Krankheitsängste bei Medizinerinnen und Medizinern: Die Medical Students' Disease

29 April, 2024 - 07:33
Stefanie Hanke
Junger Mann vor dem Spiegel mit Stethoskop

Medizinstudierende, die sich in ihrem Studium mit bestimmten Krankheitsbildern beschäftigen, stellen die entsprechenden Symptome häufig auch bei sich selbst fest. Dieses Phänomen wird als "Medical Students' Disease" bezeichnet. Was es damit auf sich hat, erfahren Sie im Beitrag.

Die Kopfschmerzen weisen auf einen Hirntumor hin, die Kreislaufprobleme auf eine ernsthafte Herzerkrankung? Ein guter Rat an Patientinnen und Patienten lautet, ihre Symptome nicht selbst bei "Dr. Google" zu recherchieren – zu groß ist das Risiko, sich auch bei banalen Beschwerden eine dramatische Diagnose in den Kopf zu setzen und sich darüber unnötige Sorgen zu machen.

Die Medical Students' Disease

Medizinstudierende bzw. Ärztinnen und Ärzte haben diese Möglichkeit allerdings nicht: Es gehört zu ihrem Alltag, sich auch mit ernsthaften Krankheitsbildern zu beschäftigen – doch medizinisches Wissen schützt nicht zwangsläufig vor den damit verbundenen Ängsten. In Bezug auf Medizinstudierende hat dieses Phänomen einen Namen: "Medical Students' Disease" (MSD), auch bekannt als „Second Year Syndrome“ oder „Intern's Syndrome“. Darunter versteht man die Erfahrung von Medizinstudierenden, bei sich selbst Symptome der Krankheiten zu vermuten oder zu erleben, die gerade in ihrem Studium behandelt werden. Besonders häufig kommt das in Phasen vor, in denen Studierende sich intensiv mit der Pathologie und Diagnose von Krankheiten befassen. Ähnliche Erfahrungen lassen sich auch bei Psychologiestudierenden beobachten.

Ursache der Medical Student's Disease sind neben der intensiven Beschäftigung mit verschiedenen Krankheitsbildern auch der Stress und Druck im Studium und eine besonders sensible Wahrnehmung des eigenen Körpers. Das Zusammenspiel dieser Faktoren kann dazu führen, dass unspezifische Beschwerden wie beispielsweise Kopfschmerzen als Symptom einer ernsthaften neurologischen Krankheit umgedeutet werden, die gerade in einer Vorlesung behandelt wurde.

Dabei kann das Phänomen, je nach im Studium behandeltem Thema, Ängste vor ganz verschiedenen Krankheiten auslösen:

  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Studierende könnten Symptome wie Brustschmerzen, Herzrasen oder Palpitationen bemerken und befürchten, an schwerwiegenden Konditionen wie Herzinfarkten oder Arrhythmien zu leiden.
  • Neurologische Störungen: Während des Studiums neurologischer Inhalte könnten Symptome wie Kopfschmerzen, Zittern oder sensorische Veränderungen (z.B. Taubheitsgefühle) als Anzeichen ernster Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Gehirntumore interpretiert werden.
  • Psychiatrische Störungen: Bei der Beschäftigung mit psychischen Erkrankungen können einige Studierende beginnen, normale Stimmungsschwankungen oder Stress als Indikatoren für Depressionen, Angststörungen oder sogar bipolare Störungen zu deuten.
  • Infektionskrankheiten: Symptome wie Fieber, Schwäche und Lymphknotenschwellungen könnten dazu führen, dass Studierende befürchten, sich mit schweren Infektionen wie HIV oder Tuberkulose angesteckt zu haben.
  • Krebs: Unscharfe Symptome, die einer Vielzahl von Krebsarten entsprechen könnten,(z.B. anhaltende Müdigkeit oder Gewichtsverlust) könnten zu unbegründeten Ängsten vor Krebserkrankungen führen.
  • Autoimmunerkrankungen: Das Studium von Erkrankungen wie Lupus oder rheumatoider Arthritis, die mit einer breiten Palette allgemeiner Symptome einhergehen, kann dazu führen, dass normale Körperzeichen wie Gelenkschmerzen oder Hautveränderungen überbewertet werden.

In allen Fällen kann im Zweifel ein Arztbesuch für Klarheit sorgen, ob tatsächlich eine ernsthafte Erkrankung vorliegt oder nicht. Auch, wenn es peinlich sein kann, von einer Kollegin oder einem Kollegen als "Hypochonder" abgestempelt zu werden: Das ist auf jeden Fall besser, als eine echte Krankheit zu spät zu diagnostizieren.

Hypochondrie oder Nosophobie?

Dabei ist Hypochondrie genau genommen nicht der richtige Begriff: Diese spezielle Form der Krankheitsangst wird wissenschaftlich als Nosophobie bezeichnet. Dabei handelt es sich um eine spezifische Angst vor einer bestimmten Erkrankung. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei Hypochondrie eher um eine generelle Angst davor, unter einer unerkannten, schweren Krankheit zu leiden.

Die Wissenschaft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach mit dem Phänomen beschäftigt. So konnte in einer ägyptischen Studie von Forschenden der medizinischen Fakultät der Minufiya-Universität (Huda A. Sherif et al.) im Jahr 2023 gezeigt werden, dass die Krankheitsängste bei Medizinstudierenden signifikant höher sind als bei Studierenden anderer Fachrichtungen. In einem Beitrag zum Thema, der 1998 im Magazin "The Lancet" veröffentlicht wurde, zitieren Paul M. Salkovskis und Oliver D. Howes zwei Studien aus den 60er Jahren: Danach leiden mehr als 70 Prozent der Medizinstudierenden zumindest vorübergehend während ihres Studiums an der "Medical Students' Disease". Brian David Hodges bezeichnet in einem Überblicks-Aufsatz aus dem Jahr 2004 dieses Phänomen als einen normalen Wahrnehmungsprozess in Verbindung mit dem Lernen medizinischer Inhalte.

Krankheitsängste als Medizinerin oder Mediziner? Das hilft

Trotzdem kann die Medical Students' Disease die Lebensqualität der Betroffenen stark beeinträchtigen und unter anderem zu Angstzuständen, Stress und Problemen im Studium führen. Den Studien zufolge lassen die Krankheitsängste im Laufe des Studiums aber meistens von selbst wieder nach. Dabei hilft eine zunehmende Professionalisierung des medizinischen Wissens und der eigenen Rolle als Medizinerin oder Mediziner. Betroffenen kann es aber zusätzlich helfen, ihre Selbstwahrnehmung kritisch zu reflektieren. Dabei können beispielsweise Gespräche mit anderen Studierenden, Lehrkräften oder psychologischen Beratungsstellen helfen. Außerdem sind Techniken zum Stressmanagement hilfreich, um die psychische Gesundheit generell zu stärken.

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Präventiv kann es helfen, generell eine offene Gesprächskultur über die mentalen Belastungen im Medizinstudium zu entwickeln: Da den Studien zufolge eine Mehrheit der Studierenden das Phänomen kennt, kann es unter Studierenden sogar Anlass zu Witzen und einem humorvollen Umgang mit den Thema sein. Geteiltes Leid ist schießlich halbes Leid und der undramatische Austausch mit Kommilitoninnen und Kommilitonen holt vielleicht auch ängstlichere Persönlichkeiten zurück auf den Boden der Tatsachen: Meistens sind die wahrgenommenen Symptome eben doch kein Grund zur Sorge, sondern einfach nur Ausdruck einer intensiven Beschäftigung mit einer bestimmten Krankheit.

Denn: In den meisten Fällen ist die "Medical Students' Disease" harmlos und kann sogar dazu beitragen, mehr Einfühlungsvermögen in die Situation von Patientinnen und Patienten zu entwickeln, die tatsächlich an einer schweren Krankheit leiden.

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