Karriere-Strategie: Wie man auf Dauer gegen Egoisten gewinnt

8 November, 2022 - 08:09
Dipl.-Psych. Gabriele Schuster
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Viele denken, dass man nur dann erfolgreich sein kann, wenn man sich mehr oder weniger skrupellos gegen andere durchsetzt. Dabei sind Menschen, die sich für andere einsetzen, dauerhaft erfolgreicher als Egoisten, wenn sie ein paar Grundregeln beachten.

Vor vielen Jahren lernte ich Dr. Thomas kennen. Er arbeitete als Assistenzarzt in der internistischen Abteilung einer Klinik. Er hatte eine Begabung dafür, die Probleme seiner Kollegen zu sehen, auf sie zuzugehen und etwas zu tun, das dafür sorgte, dass es ihnen besser ging. Leider vergaß er darüber oft, seine Aufgaben zu erledigen. Gelegentlich hatte er daher Ärger mit seinem Chef. Zusammen mit seinem Kollegen Dr. Bach arbeitete er an einem Forschungsprojekt, eine gemeinsame Publikation war angedacht. Eines Tages bat er mich um ein Gespräch. Dr. Bach hatte die Ergebnisse der Studie publiziert, ohne ihn einzubinden und war dabei, die Lorbeeren allein zu kassieren.

Selbstlose laufen Gefahr, ausgenutzt zu werden

„Eigentlich müsste ich ihn verklagen, aber dazu habe ich keine Lust, das kostet nur Energie“, sagte Dr. Thomas frustriert. „Außerdem kümmere ich mich um Leute, die meine Hilfe nicht brauchen. Dadurch komme ich mit meinen Sachen nicht weiter. Schon mein Vater hat gesagt, ich sei zu weich, um erfolgreich zu sein. Ich solle mehr beißen, statt mich um andere zu kümmern. Mein Vater hat sein ganzes Leben andere aus dem Weg geboxt. Und Dr. Bach hat schon im Studium den anderen die Stifte gestohlen. Leider liegt mir das nicht. Was mache ich denn jetzt?“

Ich erklärte Dr. Thomas, dass er in guter Gesellschaft sei. Viele, die sich aufgrund einer menschenfreundlichen Haltung um andere kümmern, laufen Gefahr, ausgenutzt zu werden, sich müde zu laufen und nicht den Erfolg einzuheimsen, den sie gerne gehabt hätten. Doch sei es einfach, auch als „guter Typ“ erfolgreich zu sein. Ich bat ihn, eine Liste seiner Kollegen zu machen und sich für jeden zu überlegen, ob er oder sie etwas zurückgegeben hatte, als Dr. Thomas ihr oder ihm geholfen hatte. Interessanterweise hatte er viele gut funktionierende und stützende Beziehungen. Es fanden sich aber auch solche, die sich weder bedankt noch ihm geholfen hatten, als er um etwas gebeten hatte. Diese landeten auf seiner „Abzocker-Liste“. Andere taten nur dann etwas für ihn, wenn er etwas für sie tat. Diese fanden sich auf seiner „Tauschhändler-Liste“ wieder.

Dr. Thomas nahm sich vor, den Menschen auf seiner Abzocker-Liste nur noch zu helfen, wenn er eine Gegenleistung bekam. Er lernte also von den Tauschhändlern und verhielt sich wie sie, wenn er auf einen Abzocker traf, der etwas von ihm wollte. Zunächst kostete ihn dies viel Überwindung, mit der Zeit gelang es dann aber doch gut. Wie durch ein Wunder hatte er plötzlich mehr Zeit für seine eigenen Aufgaben. Sein Stapel der unerledigten Dinge wurde kleiner und sein Chef begann, ihm mehr zuzutrauen. „Das hat ja schon ganz gut funktioniert“, sagte er. „Mein Chef findet mich gut und ich bin weniger lange in der Klinik. Aber: Muss ich lernen, ein Abzocker zu werden, wenn ich erfolgreich sein will?“ Meine Antwort war ein klares: „Bitte nicht!“

Gute Gründe für Hilfsbereitschaft

Schließlich gibt es viele gute Gründe, warum freundliche und hilfsbereite Menschen auf Dauer erfolgreicher sind als egoistische Abzocker oder die tauschhandelnden Kolleginnen und Kollegen:

  1. Wer sich keine Feinde schafft, hat leichter Erfolg: Wenn Abzocker gewinnen, verliert gewöhnlich ein anderer. Menschen merken sich das.
  2. Hilfsbereite Menschen erleben weniger Widerstand, weil sie diesen nicht fördern: Abzocker wollen sich durchsetzen. Wenn Menschen dominiert werden, leisten sie Widerstand. Dieses Problem haben helfende Menschen nicht.
  3. Hilfsbereite Menschen haben einen größeren Pool potenzieller Partner: Sie sind für Tauschhandelnde ein attraktiverer Partner als Abzocker. Menschen, die nur helfen, wenn sie etwas zurückbekommen, werden mit Abzockern nicht arbeiten, weil es sich für sie nicht lohnt.
  4. Hilfsbereite Menschen haben größere Netzwerke: Ihnen fällt es leicht, Netzwerke zu schmieden und Kontakte über lange Zeit zu halten. Abzocker werden irgendwann aus jedem Netzwerk herausgeworfen. Tauschhändler fordern Gegenleistungen ein und lassen alle fallen, die diese nicht leisten.
  5. Hilfsbereite Menschen profitieren stärker von ihren Netzwerken: Sie können jederzeit bei alten Kontakten vorstellig werden, wenn sie Hilfe brauchen, Egoisten nicht ohne Weiteres.
  6. Geber sind mit größerer Wahrscheinlichkeit von Talenten umgeben: Sie sind in der Lage, Talente auch über längere Zeit zu fördern. Abzocker verpassen es, Menschen zu fördern, die Potenzial haben. Tauschhandelnde geben zu früh auf.
  7. Menschen, die gerne helfen, schmieden erfolgreichere Teams: Sie geben ihren Teams psychologische Sicherheit. Dies sorgt dafür, dass ihr Team sich traut, Risiken einzugehen und etwas zu lernen.
  8. Menschen, die anderen gern helfen, sind eher vor eskalierendem Commitment geschützt: Sie sind darauf bedacht, andere zu schützen. Daher sind sie eher bereit, Fehler einzugestehen. Das sorgt dafür, dass sie nicht dazu neigen, chancenlose Projekte weiter zu verfolgen. Abzocker sind anfälliger dafür, zum Scheitern verurteilte Projekte auf Biegen und Brechen durchzusetzen.
  9. Hilfsbereite Menschen erarbeiten sich über die Jahre hinweg einen guten Ruf: Dieses Prestige ist für gewöhnlich von dauerhafterem Wert als Status, dem häufigen Ziel von Abzockern und Tauschhändlern.
  10. Menschen, die als hilfsbereit bekannt sind, sind erfolgreicher, wenn sie den Status quo infrage stellen: Sie werden mit ihren Ideen eher gehört als Tauschhändler und Abzocker.

15.03.2024, Niedersächsische Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung
Lüneburg

„Man erntet, was man sät!“

In jungen Jahren kommen manche Tauschhändler und Abzocker schneller voran als die Menschenfreunde. Es dauert einige Jahre, bis diese sich ihren Ruf und stabile Beziehungen erarbeitet haben. Dann vergrößert dies ihren Erfolg allerdings umso mehr. Es geht also um eine Art „großzügiges Tit for Tat“. Wichtig ist, sich die guten Züge der anderen zu merken und gelegentlich einen schlechten Zug zu verzeihen.

Jahre später traf ich Dr. Thomas am Rande einer Chefarztkonferenz. „Sie hatten damals recht“, sagte er. „Man erntet, was man sät. Und da sind großzügige Menschen definitiv besser aufgestellt als Egoisten.“

Viele denken, dass man nur dann erfolgreich sein kann, wenn man sich mehr oder weniger skrupellos gegen andere durchsetzt. Dabei sind Menschen, die sich für andere einsetzen, dauerhaft erfolgreicher als Egoisten, wenn sie ein paar Grundregeln beachten.

Dtsch Arztebl 2022; 119(45): [2]

Die Autorin

Dipl.-Psych. Gabriele Schuster
Athene Akademie
97072 Würzburg

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