezepte über Antibiotika bekommen die Patientinnen gegebenenfalls zugeschickt.
Wie viele Patientinnen kommen noch?
Annette Weiß: Die Zahlen sind drastisch zurückgegangen. Ich habe normalerweise zwölf bis 15 Patientinnen am Montagnachmittag. Letzte Woche waren es noch drei. Im Augenblick kommen nur noch Notfälle und Schwangere, die im Vierwochen-Rhythmus und ab der 32. Woche alle zwei Wochen kommen müssen. Risikopatientinnen, speziell die Älteren, haben alle abgesagt.
Was bedeutet das für Sie?
Annette Weiß: Seit letztem Wochenende wurden mir sämtliche meiner drei Vertretungen gestrichen, da die Praxisinhaber wegen der Umsatzeinbußen nicht noch einen weiteren Arzt bezahlen möchten. Allerdings haben zwei Praxen angefragt, ob ich einspringen könnte, wenn die Kollegen in Quarantäne kommen. Derzeit wird bei einigen Praxen auch überlegt, Vollzeit-Kräfte zu halbieren, damit immer eine da ist, wenn die andere in Quarantäne muss. Ich werde wohl bis Sommer nicht mehr arbeiten können. Ich übernehme ja auch viele Urlaubsvertretungen und die Kolleginnen können ja nicht mehr in Ferien fahren. Dafür beschule ich nun zuhause meine drei Kinder.
Haben Sie als Ärztin das Gefühl, dass die Krise die Wucht eines Tsunamis entwickeln könnte?
Annette Weiß: Auch wenn die Zahlen nach den Osterferien zurückgehen, kann es jederzeit wieder aufflammen. Insgesamt hängt es davon ab, wie schnell es einen Impfstoff und erste Therapieansätze geben wird. Im Moment werden ja schon diverse Virostatika getestet. Ich glaube, wenn bis zum Sommer etwas in Sicht ist, wird es kein Tsunami.
Wie fühlen Sie sich persönlich?
Annette Weiß: Leider ist die allgemeine gesellschaftliche Akzeptanz des maskierten Gesichts bei uns noch nicht da. Ich gehe teilweise mit Maske einkaufen, fühle mich aber unwohl, weil niemand sonst eine Maske trägt. Ich sehe das an meinem Wohnort nur bei den Apothekern. Mich selbst ängstigt das Virus wenig. Ich denke jedoch mit Sorge an meine Mutter und meine transplantierte Schwester, die ich nun für Monate nicht sehen werde.
Was ist Ihrer Meinung nach falsch gelaufen?
Annette Weiß: Man sollte klarer über das Risiko sprechen, eine konkretere Einstufung geben und schneller reagieren. Der Ball wurde zu lange zu flach gehalten. Zu Beginn wurde nicht viel mehr als Husten- und Nieshygiene empfohlen. Es gab auch keine klare einheitliche Anordnung für Ärzte, Masken zu tragen. Dass der Karneval in NRW noch stattfinden konnte, war aus meiner Sicht fahrlässig. Und es hat viele Menschen verunsichert, dass die Situation heruntergespielt wurde. Doch dann sickerten immer mehr Informationen durch. Das war wie ein Gespenst, das umging. Und plötzlich wird es immer dramatischer. Das macht was mit den Menschen. Es hätte von vornherein eine knallharte Aufklärung geben sollen und ein besseres Management, damit hätte man viele Infektionen verhindern können.
* Name von der Redaktion geändert