Dr. Rühl: „In der Geburtshilfe geht es um intensivste Momente von Traurigkeit und Glück“

10 August, 2023 - 07:32
Dr. Sabine Glöser
Köpfe und Karriere: Dr. med. Ina Rühl
Dr. med. Ina Rühl ist seit 1. April 2023 neue Chefärztin der Abteilung für Geburtshilfe der Frauenklinik Taxisstraße des Rotkreuzklinikums München.

Über wichtige Erfahrungen, gewonnene Einsichten und ausgefallene Wünsche spricht aerztestellen.de mit erfolgreichen Ärztinnen und Ärzten. Dieses Mal stellt sich Dr. med. Ina Rühl unseren Fragen. Sie ist seit 1. April 2023 neue Chefärztin der Abteilung für Geburtshilfe der Frauenklinik Taxisstraße des Rotkreuzklinikums München.

Frau Dr. Rühl, warum eigentlich haben Sie sich für die Geburtshilfe entschieden?

Dr. Ina Rühl: Das war nie mein Plan und nachts um 3 Uhr, wenn der Kreißsaal tobt, habe ich mich das auch manchmal gefragt. Ich wollte immer Mamma-Onkologie machen. Dann hatte ich während meiner Facharztausbildung einen tollen Geburtshelfer als Vorbild. Schließlich durfte ich noch in der Neonatologie rotieren und bin dort ein Jahr „hängengeblieben“. Danach war es um mich geschehen. Der Blick von außen auf die Geburtshilfe ist meist verklärt romantisch. Dabei geht es dort um Akutmedizin und intensivste Momente von Traurigkeit und Glück. Vielleicht lässt man selten sonst in einem Fach so viel Schweiß und Tränen. Das hält man nur aus, wenn das eigene Herz daran hängt.

Was ist für Sie unabdingbar, damit Sie gut arbeiten können?

Dr. Ina Rühl: Freude am Tun, Ehrfurcht vor der Tätigkeit, ein starkes berufsgruppenübergreifendes Team mit flachen Hierarchien und Mut für unkonventionelle Ideen.

Wie lautet der beste Rat, den Sie auf Ihrem Karriereweg bekommen haben?

Dr. Ina Rühl: Die besten Ratschläge waren die, an die ich mich nicht gehalten habe! So bin offenbar ich zum falschen Zeitpunkt zum Forschen ins Ausland gegangen oder habe die Unikarriere beendet.

Was schätzen Sie an anderen Menschen am meisten?

Dr. Ina Rühl: Enthusiasmus, Humor, Ehrlichkeit.

Was treibt Sie an?

Dr. Ina Rühl: Komplizierte Schwangerschaften zu einem glücklichen Ende zu bringen. Familien in schwierigen Momenten Halt geben zu können und in akuten Situationen die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Mit wem würden Sie gern einmal einen Abend verbringen?

Dr. Ina Rühl: Beruflich würde ich Prof. Dr. Rainer Rossi nennen, einem renommierten Kindermediziner aus Berlin. Eine 1:1-Betreuung kleiner Frühgeborener ist unser aller Traum, aber wir müssen uns der Realität stellen, dass ein dramatischer Pflegemangel herrscht! Wenn wir immer mehr Betten sperren – wohin mit den Kindern? Privat würde ich gern mit meinem Vater einen Abend verbringen. Er starb, als ich 19 Jahre alt war und ich würde ihn gern als Erwachsene nochmal kennenlernen.

Was raten Sie jungen Ärztinnen und Ärzten?

Dr. Ina Rühl: Verschiebt nicht immer alles auf eine Zeit nach dem Facharzt, oder die Zeit, wenn Ihr dann Oberärztin seid – weder Familienplanung, noch die Weltreise. Traut Euch, einen ungeraden Lebensweg zu gehen! Macht das, was Euch kickt, nicht das, was schlau wäre!

Wie gelingt Ihnen eine gesunde Work-Life-Balance?

Dr. Ina Rühl: Wahrscheinlich gar nicht. Ich sage immer, die Klinik ist mein zweites Kind. Und das ist auch nur halb spaßig. Die Arbeit nimmt viel Platz in meinem Leben ein. Jede freie Minute verbringe ich mit meinem Sohn. Mein Mann ist auch Arzt und arbeitet ebenfalls viel. Aber er ist großartig und hält mit viel Gelassenheit und Humor aus, wie chaotisch unsere Zeitplanung ist. Zeit nur für mich allein hatte ich 40 Jahre lang, bevor ich Mutter wurde und habe das bestimmt schneller wieder, als mir lieb ist – wenn unser Sohn in die Pubertät kommt und Mama total uncool ist.

Woran mangelt es dem deutschen Gesundheitssystem?

Dr. Ina Rühl: An korrekten Messgrößen. Mindestmengenregelungen sind in den meisten Bereichen super. Was ich oft mache, kann ich gut. Aber wer ist auf die absurde Idee gekommen, die Qualität eines Perinatalzentrums ausschließlich an der Menge der Frühgeborenen zu messen? Das macht natürlich nur Sinn für die Neonatologie. Aber meine Aufgabe als Geburtshelferin ist es, eine Frühgeburt zu vermeiden. Demnach sollte relevant sein, wie viele Schwangerschaften erfolgreich stabilisiert werden. Wenn ich viele Frühchen „produziere“, bin ich darin offensichtlich nicht sehr gut. Wenn ich wenige Frühgeburten habe, wird der Laden geschlossen, weil ich die (neonatologischen) Mindestmengen nicht erfülle. Hier stimmt etwas nicht!

Wann sind Sie glücklich?

Dr. Ina Rühl: Fast immer. Ich gehe jeden Tag gern in die Klinik und mache das, was ich liebe, mit einem großartigen Team. Meine tolle Familie und echte Freunde erfüllen mein Privatleben. Wie könnte man da nicht glücklich sein?

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