
Im Gesundheitswesen entstehen in immer mehr Fachgebieten Versorgungsengpässe, die bislang noch zu wenig Aufmerksamkeit finden.
In welchen Fachgebieten die Personalsituation besonders angespannt ist, wird ganz entscheidend durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage bestimmt. Diesen Aspekt beleuchtet der von der Personalberatung mainmedico erstellte Facharztindex (siehe Grafik). Dieser setzt die Zahl der im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichten Stellenanzeigen eines Jahres ins Verhältnis zur Zahl der jeweils angestellten Fachärztinnen und Fachärzte (ohne Praxen). Jedes Fachgebiet erhält so einen spezifischen Indexwert.
Der Indexwert gibt an, wie viele Ärztinnen und Ärzte rein rechnerisch auf eine Stellenausschreibung entfallen. Je niedriger der Wert, desto geringer ist für Fachärztinnen und Fachärzte die Zahl potenzieller Mitbewerber, das heißt, desto weniger Bewerbungen werden aller Voraussicht nach auf eine Stellenausschreibung eingehen. Im Jahr 2018 betrug der Durchschnittswert aller Fachgebiete 33,8. Basis der Auswertung waren insgesamt 3.441 Stellenausschreibungen.
Facharztindex 2018: In diesen Fachgebieten ist die Bewerberdecke besonders dünn
Erneut auf Rang 1: Hygiene und Umweltmedizin
Den Spitzenplatz belegt erneut das Fachgebiet Hygiene und Umweltmedizin. Das ist nicht verwunderlich, da sich die Nachwuchssituation in den vergangenen Jahren nicht grundlegend geändert hat. Bleiben die Facharztanerkennungen weiter auf so niedrigem Niveau (2017: 11), dürfte sich die Lage künftig eher noch verschärfen, da 72 Prozent der stationär tätigen Ärztinnen und Ärzte in diesem Fachgebiet bereits 50 Jahre und älter sind.
Wie bereits durchgehend seit dem Jahr 2010 sind auch im Jahr 2018 die drei Fachgebiete aus dem Spektrum Psychiatrie/ Psychosomatik unter den Top Ten vertreten. Dort ist der Fachkräftemangel schon länger ein beherrschendes Thema. So gaben 63 Prozent der unlängst vom Deutschen Krankenhaus-Institut befragten Krankenhäuser an, offene Stellen in der Psychiatrie oder der Kinder- und Jugendpsychiatrie nicht besetzen zu können. In der Psychosomatischen Medizin waren es immerhin noch 33 Prozent.
Gleichzeitig steigt der Bedarf an qualifizierter psychiatrischer Versorgung: So erkrankt laut Deutscher Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) innerhalb eines Jahres bundesweit jeder vierte Mensch an einer psychischen Störung. Für die kommenden Jahre prognostiziert die Fachgsellschaft einen weiteren Anstieg des Hilfebedarfs, womit auch die Anforderungen an das Versorgungssystem steigen dürften. Daher ist es fatal, wenn der dafür benötigte ärztliche Nachwuchs fehlt. Aus diesem Grund hat es sich die Fachgesellschaft zur Aufgabe gemacht, die vielen Vorurteile und Klischees, die sich um den Beruf des Psychiaters ranken, abzubauen, um mehr junge Menschen für das Fach Psychiatrie und Psychotherapie zu begeistern.
Zu wenig beachtet: Geriatrie
Unbestritten stellt die Versorgung einer wachsenden Zahl an älteren Patientinnen und Patienten mit Mehrfacherkrankungen das Gesundheitssystem vor große Herausforderungen. Dementsprechend hoch ist die Nachfrage nach qualifizierten Geriatern. So stammt inzwischen jede dritte Stellenausschreibung für Internisten aus der geriatrischen Abteilung eines Krankenhauses.
Nun gibt es zwar eine Facharztbezeichnung „Innere Medizin und Geriatrie“. Diese können Ärzte aber nur in drei Bundesländern erwerben, wodurch bisher nur 77 stationär tätige Fachärztinnen und Fachärzte bei der Bundesärztekammer registriert sind. Der weitaus größte Teil der in der Geriatrie beschäftigten Internistinnen und Internisten verfügt stattdessen über eine Zusatzweiterbildung in Geriatrie. Laut Krankenhausstatistik des Statistischen Bundesamtes sind dies insgesamt 1 146 Internistinnen und Internisten.
Diese beiden Zahlen wurden addiert, um auch für die Geriatrie, die in der Nachfrage der Krankenhäuser immer weiter an Bedeutung gewinnt, einen repräsentativen Index ermitteln zu können. So kommt ein Wert von 11,8 zustande. Das verdeutlicht, dass in der Geriatrie die Bewerberdecke ähnlich dünn ist wie in der Hygiene und Umweltmedizin oder in der Psychosomatischen Medizin.
Am Limit: Öffentlicher Gesundheitsdienst
Nochmals nach vorne im Facharztindex ist die Gebietsbezeichnung Öffentliches Gesundheitswesen gerückt und zwar von Platz 8 im Vorjahr auf Platz 4 im Jahr 2018. Der Öffentliche Gesundheitsdienst hat schon seit Jahren mit Personalproblemen zu kämpfen. In Konkurrenz zu den Krankenhäusern, die deutlich höhere Gehälter zahlen, ist es immer schwieriger geworden, Fachärzte zu gewinnen. So fordert der Berufsverband der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst folgerichtig, seine Mitglieder nach den Tarifabschlüssen des Marburger Bundes für Klinikärzte zu bezahlen. Anders sei ein umfassender Gesundheitsschutz der Bevölkerung künftig nicht mehr zu gewährleisten.
Auch in einigen Spezialgebieten der Inneren Medizin ist die Bewerberdecke vergleichsweise dünn. Dort bereitet es besonders Probleme, Oberarztpositionen zu besetzen. Aber gerade diese sind für die Krankenhäuser von entscheidender Bedeutung, wenn es um die weitere Ausdifferenzierung des medizinischen Leistungsspektrums geht. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass neben der Gastroenterologie und der Pneumologie nun auch die Kardiologie im vorderen Feld des Facharztindex auftaucht. Probleme hat nun also auch ein Fachgebiet, das in der Vergangenheit eher verwöhnt war, was den Blick auf den Nachwuchs angeht. Dies ist ein deutliches Indiz dafür, dass die Ausbildung des ärztlichen Nachwuchses mit der anhaltenden Spezialisierungswelle in den Krankenhäusern nicht Schritt hält.
Dringend benötigt: zusätzliche Studienplätze
Vermutlich wird in den Fachgebieten, für die der Facharztindex eine vergleichsweise dünne Bewerberdecke ausweist, die Nachfrage auch künftig nicht zurückgehen. Im Gegenteil: Nicht zuletzt aufgrund des demografischen Wandels werden eher noch mehr Fachärztinnen und Fachärzte benötigt. Wo aber sollen diese herkommen? Das Werben der einzelnen Fachgesellschaften und Berufsverbände für ihr jeweiliges Fachgebiet stößt an Grenzen, wenn es generell zu wenig ärztlichen Nachwuchs gibt. Ohne zusätzliche Studienplätze wird sich dies kaum ändern lassen.
Dtsch Arztebl 2019; 116(17): [2]
Der Autor:
Dr. Wolfgang Martin
mainmedico GmbH
consulting & coaching
60322 Frankfurt am Main