Führung: Erfolgsfaktoren für ein lebendiges Fehlermanagement

26 Januar, 2020 - 11:13
Gabriele Schuster
Eine Reihe an blauen Dominosteinen, eines wird von einem Zeigefinger festgehalten und ist rot

Kliniken, die systematisch aus Fehlern lernen, profitieren von einem „Motor“, der das Managementsystem konsequent nach vorn treibt. Fehlermanagement ist einfach, schnell und motivierend.

Vor einiger Zeit saß ich mit dem Chefarzt und dem QM-Team einer Klinik zusammen. Die leitende QM-Beauftragte blätterte genervt im Managementreview der Klinik. „Wir haben im ganzen letzten Jahr genau zehn Fehlermeldungen bekommen“, berichtete sie. „Und das bei 1.500 Mitarbeitern. Dabei haben wir uns schon gebessert. Letztes Jahr hatten wir ganze sieben Fehlermeldungen.“ Der Chefarzt sagte: „Ja, unser Fehlermanagement ist nicht nur tot, es hat eigentlich noch nie gelebt. Was können wir machen?“

Eine der spannendsten Aufgaben

Menschen, die die Verantwortung für die Wirksamkeit eines Fehlermanagementsystems übernehmen, müssen sich mit einigen Faktoren gleichzeitig auseinandersetzen:

  • Viele Managementsysteme, mit denen die Mitarbeiter bisher gearbeitet haben, sind systematisch darauf angelegt, Fehler zu tabuisieren. In diesen Systemen waren Mitarbeiter erfolgreich, weil sie Fehler vertuscht oder anderen in die Schuhe geschoben haben. Dieses Muster in den Köpfen zu beenden, braucht Zeit und ein Führungsteam, das in absoluter Klarheit zu dem Ziel steht, ein Fehlermanagement implementieren zu wollen.
  • Die Voraussetzung, dass ein Führungsteam sich der Idee eines lebendigen Fehlermanagements wirklich stellen kann, ist, konsequent zu akzeptieren, dass auch Fehler des Führungsteams selbst ans Tageslicht kommen.
  • Anders formuliert: Die Implementierung eines Fehlermanagementsystems setzt die Bereitschaft des verantwortlichen Führungsteams voraus, dazuzulernen, gerade in Bereichen, in denen ein Lernen sich auch unangenehm anfühlen kann.

„Wollen wir das wirklich?“

Das Team saß schweigend über den Unterlagen. Nach einigen Minuten schob die QM-Assistentin, eine Schreibkraft aus der Ambulanz, die Tastatur zur Seite, schaute die anderen an und sagte: „Na ja, ganz echt, ist ja eigentlich kein Wunder.“ Schlagartig hatte sie die Aufmerksamkeit der beiden Kollegen. „Jetzt mal ehrlich. Das kann ja nichts werden. Schwester Sabine aus der Gynäkologie kam schon mehrfach auf uns zu und wies uns deutlich darauf hin, dass Oberarzt Müller die Mitarbeiter schikaniert, Probleme stabilisiert und gerne auch mal früher heimgeht. Passiert ist nichts, weil wir ja Ärzte brauchen. Jeder kann fünf solcher Beispiele aufzählen, aus allen Bereichen übrigens. Ähnliche Probleme haben wir mit der pflegerischen Teamleitung auf Station 5, mindestens einem Mitglied der Geschäftsführung und Sven aus der Notaufnahme. Solange wir diese Themen nicht angehen, glaubt uns kein Mensch nur ein Wort. Wollen wir das wirklich oder lügen wir uns hier in die Tasche?“.

Der Chefarzt brachte es auf den Punkt: „Ich schätze, wir müssen uns die Frage stellen, welches Problem wir haben wollen: Das Auffliegen der Schwierigkeiten auf den verschiedenen Ebenen inklusive unserer eigenen Probleme mit der damit zusammenhängenden Arbeit oder das bequeme Weiterarbeiten mit einem publikumswirksam scheiternden Fehlermanagement und der impliziten Ansage an unsere Patienten, dass wir auch heute wieder alles tun werden, um auch morgen noch nicht aus unseren Fehlern lernen zu müssen.“

Unverstellter Blick auf die eigene Situation

Nach der Sitzung bat mich der Chefarzt, nochmals kurz zu ihm zu kommen. „Wissen Sie Frau Schuster, ich habe tatsächlich ein Interesse daran, dass unser Fehlermanagement gewisse Grenzen nicht überschreitet. Und mir ist klar, dass mein Image dadurch leidet. Die Kollegin hat recht: Oberarzt Müller ist ein Problem. Und ja, ich tanze darum herum. Ich befürchte, die Ursache ist Bequemlichkeit, wenn ich ehrlich bin. Es geht ja – irgendwie. Die zweite Baustelle ist fast schlimmer: Ich weiß seit längerer Zeit, dass unser neuer stellvertretender Geschäftsführer einigen Frauen im Haus erheblich zu nahe gekommen ist. Der Kollege ist verbal aggressiv und im Haus mächtig. Ich kann die Mitarbeiter schon verstehen: Solange wir solche Dinge nicht angehen, werden sie unsere Ansagen zum Fehlermanagement völlig zu Recht ignorieren.“ Ich lächelte ihn an und fragte: „Und jetzt?“ Er dachte nach und sagte: „Na ja. Gehen wir’s an. Auf alles andere habe ich eigentlich keine Lust!“

Generell gilt: Vorbild wirkt!

Die Implementierung eines lebendigen Fehlermanagements gehört zu den spannendsten und gleichzeitig herausforderndsten Aufgaben, denen man sich im Gesundheitswesen widmen kann. Dabei sollten Führungskräfte folgendermaßen vorgehen:

Die Klinikleitung beauftragt die verantwortlichen Führungskräfte damit, für die Wirksamkeit des Fehlermanagements zu sorgen. Dabei ist der Leitung bewusst, dass dies auch für sie bedeutet, kontinuierlich dazuzulernen. Auch die verantwortlichen Führungskräfte haben für sich klar entschieden, dass sie diesen Weg gehen wollen. Allen muss klar sein, dass dieses Vorgehen einen langen Veränderungsprozess mit sich bringt, den vermutlich nicht alle Mitarbeiter mittragen.

  • Die Verantwortlichen beauftragen einen Mitarbeiter, der Fehlermeldungen entgegennimmt und bearbeitet. Kriterien zur Auswahl dieses Mitarbeiters sind neben der Akzeptanz im Team eine gewisse persönliche Reife, Integrität, Durchhaltevermögen, Bodenhaftung und das tiefe Verständnis, dass jeder Fehler grundsätzlich auch ihm selbst hätte passieren können. Er erhält die notwendigen Ressourcen.
  • Die Verantwortlichen inklusive der Klinikleitung lassen sich zum Thema Fehlermanagement schulen. Danach werden Mitarbeiter aus allen Bereichen wiederholt geschult.
  • Das Meldesystem sollte niederschwellig und einfach gestaltet sein. Der Weg zum Melden eines Fehlers sowie den dann folgenden Schritten sollte in einer Ablaufbeschreibung hinterlegt sein, die den Mitarbeitern zugänglich ist.
  • Je schlechter die Stimmung im Team ist, desto anonymer kann die Meldung erfolgen. Jeder Melder erhält ein herzliches „Dankeschön“, wenn er einen Fehler gemeldet hat.
  • Ein interdisziplinär zusammengesetztes, kleines Gremium sollte die Fehler schnell und gegebenenfalls anonym besprechen und daraus Maßnahmen ableiten.
  • Der Melder erhält zeitnah eine Rückmeldung darüber, was die Abteilung oder Klinik aus der Fehlermeldung gelernt hat, soweit dies aus Gründen der Anonymität möglich ist.

Generell gilt: Führungskräfte sollten mit gutem Beispiel vorangehen. Sie sollten gern und häufig Geschichten von Fehlern erzählen, die sie selbst gemeldet haben und welche Verbesserungen sich daraus abgeleitet haben. Vorbild wirkt!

Dtsch Arztebl 2019; 116(5): [2]
 


Die Autorin:

Dipl.-Psych. Gabriele Schuster
Geschäftsführerin
Athene Akademie GmbH
97072 Würzburg

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