Recruiting mit Humor: Uniklinikum Tübingen punktet mit ungewöhnlichem Video

8 April, 2024 - 09:46
Miriam Mirza
Universitätsklinikum Tübingen, Pfleger mit Körperflüssigkeiten
Die Reinigungskräfte des Universitätsklinikums Tübingen spielen im Video eine tragende Rolle, beispielsweise beim Entfernen von Körperflüssigkeiten.

So lustig kann Recruiting sein! Das Tübinger Universitätsklinikum hat mit einem außergewöhnlichen Recruiting-Video von sich reden gemacht. Unter dem Titel „Tübingen – Das Kaff mit den Weltstars der Medizin“ avancierte das Video in kurzer Zeit zu einem Internetphänomen und erzeugte gemischte Reaktionen. Mit mehr als 200.000 Views und 150 Kommentaren auf YouTube sorgt der Clip für Aufsehen.

Das Video, das mit einem augenzwinkernden Warnhinweis für Patientinnen und Patienten startet, gibt einen unkonventionellen Einblick in den Klinikalltag. Von der leichten Einführung durch zwei Reinigungskräfte, gespielt von echten Mitarbeitenden des Klinikums, steigert sich der Film zu einer übertriebenen und bisweilen bizarren Darstellung des Kliniklebens. Neben Szenen wie Blut, das nach einer Operation über den Bildschirm fließt, oder zwei Ärzten, die sich für eine romantische Eskapade zurückziehen, zeigt das Video die Klinikarbeit und setzt dabei auf Humor und Selbstironie. Dabei werden Mitarbeitende aus verschiedenen Bereichen gezeigt, darunter auch die Sprecherin des Klinikums. Alle Rollen sind mit echten Mitarbeitenden des Klinikums besetzt.

Neben humorvollen und skurrilen Elementen findet sich auch ein lokaler Bezug zu Baden-Württemberg und der schwäbischen Kultur. So unterbricht ein Pathologe in voller Montur seine Obduktion, um in ein Leberkäsbrötchen zu beißen. In den YouTube-Kommentaren wird das Video von Kolleginnen, Kollegen und Nutzenden gleichermaßen gefeiert.

Eine besondere Überraschung bietet der Auftritt von Dieter Thomas Kuhn – auch bekannt als „die singende Föhnwelle“. Der Entertainer war vor seiner Gesangskarriere im Klinikum als Masseur tätig. Zwar erfolgt sein Auftritt ohne Gesang, doch sein bekanntester Hit „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“ sorgt am Ende des Videos für positive Reaktionen und ist zugleich Titel der gesamten Recruiting-Kampagne: „Eine neue Liebe“.

Interview mit Bianca Hermle, Leitung Stabsstelle Kommunikation & Medien

Das Video beweist, dass Recruiting nicht staubtrocken sein muss und auch über Humor funktioniert, wenn es gut gemacht ist. Dass es trotzdem nicht allen gefällt, berichtet Bianca Hermle, Leitung Stabsstelle Kommunikation & Medien, am Universitätsklinikum, im Interview.

Frau Hermle, vor welchem Hintergrund ist das Video entstanden?

Bianca Hermle: Ein Uniklinikum ist kommunikativ nicht immer am Puls der Zeit und bei Marketingaktionen nicht unbedingt immer vorne dabei. Als Corona anfing, sind wir dann mit dem ganzen Klinikum mehr und mehr zu Social Media-Anzeigen übergegangen. Irgendwann hatten wir das Gefühl, nichts anderes mehr zu machen als Stellenanzeigen. Sie müssen wissen, bei uns arbeiten über 11.000 Mitarbeitende. Da kommen schon eine Menge Anzeigen zustande durch Schwangerschaft, Elternzeit, einen Weggang, Rente und durch den überall herrschenden Fachkräftemangel.

Und wie kamen Sie in dieser Situation auf die Idee zu dem Clip?

Bianca Hermle: Ich war zwei Jahre Mitglied der Jury vom Deutschen Preis für Onlinekommunikation. Dort habe ich ein Tourismusvideo gesehen, das mit Ironie spielt. Zurück in Tübingen habe ich mich an unseren Vorstand gewandt und gesagt: Ich weiß jetzt, was wir für unser Klinikum machen – so ein abgefahrenes Video! Damit können wir versuchen, viele Stellen, die wir besetzen müssen, anders in die Welt zu bringen. Bei dem einen wird das ein Schocker und bei dem anderen ein Highlight, aber wir machen das Uniklinikum Tübingen über Tübingen hinaus bekannt. Dass wir in der Topliga der Unikliniken mitspielen, weiß eigentlich jeder, aber wir bringen auch Humor mit. Das hat den Vorstand überzeugt. Er hat mitgezogen. Ich finde es ganz toll, dass er so viel Mut und so viel Zutrauen hatte.

Wie ist es dann weitergegangen?

Bianca Hermle: In den ersten Monaten 2023 haben wir mit verschiedenen Abteilungen gebrainstormt, also mit Ärztinnen, Ärzten, Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftlern, Pflegekräften und Verwaltungsleuten. Gemeinsam haben wir diese Klischees fürs Krankenhaus und generell für Tübingen erarbeitet. Wir hatten Kontakt zu einem Münchner Filmemacher, der richtig Lust hatte, das Projekt mit uns durchzuziehen. Dann galt es, Mitarbeitende zu suchen, die mitspielen möchten. Im April 2023 übergaben wir die Brainstormings an den Filmemacher, Ende Juni stand das Drehbuch, Mitte Juli wurde über einen Zeitraum von einer Woche das Recruiting-Video gedreht. Am 11. September 2023 ist es live gegangen.

Und das mit Erfolg. Es hat beeindruckende Abrufzahlen. Welche Reaktionen haben Sie von der Zielgruppe, speziell von Ärztinnen und Ärzten bekommen? Und über welche Kanäle sind diese gekommen?

Bianca Hermle: Wir haben besonders von Ärztinnen und Ärzten positive Reaktionen erhalten. Mit größtem Abstand kommen die Zugriffe über WhatsApp, das bedeutet, es wird darüber geredet und der Link wird geteilt. Von Konferenzen wurde mir oft von Ärztinnen und Ärzten berichtet: „Alle haben uns auf das Video angesprochen.“. Außerdem haben wir von mehreren Unikliniken die Rückmeldungen bekommen, dass deren Vorstand gebeten wurde, auch solch ein Video zu machen. Ich höre von Chefärzten, dass das Video überall gefeiert wird. Der Chirurg, der zu Beginn des Videos auftritt, ist ein international anerkannter Transplantationschirurg. Er hat Dutzende von E-Mails bekommen, in denen Leute ihm gratulieren. Ich gehe davon aus, dass der Beitrag noch vor allem in der Ärzteschaft zirkuliert.

Das sind viele positive Effekte, die Sie schildern. Gibt es auch etwas, das Sie beim nächsten Mal anders machen würden?

Bianca Hermle: Wir müssen künftig noch enger mit der Personalabteilung zusammenarbeiten, um die positiven Effekte strategisch noch besser nutzen zu können.

Es gibt Rekrutierende und auch Ärztinnen und Ärzte, die sagen, dass es beim Recruiting möglichst seriös zugehen sollte. Was sagen Sie dazu?

Bianca Hermle: Es gibt sicherlich auch Ärztinnen und Ärzte, die das sagen, aber genauso gibt es solche, denen das Humorvolle besonders gut gefallen hat. Sie finden, dass das Video menschlich ist und dass es schön zu sehen ist, dass wir uns auch mal ein bisschen auf die Schippe nehmen. Für diese Bewerberinnen und Bewerber ist das ein positives Zeichen für eine lockere Arbeitsatmosphäre, wenn auch der Chefarzt mitmacht.

Das Argument dagegen ist, dass der Arztberuf eine ernste Sache ist und dass sich das auch bei der Besetzung von Stellen zeigen sollte.

Bianca Hermle: Das ist sicher ein valides Argument. Man kann es aber auch anders sehen. Kürzlich sprach mich ein Institutsdirektor auf das Video an. Er sagte, dass er es hochspannend findet, dass ein Haus, das so etwas Rationales wie Medizin macht, gleichzeitig etwas so Irrationales wie den Clip veröffentlicht. Ich glaube, das ist das Spannungsfeld, das den Beitrag so interessant macht. Meiner Erfahrung nach ist es eher eine Typfrage, ob man das Video mag oder nicht. Ob einem dieses Video gefällt, hat weder etwas mit Alter noch mit dem Beruf zu tun, sondern ausschließlich mit dem Charakter eines Menschen. Mir haben auch Leute gesagt, dass sie es ganz schrecklich finden.

Die gab es also auch.

Bianca Hermle: Ja, absolut. Es war klar, dass dieses Video polarisieren wird. Mir hat ein Arzt geschrieben, er hätte gedacht, wir sind an der Uniklinik und nicht beim Startup eines Energy Drink-Herstellers.

28.02.2025, Praxis
Aschaffenburg
28.02.2025, BAG MVZ medic: GmbH und Bülent Adasoglu
Leverkusen

Aber der Großteil hat positiv reagiert?

Bianca Hermle: Ja, die große Mehrheit hat dieses Video begeistert aufgenommen. Auf Youtube gab es mehr als 2.000 Likes, bei weniger als 200 Dislikes. Deutschlandweit erhielten wir ungefähr 80 Prozent positive Rückmeldungen und 20 Prozent negative.

Und wie waren sie in Ihrem eigenen Haus?

Bianca Hermle: Ich würde sagen, 70 Prozent positiv und 30 Prozent negativ.

Sie würden es also wieder tun?

Bianca Hermle: Ja, ich habe so unfassbar viel Feedback bekommen von Leuten, von denen man das nie gedacht hätte. Unser Video hat – so wurde uns aus sicheren Quellen berichtet – die Regierungsspitze gesehen und herzlich gelacht.

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