Humor hilft – auch in der Sprechstunde

24 April, 2024 - 07:14
Gerti Keller
Lachendes Ärzteteam

Muss denn immer alles so ernst sein? Das Leben ist doch oft schon schwer genug, insbesondere bei chronischen Schmerzen. Deshalb geht es bei Dr. med. Jan-Peter Jansen, Chefarzt der Schmerzklinik Berlin und Leiter des dortigen Schmerzzentrums, auch in der Sprechstunde humorig zu.

Herr Dr. Jansen, wie fangen Sie Ihre Gespräche an?

Dr. med. Jan-Peter Jansen: Einer meiner Lieblings-Begrüßungssätze lautet: „Was spült Sie an meinen Strand?“ Ist es ein neuer Patient, der beispielsweise Schulze heißt, frage ich: „Was ist denn heute bei Schulzens los?“ Das geht zurück auf meine Jugend. Da gab es morgens eine Kinderserie im Radio, die hieß: „Was ist denn heute bei Findigs los?“ Darin ging es um die kleinen Alltagsabenteuer einer DDR-Familie mit vier Kindern. Diese Sendung kennen viele noch, weil wir in Ostberlin sitzen.

Und wie gehen Ihre Gespräche weiter?

Dr. med. Jan-Peter Jansen: Wenn ich die Anamnese einer neuen Patientin erhebe, frage ich zum Beispiel: „Sind Sie verliebt, verlobt, verheiratet?“ Antwortet sie „verliebt und verlobt“, frage ich „in denselben?“. Auch hake ich dann gern nach: „Würden Sie Ihren Mann wieder heiraten?“ Lässt die Antwort nun etwas auf sich warten, sage ich: „Das dauert zu lang. Ihre Antwort hätte schon nach einer Zehntelsekunde kommen müssen. Das ist aber auch nicht schlimm, dann finden Sie im nächsten Leben etwas Besseres.“

Es tut gut, dem ernsten Vorgang ein bisschen die Schwere zu nehmen. Ich bin dann nicht der Wissenschaftler, sondern eher der Entertainer, der einen Beruf hat, der helfen kann. Die meisten, die mich aufsuchen, haben ja Angst. Ich höre häufig: „Sie sind mein letzter Versuch, meine letzte Hoffnung, weil ich schon überall war.“ Bis heute gibt es Erkrankungen, die von der Medizin nicht ernst genommen werden, wie das Fibromyalgie-Syndrom. Manche Kolleginnen und Kollegen denken immer noch, das sei psychosomatisch, was vor 40 Jahren auch für die Migräne galt.

Humor und Schmerzen, passt das wirklich zusammen?

Dr. med. Jan-Peter Jansen: Natürlich. Ältere Fibromyalgie-Patienten frage ich gern: „Sie kennen doch noch die Werbung für die Duracell Batterien. Da war eine Truppe von Häschen, die trommelten. Der Erste blieb stehen, weil er noch eine alte Batterie hatte. Sie sind jetzt halt dieser Erste und auch ein bisschen langsamer.“ Und wenn sie sich daran erinnern, lachen sie und sagen: „Stimmt, so komme ich mir auch vor“. Ich rate dann: „Wenn Sie lernen, Ihre Kraft einzuteilen, sind Sie vielleicht nicht so schnell, aber Sie sehen dann auch mehr, weil sie nicht an allem vorbeiflitzen.“ So finden wir für die Kommunikation eine spielerische Bilderebene, auf der alles nicht mehr so todernst und schicksalhaft klingt. Dadurch können die Menschen ihre Erkrankung etwas leichter nehmen, obwohl diese sehr ernst ist und sie verzweifelt sind.

Klappt das immer?

Dr. med. Jan-Peter Jansen: Meistens finde ich den richtigen Ton. Aber es gibt auch Menschen, die mir entgegnen: „Was soll das denn jetzt?“ oder „was geht Sie denn das an?“ Sicherlich überschreite ich schon mal die Grenze, ab der es dann zu albern wird. Eine Patientin aus meiner Klinik warf mir einmal vor, das gehe ja hier zu wie im Sandkasten. Da bin ich nachher noch mal zu ihr ins Zimmer gegangen, und wir haben uns ernsthaft unterhalten. Aber die allermeisten lachen.
Humor kann schließlich auch ein tiefes Verständnis der Tatsache ausdrücken, dass manches schlichtweg nicht zu ändern ist. Erst gestern besuchte ich eine bettlägerige Patientin im Pflegeheim. Sie kennt meine Familie, und ich zeigte ihr ein kleines Video auf dem Handy. Es war von meinem Sohn, der sich gerade einen tollen Grill gekauft hat, der sich hoch- und runterkurbeln lässt. Da schaute mich die Patientin an und sagte: „Nee, einen Grill brauche ich nun wirklich nicht mehr“. Und dann haben wir beide herzhaft gelacht, weil das wahr ist. Klar ist da manchmal auch ein wenig Sarkasmus dabei. Aber so wie man auf einer Palliativstation lachen kann, darf es auch mit Schmerzpatienten fröhlich zugehen.

Hilft Humor auch, wenn die Wartezeit lang wird?

Dr. med. Jan-Peter Jansen: Gerade dann mache ich gern eine lustige Nummer daraus und sage: „Sie haben jetzt unendlich lange gewartet, also bekommen Sie eine Happy Hour. Sie können sich irgendetwas in meinem Zimmer aussuchen, das Sie mit nach Hause nehmen dürfen.“ Dann schauen alle verwundert, aber es nimmt nie jemand etwas mit. Allein der verrückte Gedanke macht Spaß. Oder ich sage: „Happy Hour. Sie kriegen eine Krankschreibung, Rente oder Physiotherapie, alles was Sie wollen“. Das entwaffnet ebenfalls auf eine leichte Art.

Als ich mich neulich in der Klinik verspätete, warteten dort schon sieben Leute um unseren großen Tisch. Ich ging in mein Zimmer, holte Zettel und Stift, wünschte allen einen guten Tag und fragte: „So, was darfst denn hier an dem Tisch sein?“ Dann sagte der eine Latte Macchiato, der andere Espresso – und alle entspannten sich. Denn damit hatten sie nicht gerechnet.

Was braucht es jenseits des Humors noch für eine gute Arzt-Patienten-Kommunikation?

Dr. med. Jan-Peter Jansen: Zuallererst muss man dafür sorgen, dass beide Seiten einander ebenbürtig sind. Man sollte das nicht als Treffen mit einem Fachmann gestalten, sondern als menschliche Begegnung. Ich platziere mich deswegen nicht hinter dem Schreibtisch, sondern an seiner Ecke, sodass ich mich meinem Gegenüber ganz zuwenden kann. Zudem sitze ich prinzipiell so tief, dass wir uns zumindest auf gleicher Höhe befinden. Denn wenn ich den Menschen in die Augen schaue, sehe ich wie sie reagieren, was ihnen gefällt oder nicht, oder ob sie traurig sind. So kann ich in bestimmten Momenten reagieren und sagen „Mensch, jetzt hat Sie aber was erwischt“ – und dann fangen sie oft an zu weinen. Nun öffnet sich fast schon automatisch eine Schublade mit den Tränentüchern. Dann gucken sie erstaunt, aber ich beruhige sie mit den Worten: „Das ist doch nicht schlimm, das passiert vielen bei mir, wir sind drauf vorbereitet“. Und dann lachen sie wieder.

Spiegelt sich Ihre Haltung auch in der Einrichtung wider?

Dr. med. Jan-Peter Jansen: Ich richtete das Ärztehaus mit seinen 20 Behandlungsräumen fast überall mit alten Möbeln ein. Auch mein Zimmer sieht aus wie anno dazumal, mit altem Schreibtisch, der Schrank hat auch schon 100 Jahre auf dem Buckel und einer Wanduhr. Wenn die schlägt, meinen viele, das sei wie bei ihrer Oma. Ich nenne das eine semi-bürgerliche Geborgenheit. Eine kühle, stark technische Inszenierung wie in Krankenhäusern macht den Menschen Angst, und genau die will ich ihnen ja nehmen. Das ist für mich eine wichtige Basis für Kommunikation, bei der sich alle Seiten wohl fühlen.

In meiner Klinik geht das aus hygienischen Gründen leider nicht. Aber da haben wir unter anderem viele Bilder mit Papageien. Das Personal erzählt den Patientinnen und Patienten schon vorher, dass sie wissen müssen, wie viele da jeweils drauf sind, weil das der Doktor in der Visite fragt. Und wenn ich dann in die Zimmer komme, sagen sie schon von sich aus: „Es sind zwölf.“ Dann antworte ich: „Wunderbar! Sie sind ja gut informiert.“

Noch ein Tipp für die Leserinnen und Leser zum Schluss?

Dr. med. Jan-Peter Jansen: Ich kann mir Namen nicht gut merken, auch weil es so viele sind. Und ich erkenne auch nicht alle Patientinnen und Patienten sofort. Deshalb fotografieren wir sie in der Praxis seit knapp 20 Jahren, damit wir ein Passbild in der Akte haben. So kann ich mir direkt vor dem Termin die Gesichter anschauen und sie im Wartebereich mit Namen ansprechen. Auch dort kaspere ich gerne ein bisschen herum, zwinkere dem Wartenden zu und meine: „Hallo, wir haben eine Verabredung“. Oder ich schaue sie direkt an, zeige mit beiden Händen auf sie und sage „wir haben einen Termin und wenn Sie Zeit haben, bin ich jetzt für Sie da“. Zudem vergebe ich die Folgetermin prinzipiell persönlich, da ich meine Patienten so gut kennenlerne wie kein anderer in der Praxis. So kann ich meinen Alltag planen und dafür sorgen, dass ich nur mal zwischendurch jemand habe, der schlechte Laune verbreitet. Das kann ich allen Kolleginnen und Kollegen nur empfehlen. Denn wenn ich fünf „Handgranaten“ hintereinander sehe, fliegen die mir natürlich auch um die Ohren – und meine Stimmung sinkt.

Was haben Sie noch davon?

Dr. med. Jan-Peter Jansen: Wenn ich morgens meine Patientenliste sehe, möchte ich mich auf den und den freuen. Da war der eine in Südafrika und soll mir davon erzählen. Bei dem anderen war der Hund krank, hoffentlich ist der wieder gesund. Die Gesundheit des Hundes ist für viele wichtiger als der Rückenschmerz, was ich auch verstehe. Wir reden wirklich über alles Mögliche. Dafür mache ich mir auch reichlich Notizen, schreibe mir auf wie der Hund heißt oder ob die Oma krank war. Ich will nicht nur von oben herab dozieren, sondern auch was von dem Leben um mich herum mitbekommen. Das ist doch auch mein Tag. Außerdem erzählen meine netten Patienten ihren netten Kreisen von mir. Insofern bekomme ich immer mehr nette Patienten – und mein Tag wird immer schöner.

Der Experte

Dr. med. Jan-Peter Jansen

Dr. med. Jan-Peter Jansen ist Facharzt für Anästhesie. Seit 15 Jahren leitet er das Schmerzzentrum Berlin, seit 2017 als Chefarzt auch die Schmerzklinik Berlin. Er ist bekannt für seine Vorträge und wurde 2005 Humorbotschafter der von Dr. Eckart von Hirschhausen gegründeten Stiftung „Humor Hilft Heilen“.

Bild: © privat

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