Gesundheitssysteme: Warum einige Länder COVID-19 besser bewältigen als andere

15 Juli, 2020 - 07:40
Stefanie Hanke
Verschiedene europäische Flaggen vor blauem Hintergrund

Die COVID-19-Pandemie hat in den vergangenen Monaten die ganze Welt in Atem gehalten. Doch warum hat es einige Länder härter getroffen als andere? Und was haben die verschiedenen Gesundheitssysteme damit zu tun? Eine Studie des Wissenschaftlichen Instituts der PKV (WIP) liefert erste Antworten auf diese Fragen.

Auch wenn die COVID-19-Pandemie insgesamt noch lange nicht vorbei ist: In Deutschland hat sich die Lage in den vergangenen Wochen deutlich entspannt. Und auch insgesamt lässt sich sagen: Im Vergleich mit anderen Ländern ist die Bundesrepublik bislang relativ glimpflich davongekommen. Aber woran liegt das? Dr. Christine Arentz und Dr. Frank Wild vom WIP haben für ihre Studie 15 europäische Länder miteinander verglichen.

Wie sind die Gesundheitssysteme insgesamt aufgestellt? Und wie gut waren sie auf die Krise vorbereitet? "Wir haben für unsere Studie 15 Länder ausgewählt, die sich relativ ähnlich in Bezug auf Wirtschaftsleistung und Kultur sind", erklärt Arentz zu Beginn der Pressekonferenz zur Studie.

Stationäre Akutversorgung: Deutschland hat 602 Betten pro 100.000 Einwohner

Ein Ergebnis des Vergleichs: Deutschland steht in Bezug auf die Krankenhaus- und Intensivbetten besonders gut da. Pro 100.000 Einwohner stehen in der Bundesrepublik 602 Betten in der stationären Akutversorgung zur Verfügung – das sind fast dreimal so viele wie beispielsweise in Schweden, Großbritannien oder Spanien. Und auch bei der Zahl der Intensivbetten mit Beatmungsmöglichkeit liegt Deutschland vorne: Während hier 38,2 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner zur Verfügung stehen, sind es beispielsweise beim Schlusslicht Portugal nur 4,2.

Anzahl Intensivbetten auf 100.000 Einwohner

Ein anderer Faktor: Wie sieht es eigentlich mit den personellen Ressourcen im Gesundheitssystem aus? Auch hier ist Deutschland – gleichsam mit Frankreich, Dänemark und Österreich – überdurchschnittlich gut ausgestattet. Allerdings: Blickt man auf die Arbeitsauslastung von medizinischem Personal und Pflegekräften, ändert sich das Bild. Wer in Deutschland in einem Krankenhaus arbeitet, kümmert sich um deutlich mehr Patienten als die Kollegen im europäischen Ausland.

Aktuell weniger Corona-Tests in Deutschland als kapazitiv möglich

Auch die Frage, wie in den verschiedenen Ländern mit Corona-Tests umgegangen wurde, spielt bei dem Vergleich eine Rolle. So wurde in Deutschland bereits Ende Januar mit den Tests begonnen – allerdings wurden nur Menschen getestet, die Symptome aufwiesen und Kontakt zu infizierten Personen hatten oder die sich in einem Risikogebiet aufgehalten haben. Inzwischen empfiehlt das Robert Koch-Institut, alle Menschen mit Symptomen zu testen – ohne, dass weitere Kriterien erfüllt sein müssen. Ganz anders ist die Lage beispielsweise in Luxemburg: Hier können sich seit Anfang Mai alle testen lassen – egal, ob sie Symptome haben oder nicht. Zwar teste Deutschland bezogen auf 1 Million Einwohner weniger als andere Länder, die Testkapazität sei aber deutlich höher und werde aktuell noch nicht ausgereizt.

Unterschiede in der Lebens- und Wohnsituation bei Senioren

Die Studienautoren nennen aber auch noch andere Faktoren dafür, dass Deutschland die Corona-Krise bisher verhältnismäßig gut überstanden hat. So sei auch die Struktur der Haushalte wichtig: Während hierzulande besonders viele Senioren über 65 Jahre in Single- oder Zweipersonen-Haushalten leben, gebe es vor allem in Südeuropa deutlich mehr Großfamilien, bei denen Jung und Alt unter einem Dach wohnten. Das könne während der Pandemie schnell zum Problem werden, weil jüngere Familienmitglieder leicht die besonders gefährdeten Älteren anstecken können. Und auch Senioren, die in Pflegeheimen leben, konnten in Deutschland und Österreich besser geschützt werden. Diese Patientengruppe macht in allen Ländern einen Großteil der COVID-19 assoziierten Todesfälle aus. So entfallen bisher (Stand: 16.6.) 39 Prozent der Todesfälle in Deutschland auf Pflegeheimbewohner, in Belgien liegt diese Zahl mit 51 Prozent bei mehr als der Hälfte. Ähnlich sieht die Situation in Frankreich (49 Prozent) und Schweden aus. Setzt man die Anzahl der verstorbenen Pflegeheimbewohner ins Verhältnis zu allen Pflegeheimbewohnern eines Landes, zeigt sich: In Österreich und Deutschland liegt der Anteil der an COVID-19 Verstorbenen mit 0,3 Prozent bzw. 0,4 Prozent deutlich unter anderen Ländern.

Anteil an COVID-19 verstorbener Pflegeheimbewohner an allen Pflegeheimbewohnern

 

 

 

Gutes Zusammenspiel von ambulanter und stationärer Versorgung

Ein weiterer Faktor sei das gute Zusammenspiel von ambulanter und stationärer Versorgung in Deutschland. Während in anderen Ländern ein Großteil der Patienten in Krankenhäusern getestet und behandelt wurde, spielten in Deutschland Labore und Arztpraxen eine größere Rolle. So wurden in der Bundesrepublik nur 20 Prozent der Patienten stationär behandelt, in anderen Ländern wie Frankreich waren es mehr als zwei Drittel (67 Prozent). "Deutschland konnte auch aufgrund der hohen Kapazitäten sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich sowie des guten Patientenmanagements eine Überlastung des Systems verhindern", heißt es in der Studie.

Anteil hospitalisierter Infizierter in ausgewählten Ländern

Was sind nun die Gründe dafür, dass Deutschland bisher verhältnismäßig gut durch die Corona-Krise gekommen ist? Neben dem gut ausgestatteten Gesundheitswesen, den frühzeitigen Tests und einer Sozialstruktur, die die Ausbreitung des Virus vermutlich erschwert habe, sehen die Studienautoren auch politische Faktoren wie z.B. die schnelle, regionale Krisenbekämpfung durch die 400 Gesundheitsämter im Land. Neben all diesen messbaren Kriterien ergänzte Arentz einen weiteren Punkt: "Wir haben mit Sicherheit auch einfach Glück gehabt". So habe man in Deutschland die Situation in Italien, wo das Virus lange unbemerkt geblieben sei, beobachten und darauf reagieren können.

Doch auch, wenn die niedrigen Infektionszahlen in Deutschland aktuell für Entspannung sorgen: Der Blick in andere Länder zeige, dass die Pandemie noch nicht vorbei sei, erklärten die Studienautoren. "In unserer globalisierten Welt müssen wir immer damit rechnen, dass das Virus wieder zu uns zurück kommt", so Wild. Daher könne das Ergebnis der Studie bisher nur ein Zwischenstand sein.

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