
Alle zwölf Minuten erkrankt in Deutschland ein Mensch an Akuter Myeloischer Leukämie (AML) oder einer anderen Form von Blutkrebs. Oft ist eine Stammzellspende die letzte Hoffnung. Im DKMS Collection Center in Köln werden seit Anfang August 2023 die Spenden entnommen und für die Transplantation aufbereitet. Hier arbeiten auch Ärztinnen und Ärzte – darunter Jonas Rieping. Im Interview berichtet er aus seinem Arbeitsalltag.
Herr Rieping, was genau ist das DKMS Collection Center in Köln?
Jonas Rieping: Unser DKMS Collection Center hat seinen Betrieb am 1. April 2023 zunächst in Dresden und dann am 1. August in Köln aufgenommen. Bisher hatte sich die DKMS immer um die Vor- und Nachbetreuung der Spenderinnen und Spender gekümmert. Die Spenden selbst wurden dann bei unterschiedlichen Kooperationspartnern, beispielsweise in Kliniken, entnommen. Die Entnahmezentren eines ehemaligen Partners in Dresden und Köln hat die DKMS übernommen und führt diese im DKMS Collection Center fort.
Was sehr schön ist: Damit begleiten wir als DKMS viele unserer Spenderinnen und Spender von der Registrierung bis hin zur Entnahme von Stammzellen sowie auch in der Nachbetreuung. Darüber hinaus arbeiten wir nach wie vor vertrauensvoll mit weiteren zertifizierten Entnahmekliniken im gesamten Bundesgebiet zusammen. Doch einem Großteil unserer Spenderinnen und Spender können wir nun die Entnahme unter dem Dach der DKMS ermöglichen.
Was genau passiert im Collection Center?
Jonas Rieping: Ich arbeite seit April bei der DKMS. In den Wochen vor dem Start des Kölner Standortes habe ich die Vorbereitungen des Übergangs unterstützt und saß viel am Schreibtisch. Aber jetzt kann auch ich mich wirklich um die Spenderinnen und Spender bei Voruntersuchungen und Entnahmen kümmern. Wir führen hier in der Mediapark Klinik sowohl die peripheren Stammzellentnahmen mittels Apherese als auch die Spende per Knochenmarkentnahme durch. Die Apherese wird ambulant durchgeführt und läuft ähnlich ab wie eine Blutspende. Diese Methode kommt in 90 Prozent der Fälle zum Einsatz. Die Knochenmarkentnahme ist eine Operation unter Vollnarkose, die in den restlichen zehn Prozent der Fälle zum Einsatz kommt. Dabei wird etwa ein Liter Knochenmark-Blut-Gemisch aus dem Beckenkamm des Spenders entnommen.
Was sind Ihre Aufgaben als Arzt im Collection Center?
Jonas Rieping: Einerseits kümmere ich mich um die Voruntersuchungen: Zunächst werden die potenziellen Spenderinnen und Spender von der DKMS informiert, dass sie für eine Stammzellspende in Frage kommen. Dann kommen sie zu uns: Wir checken sie einmal von oben bis unten durch. Dazu gehören beispielsweise ein Abdomen-Ultraschall und umfassende Laboruntersuchungen. Außerdem führen wir nochmal ein ausführliches Anamnesegespräch durch. Wir gucken uns die medizinische Vergangenheit und den aktuellen Gesundheitszustand ganz genau an, weil wir einfach jedes potenzielle Risiko für die Spenderinnen und Spender ausschließen wollen. Es liegt in unserer Verantwortung, dass die Spende medizinisch vertretbar ist.
Der andere Teil unserer Arbeit ist dann die eigentliche Entnahme. Bei einer Apherese bekommen die Spenderinnen und Spender die letzten vier Tage vor der Entnahme ein Wachstumshormon gespritzt, dass die Stammzellen im Knochenmark mobilisiert. Am fünften Tag kommen sie zu uns und werden an die Apheresemaschine angeschlossen. Dann liegen sie da drei bis fünf Stunden und können in dieser Zeit einen Film sehen oder lesen. Wir kümmern uns währenddessen darum, dass es ihnen gut geht und die Präparate für die Patientinnen und Patienten mit der richtigen Zellzahl und zeitnah hergestellt werden.
Einmal pro Woche finden Knochenmarkentnahmen statt – das wird künftig noch aufgestockt. Da ist immer ein eigenes Ärzte- und Pflegeteam im OP und führt die operativen Knochenmarkentnahmen durch.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag normalerweise aus?
Jonas Rieping: Am Morgen schließen wir als erstes die Spenderinnen und Spender an die Apheresemaschinen an. Dafür müssen pro Person zwei venöse Zugänge gelegt werden. Wir befunden dann noch ein letztes Mal die medizinische Spendetauglichkeit und schließlich bleiben ein oder zwei Kolleginnen und Kollegen aus dem ärztlichen Team die ganze Zeit zur Überwachung im Apheresebereich. Ansonsten beginnen danach die Voruntersuchungen und die Gespräche mit den potenziellen Spenderinnen und Spendern. Wir prüfen Laborbefunde und die Ergebnisse von eventuellen Zusatzuntersuchungen bei Fachärztinnen und -ärzten. Damit sind wir den Tag gut beschäftigt. Außerdem kümmern wir uns um die medizinischen Freigaben der Präparate: Bei Knochenmark-, Stammzell-, oder Lymphozytenentnahmen gibt es sehr viele regulatorische Vorgaben, da wir uns als pharmazeutischer Unternehmer im GMP-Umfeld (Good Manufacturing Practice) bewegen.
Wie sind die Arbeitszeiten?
Jonas Rieping: Die Arbeitszeiten sind natürlich für viele der ausschlaggebende Grund, sich eine Alternative zur Arbeit in der Klinik zu suchen. Bei uns sind die Arbeitszeiten sehr angenehm: Wir fangen in der Regel um 8 Uhr morgens an und sind bis 16 oder 17 Uhr in der Regel mit allem durch. Normalerweise haben wir hier sehr geregelte Arbeitszeiten – unsere Aufgaben sind gut planbar und medizinische Notfälle betreuen wir nicht. Viele Kolleginnen und Kollegen sind auch in Teilzeit angestellt – das ist auch kein Problem. Die Work-Life-Balance ist hier wirklich sehr ausgeglichen, darauf legt die DKMS insgesamt viel Wert.
Gibt es gar keine Nacht- und Wochenenddienste?
Jonas Rieping: Es gibt keine Nacht- oder Wochenenddienste. Hier ist im Moment nur montags bis freitags Betrieb, und schon der Freitag ist ein eher ruhiger Tag – da machen wir nur Zweitentnahmen und Voruntersuchungen. Der einzige „Dienst“ ist der Telefondienst. Für die Spenderinnen und Spender sind wir rund um die Uhr erreichbar. Jemand aus dem Ärzteteam hat also auch abends und am Wochenende immer ein Notfalltelefon für medizinische Rückfragen dabei. Das ist aber eigentlich eher ruhig. Von einer Kollegin habe ich gehört, dass ihr spätester Anruf gegen 22.30 Uhr kam. Man wird dafür also nicht nachts aus dem Bett geholt.
Wie groß ist denn das Team am Standort Köln?
Jonas Rieping: Bei uns arbeiten etwa 35 Personen. Dazu zählen ein großes Pflegeteam, das Koordinationsteam und elf Ärztinnen und Ärzte. Damit können wir pro Tag bis zu zwölf Spenden und durchschnittlich zehn Voruntersuchungen ermöglichen.
Anders als andere Ärztinnen und Ärzte arbeiten Sie mit gesunden Menschen, nicht mit Kranken. Macht das für Sie einen Unterschied?
Jonas Rieping: Ja, auf jeden Fall. Ich bin ja selbst noch relativ jung und die Spenderinnen und Spender sind in der Regel im gleichen Alter wie ich – nicht deutlich älter, wie es sonst häufig der Fall in Kliniken ist. Das sorgt im Umgang mit den Spenderinnen und Spendern für eine geringe Distanz: Beispielsweise duzen wir viele der Menschen, die zu uns kommen. Man ist direkt auf einer ganz anderen Ebene. Zu den eigentlichen Patientinnen und Patienten hat man wiederum einen ganz anderen Abstand. Die sind in Transplantationskliniken überall auf der Welt und wir bekommen sie gar nicht zu sehen. Das ist manchmal ganz gut – dann gehen einem die persönlichen Schicksale auch weniger nahe.
Wie werden die potenziellen Spenderinnen und Spender eigentlich mit den Patientinnen und Patienten gematcht?
Jonas Rieping: Der Suchprozess erfolgt über ein System der weltweiten Vernetzung. In Ländern, die über viele auf dem Feld der Stammzelltransplantation tätige Institutionen verfügen, gibt es zumeist ein Zentralregister, dass die relevanten Daten von allen in einem Land registrierten potenziellen Spenderinnen und Spendern verwaltet, als Schnittstelle fungiert und Suchaufträge koordiniert.
Wenn jemand beispielsweise an AML oder einer anderen hämatologischen Erkrankung erkrankt und auf eine Stammzellspende angewiesen ist, wird er oder sie ebenfalls typisiert und mit der Datenbank abgeglichen. Der Suchlauf wird also gestartet. Gibt es dabei mögliche Treffer, erfolgt über das zuständige Register ein Auftrag an die entsprechende Spenderdatei – zum Beispiel an die DKMS. Zunächst wird im Confirmatory (oder Verification) Typing die Kompatibilität von Patient und Spender bestätigt und eine erste medizinische Abklärung mit dem Spender durch die DKMS durchgeführt. Da zwischen Registrierung und der Spende viel Zeit liegen kann, werden hier Spenderinnen und Spender ausgeschlossen, welche Erkrankungen entwickelt haben, die zum Ausschluss führen.
Die Transplantationsklinik erhält dann alle relevanten medizinischen Daten zum potentiellen Spender und der behandelnde Arzt des Patienten trifft die Entscheidung für eine Transplantation. Schließlich erreicht das WorkUp-Team der DKMS ein Auftrag, den Spender oder die Spenderin in eine Entnahmeklinik zu senden und wir kommen ins Spiel.
Was passiert als nächstes?
Jonas Rieping: Die Spenderinnen und Spender werden vom Ärzteteam der Entnahmeklinik gründlich durchgecheckt, ob es mögliche Kontraindikationen gegen die Spende gibt. Schließlich werden sie für die Spende abgelehnt oder freigegeben. Und erst dann kann die periphere Stammzellentnahme oder Knochenmarkentnahme nach einem eng abgestimmten Zeitplan erfolgen.
Das Stammzell- oder Knochenmark-Präparat wird über Kuriere weltweit mit ganz normalen Passagier-Flugzeugen zu der zuständigen Transplantationsklinik transportiert. Die Konserven werden in speziellen Boxen transportiert und sind bis zu 72 Stunden haltbar. In dieser Zeit kann die Spende eigentlich in jedes Transplantationszentrum der Welt transportiert werden.
Warum haben Sie sich für die Arbeit bei der DKMS entschieden?
Jonas Rieping: Ich war im Praktischen Jahr auf der Transplantationsstation der Uniklinik Köln – der Hämato-Onkologie. Dort habe ich die andere Seite kennengelernt. Das Collection Center ist dazu eine gute Ergänzung. Aktuell bin ich noch nicht in der Facharzt-Weiterbildung, weil der Standort Köln bisher keine Weiterbildungsbefugnis hat. Sowohl in Dresden als auch in Köln soll es aber in Zukunft die Weiterbildung für Transfusionsmedizin geben.
Welche Voraussetzungen muss man denn mitbringen, um im DKMS Collection Center zu arbeiten?
Jonas Rieping: Wir haben hier verschiedene Hintergründe. Das macht die Arbeit sehr spannend und das Team sehr interessant. Unser Ärztlicher Leiter Prof. Gero Hütter ist Facharzt für Hämatologie. Wir haben auch zwei Fachärztinnen für Transfusionsmedizin, andere kommen aus der Anästhesie. Ich bin noch Berufsanfänger und habe bisher nur die Approbation. Das ist natürlich die Grundvoraussetzung. In alles andere kann man gut eingearbeitet werden.
Welche Charaktereigenschaften und Interessen sind hilfreich, wenn man im Collection Center arbeiten möchte? Und für wen ist es nichts?
Jonas Rieping: Es ist nichts für Menschen, denen eine akademische Karriere und permanenter Patientenkontakt wichtig sind. Man sollte auch eine gute Portion Humor mitbringen – das ist an der einen oder anderen Stelle schon wichtig. Generell sollte man offen für Neues sein und Lust haben, mit neuen Kolleginnen und Kollegen zusammenzuarbeiten.
Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit besonders gut?
Jonas Rieping: Das Team ist wirklich großartig hier. Von den Fachärztinnen und Fachärzten hier kann ich viel lernen – die sind einfach sehr versiert in dem, was sie tun. Auch das Pflegeteam ist relativ jung und professionell – wir haben viel Spaß und arbeiten Hand in Hand. Die Arbeitsatmosphäre ist wirklich sehr gut.
Wer unseren Job belächelt und denkt, das ist verhältnismäßig einfach, tut unserer Arbeit Unrecht: Man sollte hier mit dem nötigen Ernst rangehen und sich bewusst machen, was der Hintergrund ist. Wir haben es zwar täglich mit gesunden Menschen zu tun, aber hinter den Gesunden stehen auch immer schwerkranke Patientinnen und Patienten, für die es um Leben und Tod geht. Durch unsere Arbeit tragen wir viel Verantwortung für die Sicherheit der Spenderinnen und Spender und damit auch zum Therapieerfolg der Patientinnen und Patienten bei. Die Ernsthaftigkeit schwingt immer mit. Besonders schön finde ich es, wenn sich beide Seiten irgendwann persönlich begegnen. Von diesen Erstkontakten haben wir im Büro Bilder aufgehängt. Und immer, wenn ich mir das ansehe, bekomme ich eine kleine Gänsehaut – weil man sofort spürt, welche Emotionen und Geschichten dahinterstecken. Wir leisten hier eine unglaublich wertvolle Arbeit – auch wenn der klinische Bezug nicht auf den ersten Blick offensichtlich ist.