Recht: Warum Dokumentation so wichtig ist

16 Juni, 2020 - 07:20
Eva-Maria Neelmeier
Ärztin füllt Dokumente aus

Das Thema Dokumentation begleitet Ärzte in ihrem Arbeitsalltag ständig. Unlängst hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) noch einmal mit den Folgen gesetzlicher Beweiserleichterungen auseinandergesetzt.

Verstoßen Ärzte gegen die Befunderhebungs- und Befundsicherungspflicht sowie die ordnungsgemäße Aufbewahrung, hat das Folgen. In diesen Fällen kommt den Patienten eine Beweiserleichterung zugute, was das „reaktionspflichtige positive Befundergebnis“ betrifft. Das bedeutet: Wenn Ärzten ein Fehler bei der Befunderhebung unterläuft, wird vermutet, dass die Befunderhebung einen Befund zum Ergebnis gehabt hätte, der eine Reaktion des Arztes hervorgerufen hätte.

In seinem Urteil hat der BGH jedoch festgehalten, dass dies nur dann der Fall ist, wenn ein solches Ergebnis hinreichend wahrscheinlich ist (BGH-Urteil vom 22.10.2019, Az.: VI ZR 71/17). Wird eine solche Folge nur vermutet, ist es den Richtern zufolge zu weitgehend, unabhängig von der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Befundergebnisses eine Beweiserleichterung anzunehmen.

Der konkrete Fall

In dem verhandelten Fall begab sich ein Patient im Jahr 2010 in die Praxis eines Facharztes für Chirurgie und Unfallchirurgie. Er berichtete von Schmerzen und einer Schwellung am rechten Fuß. Nach dem Anfertigen von Röntgenbildern veranlasste der Arzt ein CT, das seinen Verdacht einer nicht dislozierten schalenförmigen Absprengung am Processus anterior calcanei bestätigte. Der Patient erhielt zunächst einen OPED-Stiefel zur Ruhigstellung und Entlastung des Fußes. Dieser wurde ihm jedoch wieder abgenommen und durch einen Gipsverband ersetzt, weil der Patient unter Druckschmerzen litt. Der Gips reichte bis auf Höhe des Knöchels, wobei die Zehen frei blieben. Während einer Wiedervorstellung dokumentierte der Arzt „Gips oB“. Bei der nächsten Kontrolle fertigte der Arzt Röntgenbilder an und dokumentierte „gute Stellung, beginnende Konsolidierung“.

Strittig ist, ob der Gips aufgeschnitten war oder nicht. Der Patient behauptet, der Gips wäre nicht aufgeschnitten gewesen. Er leitet daraus ab, dass er nach Abschluss der Behandlung deshalb unter CRPS (Komplexes regionales Schmerzsyndrom) gelitten habe. Nach Ansicht des Patienten hat der Wechsel auf einen zirkulären Gipsverband, der seiner Meinung nach nicht aufgeschnitten war, gegen die Regeln der ärztlichen Kunst verstoßen. Ob der Gips aufgeschnitten war oder nicht, hat der behandelnde Arzt nicht dokumentiert. Der Arzt gab zudem an, dass er keine pathologischen Veränderungen am Fuß des Patienten im Sinne von Schwellungen habe feststellen können. Der Patient habe lediglich einen Druckschmerz angegeben, sodass er den Gips entsprechend angepasst habe.

Der BGH hielt im Ergebnis fest, die Vorinstanz habe die Voraussetzungen und die Reichweite der Beweiserleichterungen verkannt, die dem Patienten bei Dokumentationsmängeln und Verstößen gegen die Pflicht der Befundsicherung zugutekommen. Die Vorinstanz habe zu Unrecht angenommen, dass die fehlende Dokumentation beziehungsweise Sicherung des klinischen Befunds beim Abnehmen des OPED-Stiefels vermuten lässt, der erhobene Befund spreche für die Behauptungen des Patienten. Das vorinstanzliche Gericht muss nun erneut entscheiden.

Was eine Beweislastumkehr bedeutet

Grundsätzlich trägt derjenige die Beweislast, der sich auf einen für ihn positiven Umstand beruft. In diesem Fall und im Fall vermeintlicher Arzthaftungsfehler ist das grundsätzlich der Patient, der einen Anspruch gegen den behandelnden Arzt geltend macht.

Jedoch kommen Patienten unter bestimmten Umständen Beweiserleichterungen bis hin zu einer Beweislastumkehr zugute. Eine Beweislastumkehr bedeutet, dass nicht mehr der Patient einen Nachweis erbringen muss, sondern der behandelnde Arzt. Beispielsweise entsteht eine Beweislastumkehr, wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für den Behandelnden voll beherrschbar war und das zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat. Als Folge muss der behandelnde Arzt beweisen, dass er keinen Fehler begangen hat und für den Patienten keine Folgen daraus resultierten.

Neben der Beweislastumkehr gibt es auch Beweiserleichterungen zugunsten des Patienten. Dabei ist jedoch klar zu differenzieren. Der BGH hat in seinem Urteil nochmals festgehalten, dass das Fehlen der Dokumentation einer aufzeichnungspflichtigen Maßnahme die Vermutung begründet, dass die Maßnahme, also der aufgeschnittene Gips, unterblieben ist. Dem Arzt obliegt es dann, diese Vermutung zu widerlegen. Hingegen führt das Fehlen der Dokumentation einer aufzeichnungspflichtigen Maßnahme nicht zu einer Beweislastumkehr. Um den Schluss auf ein „reaktionspflichtiges positives Befundergebnis“ zuzulassen, ist es aus Sicht der Richter notwendig, dass ein solches Ergebnis hinreichend wahrscheinlich ist.

Als Faustformel hilft die Indizwirkung

Dokumentation ist also wichtig, damit Ärzte im Zweifel beispielsweise nachweisen können, dass sie bestimmte Befunde erhoben oder gesichert haben. Als Faustformel kann die sogenannte Indizwirkung helfen. Diese besagt: Wenn ein Arzt eine Behandlung dokumentiert hat, wird vermutet, dass er diese Behandlung auch vorgenommen hat. Wenn er hingegen nichts dokumentiert, wird vermutet, dass er auch nicht behandelt hat. Nur durch Dokumentationen können Gerichte im Nachhinein in einem Prozess, der meist viele Jahre später stattfindet, nachvollziehen, wie der Behandlungsablauf tatsächlich war.

Wenn ein Patient einen Behandlungsfehler vermutet, kommt es häufig vor, dass er auch eine Strafanzeige stellt. In diesen Verfahren wird meist ein Sachverständigengutachten zur Frage der Schuld oder der Pflichtverletzung des behandelnden Arztes eingeholt. Auch der Gutachter kann nur in seine Bewertung einbeziehen, was der Arzt dokumentiert hat.

Berufsordnung: Pflicht zur Dokumentation

Zudem folgt die Pflicht zur Dokumentation aus dem Gesetz (§ 630f BGB) und der Berufsordnung für Ärzte. Dort ist in § 10 (Dokumentationspflicht) geregelt, dass die Pflicht zur Dokumentation nicht nur Gedächtnisstützen für den Arzt darstellen, sondern dass sie auch dem Interesse des Patienten an einer ordnungsgemäßen Dokumentation dienen soll. Denn auf Verlangen ist dem Patienten seine Patientenakte herauszugeben oder Einsicht zu gewähren. Eine Aufbewahrung ist für die Dauer von zehn Jahren nach Abschluss der Behandlung vorgeschrieben, soweit nach gesetzlichen Vorgaben nicht noch längere Aufbewahrungspflichten bestehen.

Dtsch Arztebl 2020; 117(25): [2]
 


Die Autorin:

Eva-Maria Neelmeier
Rechtsanwältin
Datenschutzbeauftragte (TÜV zertifiziert)
Kanzlei 34
30175 Hannover

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