
Arroganz-Training für Ärztinnen? Klingt irgendwie merkwürdig. Wer will denn überheblich wirken und das sogar extra lernen? Gemeint ist jedoch eine spezielle Kommunikationsmethode, die Medizinerinnen helfen soll, sich durchzusetzen – vor allem, wenn sie nach oben kommen wollen. Dr. Karin Greiner-Simank, Chirurgin und Coachin, erläutert was dahintersteckt.
„Ich weiß, dass der Begriff Arroganz-Training ein bisschen aneckt“, erklärt Dr. Karin Greiner-Simank. Aber viele Kliniken seien – wie andere Unternehmen – eben hierarchisch, also „von oben herab“ strukturiert. Und das bedeutet auch: Dort dominiert eine eigene Sprache. Gemeint ist die sogenannte vertikale Sprache, die zumeist von Männern benutzt wird. Diese funktioniert über Rang- und Revierbotschaften. Frauen sind dagegen zum großen Teil in der horizontalen Sprache unterwegs. Diese wiederum läuft über Zugehörigkeitsbotschaften, die auf die Beziehungsebene abzielen.
„Im Arroganz-Training wird natürlich keine persönliche Lebenshaltung trainiert. Es geht darum, dass Ärztinnen erkennen, dass es die andere Sprache überhaupt gibt. Und sie sollten sich diese strategisch zunutze machen, um ihre Interessen besser durchsetzen zu können“, betont die Allgemeinchirurgin, die in ihren Kursen ganz praktisch ans Thema heranführt: „Ich frage die Teilnehmerinnen nach Situationen, die sie als unangenehm, vielleicht verletzend empfanden. Oder ob es bestimmte, vielleicht sogar wiederholte Vorfälle gab, die sich ihrer Karriere bereits in den Weg gestellt haben.“ Diese werden dann in allen Details durchgesprochen: Wo fanden sie statt, in welchem Raum, wer hat sich wo befunden, sitzend oder stehend, wer war noch dabei, wer hat wie und wann den Raum betreten und was wurde wie gesagt?
Dann wird dieses Setting mit Hilfe eines männlichen, neutralen Sparringspartners nachgespielt. Im Anschluss erarbeitet man gemeinsam Lösungen, bis ein Ergebnis gefunden wird, das für die Teilnehmerin passt. „Spielt man das dann noch einmal durch, stellen die Teilnehmerinnen oft erstaunt fest, dass ihre neuen Sätze, die sie selbst vielleicht als frech und unhöflich empfanden, für den Sparringspartner völlig in Ordnung waren. Oft meint er danach sogar ‚die ist aber motiviert‘“, schildert die erfahrene Medizinerin.
Lernen, Chefin zu sein
Häufig geht es um banale Alltagsmomente. Das kann eine Visite auf Station sein oder auch ein Vorstellungs- oder Jahresgespräch. Typisch sei zum Beispiel, wenn sich ein gleichrangiger Kollege bei Besprechungen immer vordrängelt oder ein Assistent im ersten Weiterbildungsjahr der jungen Oberärztin ins Wort fällt, um seine Meinung vor dem Chefarzt kundzutun – und sie traut sich nicht ihn zu unterbrechen.
Schon bei solchen „Allerwelts“-Erlebnissen könne man die vertikale Sprache als pragmatisches Werkzeug benutzen, empfiehlt Greiner-Simank und veranschaulicht: „Das ist, wie wenn ich ein Bild aufhänge. Dafür brauche ich Hammer und Nagel, die ich danach wieder in den Werkzeugkasten zurücklege.“ So könnte sich die junge Oberärztin vorlehnen und elegant klarstellen: „später, Herr Kollege. Ihre Analyse später.“ Also nicht total abwürgen, denn es kann sich inhaltlich durchaus um einen konstruktiven Vorschlag handeln. Es geht schlichtweg um die Rangfolge und den damit verbundenen Respekt, der in dieser Situation offensichtlich fehlt.
Einfache Basis-Formeln
Ein weiterer Klassiker: Morgens liegt eine Krankmeldung auf dem Tisch. Der Oberarzt fragt in die Runde: Wer übernimmt? „Das landet dann sehr oft bei den stets gleichen Damen. Da heißt es dann ‚ach Marion, du machst das doch eh immer…‘ Sind Sie damit nicht einverstanden, sollten Sie sich darin üben, das abzulehnen. Ein kurzes, klares und deutliches ‚Nein‘ reicht. Ohne großartige Erklärung nach dem Motto ‚ich habe doch schon zehn Dienste übernommen und eigentlich passt es mir überhaupt nicht, aber...‘“ so die 57-Jährige.
Neben solchen „nervigen“ Situationen kommt es in der vertikalen Sprache nicht selten auch zu regelrechten Angriffen, die es gilt, unmittelbar abzuwehren. Das ist allerdings nicht ganz einfach für „horizontale Muttersprachlerinnen“. Denn wer in diesem System zuhause ist, empfindet Attacken als extrem abwertend und nimmt vieles sehr persönlich. Nicht selten wird wortreich dagegen argumentiert, was der andere aber als reine Verteidigung wahrnimmt. „Genau damit hat man schon verloren. Denn hierbei geht es Ihrem Gegenüber häufig um eine ‚einfache Rangklärung‘, nach der Devise ‚jetzt will ich aber mal wissen, ob sie wirklich eine Chefin ist“, erläutert Greiner-Simank. Stattdessen ließe sich das kurz und präzise klären in Form von „Sie sind der Oberarzt, ich bin die Oberärztin, so sprechen wir hier nicht miteinander“. Ein knappes „ist das klar?“ könne diese Aussage noch bestärken, empfiehlt sie und ermuntert: „Vielen Frauen fällt so eine Formulierung schwer, da sie ungewohnt ist. Aber sie ist im Falle eines vertikalen Angriffes extrem wirksam. Und spätestens beim ersten Gelingen steigt die Motivation!“
Problem erkannt, Problem gebannt, Angriff abgewehrt
Geht die Attacke jedoch in Richtung Sexualisierung, wird es schwieriger – und das Kontern etwas für Fortgeschrittene. Ein Beispiel aus dem realen Medizinerinnenleben: „Eine Teilnehmerin wollte die Personalführung einer Praxis übernehmen. Als sie das äußerte, meinte ein Kollege: ‚nein das übertragen wir dir nicht. Wir haben ja in der Vergangenheit gehört, du hättest das Personal gewechselt wie die OP-Höschen.‘ Daraufhin war sie total schockiert und verließ weinend die Versammlung“, beschreibt die Coachin. Wer nun meint, eine gute Antwort wäre eine Gegenfrage nach dem Prinzip „wie meinen Sie das denn?“ liegt aber auch falsch. „Fragen wird im vertikalen System meist als Schwäche wahrgenommen. Es braucht einen klaren Riegel, der vorgeschoben wird. Und das klappt am besten, in dem man zur gleichen Sprache greift“, rät die Expertin.
Für diesen Fall eignet sich als erster Schritt ein sogenannter Move-Talk. „Heißt: Ich hebe langsam die Hand als eine Art Stoppzeichen und sage zum Beispiel ‚Stopp – so sprechen wir hier nicht‘ oder ‚Moment‘, dann ‚Höschen‘, und ‚unpassend‘. Alles sehr langsam betont mit Pausen“, formuliert die Trainerin. Mehr nicht. Denn alles, was unter zehn Wörtern bleibt, ist der hier angebrachte sogenannte Basis-Talk, um nicht in die Rechtfertigungsfalle zu tappen. Anschließend sollte wieder sehr schnell in die eigentliche Thematik übergewechselt werden. Greiner-Simank: „Auf diese Weise gestalten Sie die Kommunikation so, dass Sie bestehen können. Ich benutze bewusst nicht das Wort siegen. Da sitzt nicht das kleine Mäuschen, sondern eine gleichberechtigte Kollegin, bei der sich der Kollege seine Wortwahl das nächste Mal bestimmt überlegen wird.“
Vertikal sprechen: Wie schnell kann ich das lernen?
So ein Arroganz-Training Workshop dauert meist einen Tag. Und sicher nimmt man dabei auch den ein oder anderen Merksatz mit, welche die Fachärztin für Allgemeinchirurgie ihren Teilnehmerinnen gerne mit auf den Weg gibt: „Als ich damals als junge neurochirurgische Assistenzärztin an der Uniklinik in die Zentrale Notaufnahme gekommen bin, hat eine erfahrenere Kollegin mir geraten: ‚du musst beherzt die Türe öffnen, dich körperlich gut aufrichten und dann laut und deutlich sagen ‚ich komme aus der Neurochirurgie. Lassen Sie mich durch, ich muss zum Kopf‘. Das hat immer gut funktioniert“, erläutert sie. Ansonsten müsse man üben und ausprobieren. Es sei gewöhnungsbedürftig, aber effektiv.
Nicht zum Zerberus werden
Bei all dem möchte die Kursleiterin aber weder polarisieren noch „Männer-Bashing“ betreiben. Ganz im Gegenteil: „Ich hatte selbst einige Chefs, die Frauen toll gefördert haben, sonst wäre ich nie Chirurgin geworden“, erinnert sie sich. Zudem sei auch das horizontale System alles andere als nicht aggressiv. Sie findet es nur wichtig für Medizinerinnen, zu wissen, dass es noch eine andere Sprache gibt, die in ihrem Arbeitsumfeld in der Regel dominiert. „Viele haben noch nicht einmal eine Idee, dass Rang- und Revier-Botschaften existieren, geschweige denn, was sie bedeuten. Überhaupt müssen sich gerade junge Frauen die Führungsrolle oft selber erst mal erlauben. Wenn ich in die höhere Liga einsteigen will, funktioniert das aber nur, wenn ich mich auf diese Spielregeln einlasse“, so die Würzburgerin und ergänzt: „Erst wenn ich ‚oben‘ gelandet bin, kann ich die selber mitgestalten.“
Natürlich ist nicht jeder Mann rein vertikal und jede Frau rein horizontal unterwegs. Aber es gibt eine Grundveranlagung sowie zweisprachige Naturtalente. „Das hängt eben davon ab, ob man als Frau beispielsweise mit fünf Brüdern aufwächst oder in einem Frauenhaushalt. Da ist der Garten des Herrn groß“, umschreibt die Kommunikations-Trainerin.