Dänemarks zentralisierte Krankenhauslandschaft: Fluch oder Segen?

25 November, 2021 - 07:11
Miriam Mirza
Idyllisch gelegene Häuser am Kanal, Nyhavn, Kopenhagen, Dänemark
Der Nyhavn in Kopenhagen

Radikale Krankenhausreform und Hinwendung zu einer patientenzentrierte Versorgung: Dänemark strukturiert das Gesundheitssystem um, um so den Herausforderungen durch den demografischen Wandel besser begegnen zu können. Was läuft in Dänemark anders als in Deutschland? Und ist das wirklich besser? Ein Blick auf unsere nördlichen Nachbarn.

Dänemark hat mit knapp sechs Millionen Menschen eine übersichtliche Bevölkerungsanzahl, in der Hauptstadt Kopenhagen leben etwa 500.000 Menschen. Dennoch sieht sich das Gesundheitswesen ähnlichen Herausforderungen gegenüber wie viele andere europäische Länder: der demografische Wandel führt zu einer überalterten Gesellschaft, die Zahl der chronisch Erkrankten steigt. Krankenhäuser leiden unter wirtschaftlichem Druck und Fachkräftemangel und der technische Fortschritt bringt zwar eine bessere Medizin, es bleibt aber die Frage, wie das finanziert werden soll. Eine dänische Antwort auf diese Probleme lautet: Umstrukturierung des Gesundheitssystems mit einer radikalen Krankenhausreform und einer Hinwendung zu einer patientenzentrierten Versorgung.

Dänemark: Eines der fortschrittlichsten Gesundheitssysteme der Welt

Das kleine Königreich im Norden war schon früh dabei, als es um die Digitalisierung ging. Bereits 1999 wurde die erste nationale E-Health-Strategie verabschiedet. Innerhalb des Gesundheitsministeriums existiert eigenes nationales E-Health Board. Hier werden Inhalte der nationalen E-Health-Strategien festgelegt und zwischen den Regionen und anderen Akteuren des Gesundheitssystems vermittelt. Digitale Lösungen wie Elektronische Patientenakten (ePA), Medikationslisten oder das E-Rezepte sind bereits national implementiert. Alles zusammengenommen macht das das dänische Gesundheitssystem in Bezug auf die Digitalisierung zu einem der weltweit fortschrittlichsten.

Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren des dänischen Gesundheitssystems ist das nationale Gesundheitsportal sundhed.dk. Auf dem Portal laufen alle Digital-Health-Anwendungen zusammen. Mit der Geburt erhält jeder Bürger und jede Bürgerin eine persönliche Identifikationsnummer, über die er oder sie sich bei sundhed.dk einloggen kann. Dort ist die gesamte Krankengeschichte abgelegt. Dazu gehören auch medizinische Daten wie Diagnosen, Medikationspläne, Behandlungen, Laborwerte oder Operationen. Nachdem Patienten und Patientinnen ihre Zustimmung gegeben haben, können Hausärzte, Hausärztinnen, Apotheker und Apothekerinnen darauf zugreifen. Das Portal wird auch für die Abrechnung von Gesundheitsdienstleistungen genutzt.

Krankenhäuser zentralisiert

Ähnlich wie in Deutschland gab es in Dänemark lange Diskussionen darüber, dass es zu viele Krankenhäuser gibt, die sich nicht rechnen. In der Folge wurde vor ein paar Jahren ein Projekt zur Zentralisierung der Krankenhäuser initiiert. Dazu gehörte die Schließung zahlreicher kleiner Häuser zugunsten so genannter Superkrankenhäuser. Die Idee dahinter war, Kompetenzen zu bündeln und Kosten zu sparen. Heute gibt es nur noch 18 große Klinikzentren. Um diese Zentren herum entstanden Ambulanzen, die für kleine bis mittelschwere Erkrankungen zuständig sind und die Zugriff auf die diagnostische Infrastrukturen der Superkrankenhäuser erhalten. Umgerechnet 5,7 Milliarden Euro ließ sich Dänemark diesen Radikalumbau kosten. Dabei ging ein Fünftel des Geldes allein in technische Modernisierung, hochmoderne Apparate und die digitale Vernetzung.

Uniklinik Aarhus: Ein Krankenhaus wie eine Stadt

Ein Beispiel für eines dieser Superkrankenhäuser ist das Universitätskrankenhaus Aarhus, das mit 1.150 Betten, um die 10.000 Mitarbeiter in 44 Abteilungen und mehr als 80.000 Operationen im Jahr so groß wie eine ganze Stadt ist. Die Planer legten vor allem auf eine patienten-orientierte Versorgung wert. Sie wollten mehr Transparenz im Krankenhausbetrieb, eine gesteigerte Effizienz in medizinischen und betrieblichen Prozessen und in der Ressourcennutzung. Das ist allerdings nur mit einem massiven Technikeinsatz zu bewältigen.

Ein Beispiel: Um Ressourcen besser zu nutzen, wurde eine Struktur implementiert, die auf einer Ortung (Tracking & Tracing) aller Personen, Objekte und Geräte beruht. Innerhalb dieser Infrastruktur gibt es Dienste, die es beispielsweise erlauben, medizinische Geräte wie etwa ein mobiles Ultraschall-Gerät zu lokalisieren. Dadurch kann das Gerät entweder zeitnah an den gewünschten Einsatzort gebracht werden, oder die Behandlung eines Patienten wird direkt in dem Raum geplant, in dem sich das Gerät befindet. Auch die Verteilung, Wartung und Reinigung der Geräte kann über dieses System organisiert werden: So wird ein Bettenmanagement aufgebaut, das freie Betten lokalisiert, ihre Reinigung und Desinfektion steuert und Wartungsprozesse organisiert.

Auch die Kommunikation mit ein- oder zuweisenden Ärztinnen und Ärzten oder dem Rettungsdienst ist digitalisiert. Trifft etwas ein Patient oder eine Patientin im Krankenhaus ein, sind bereits alle im Rettungswagen aufgenommenen diagnostischen Parameter wie Vitaldaten, EKG oder dergleichen in der Klinik angekommen, und die benötigten Spezialistinnen und Spezialisten stehen informiert in der Notaufnahme bereit.

Zentralisierung hat auch Nachteile

Die Superkrankenhäuser wurden auch mit dem Ziel errichtet, Kosten einzusparen. Doch ganz so, wie man sich das vorgestellt hatte, lief es nicht. So schossen z.B. in Aarhus die Baukosten in die Höhe, sodass an anderer Stelle gespart werden musste. Es traf das Personal, und das bei einer ohnehin schon dünnen Personaldecke. In der Folge beschwerten sich Pflegekräfte über einen zu hohen Arbeitsdruck, zu viel Bürokratie und zu wenig Zeit für die Patientinnen und Patienten.

Und auch die Zentralisierung selbst hat ihre Nachteile, denn durch die Krankenhausschließungen müssen viele Däninnen und Dänen nun mehr als 30 Kilometer zur nächsten Klinik fahren. Nicht zuletzt zeigte Corona, welche Folgen die Reduzierung der Bettenzahl haben kann: Denn genau dieser Umstand wurde in der Pandemie zum Problem, weil man für die vielen COVID-19-Patientinnen und -Patienten plötzlich dringend Betten brauchte.

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