
Über wichtige Erfahrungen, gewonnene Einsichten und ausgefallene Wünsche spricht aerztestellen.de mit erfolgreichen Ärztinnen und Ärzten. Dieses Mal stellt sich Dr. med. Dorothee Dorlars unseren Fragen. Sie ist seit 1. September 2023 neue Chefärztin der Klinik für Gastroenterologie, Diabetologie und Allgemeine Innere Medizin am Klinikum Kassel.
Frau Dr. Dorlars, warum eigentlich sind Sie Internistin geworden?
Dr. Dorothee Dorlars: Das war im Grunde ein Zufall. Ich wusste als Kind immer schon, dass ich Ärztin werden will. Dabei spielte weniger eine Rolle, Menschen helfen zu wollen, sondern ich fand extrem spannend, was im Körper passiert. Die Biologie des Körpers hat mich immer schon fasziniert. Als ich mitten in der „Ärzteschwemme“ mein Examen machte, habe ich mich zunächst in der Chirurgie beworben, weil ich gern handwerklich arbeite. Dort waren Frauen damals aber eine Seltenheit und meine Bewerbungen wurden dankend abgelehnt. Daher landete ich in einem Haus der Grundversorgung in der Inneren Medizin – eine wunderbare Entscheidung, weil ich dort ausgesprochen viel lernte und ein tolles Umfeld hatte.
Was ist für Sie unabdingbar, damit Sie gut arbeiten können?
Dr. Dorothee Dorlars: Unabdingbar ist für mich ein gutes Team. Ich muss mich morgens auf die Arbeit freuen, das heißt, ich brauche ein Team, das mich unterstützt und offen ist. Die Energien des Teams sollten nicht verschwendet werden, indem man gegeneinander arbeitet, sondern sie sollten sich gegenseitig verstärken. In so einem Umfeld kann sich das Potenzial der Mitarbeitenden optimal entfalten. Wenn man dies nicht hat, sollte man versuchen, es zu entwickeln.
Wie lautet der beste Rat, den Sie auf Ihrem Karriereweg bekommen haben?
Dr. Dorothee Dorlars: Ich kann mich spontan an keinen Rat erinnern. Es ist eher so, dass mich einzelne Menschen auf meinem Karriereweg beeinflusst haben. Dazu gehört zum Beispiel meine erste Oberärztin, die menschlich und fachlich ausgesprochen kompetent war und vorlebte, dass sie mit den Patienten sowohl auf der körperlichen als auch auf der seelischen Ebene arbeitet. Dabei habe ich gesehen, dass Körper und Seele miteinander eng verbunden sind, wenn es um Heilung geht. Der zweite Mensch, der mich auf meinem beruflichen Weg geprägt hat, war der Chefarzt, bei dem ich die Grundlagen der Gastroenterologie lernte. In seiner Klinik habe ich fachlich extrem viel gesehen und das in einem wunderbaren kollegialen Team. Die Klinik war ausgesprochen gut organisiert und die Arbeit strukturiert. Dort lernte ich, dass für eine gute Medizin auch Klarheit, Transparenz und Entscheidungsfreude wichtig sind.
Was schätzen Sie an anderen Menschen am meisten?
Dr. Dorothee Dorlars: Offenheit und Herzlichkeit. In der Medizin geht es oft um ernste Themen. Ich möchte meine Zeit nicht mit Small Talk vertun. Dabei hilft Offenheit und manchmal auch Direktheit weiter. Herzlichkeit schafft eine andere Atmosphäre und erfüllt den Begriff Wertschätzung mit Inhalt. Wertschätzung kann ich nicht allein mit Worten erreichen. Zum wertschätzenden Handeln gehört aus meiner Sicht auch Herzlichkeit und Freundlichkeit im Umgang. Es bedeutet auch, den Anderen zu „sehen“.
Was treibt Sie an?
Dr. Dorothee Dorlars: Eine extreme Neugier. Ich bohre gern in die Tiefe, möchte alles genau wissen und finde die vorgegebenen Grenzen des Fachs oft überflüssig. Das führt auch dazu, dass ich seit einiger Zeit einiges außerhalb der Schulmedizin mache.
Mit wem würden Sie gern einmal den Abend verbringen?
Dr. Dorothee Dorlars: Wenn wir unter vier Augen sprechen und ich ehrliche Antworten bekomme, dann würde ich den Abend gern mit dem Papst verbringen.
Was raten Sie jungen Ärztinnen und Ärzten?
Dr. Dorothee Dorlars: Ganz klar: Behalten Sie Ihre Leidenschaft für den Beruf. Wenn Sie merken, dass Sie diese verlieren, finden Sie heraus, warum und verändern Sie etwas. Vielleicht stimmt der Beruf nicht, vielleicht die Fachrichtung, vielleicht stimmen der Arbeitgeber oder das Team nicht. Wenn die Leidenschaft verloren geht, werden Sie den enormen Anforderungen des Berufs auf vielen Ebenen nicht mehr gerecht und tun sich selbst keinen Gefallen.
Wie gelingt Ihnen eine gesunde Work-Life-Balance?
Dr. Dorothee Dorlars: Genau das ist der Grund, warum die Leidenschaft für den Beruf so wichtig ist. Dann gibt es eine große Schnittmenge zwischen „Work“ und „Life“. „Work“ ist „Life“ und „Life“ kann auch „Work“ sein. Ich erinnere an Konfuzius, der sagte, wähle einen Beruf, den Du liebst, und Du brauchst keinen Tag in deinem Leben mehr zu arbeiten. Gerade den jungen Kolleginnen und Kollegen ist es wichtig, die Tür hinter sich zuzumachen, wenn sie die Klinik verlassen. Das geht nicht immer, oft nehmen wir Patienten „mit nach Hause“. Aber grundsätzlich sollte man natürlich eine Trennung machen und in der Freizeit Dinge tun, die einem gut tun.
Woran mangelt es dem deutschen Gesundheitssystem?
Dr. Dorothee Dorlars: Ich bin seit vielen Jahren im Aufsichtsrat. Die ersten Erkenntnisse, die ich dabei sammelte: man kann ein Krankenhaus nicht wie eine Brotfabrik führen und der Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und Menschlichkeit ist riesig. Wenn ich zurückschaue, hat sich daran nichts geändert. Das ist für mich ein grundsätzlicher Systemfehler. Eine Gesellschaft muss sich überlegen, was ihr die Gesundheitsversorgung ihrer Menschen wert ist. Gesundheitsversorgung und Medizin sollten so beschaffen sein, dass man auf die hypothetische Frage, ob man Patienten anders behandeln würde, wenn Erlöse keine Rolle spielten, mit einem klaren Nein antwortet. Das ist momentan nicht der Fall. Wie viele Therapien werden gemacht, nur weil sie viel Geld einbringen? Eigentlich ist das ethisch nicht zu verantworten. Dies ist sicher auch eines der großen Spannungsfelder, das Ärzte und Patienten täglich belastet, auch das gegenseitige Vertrauen.
Wann sind Sie glücklich?
Dr. Dorothee Dorlars: Ich bin ganz oft und zu unterschiedlichen Gelegenheiten glücklich: wenn ich morgens im Regen mit dem Fahrrad zur Arbeit fahre und mir die Regentropfen ins Gesicht fallen, wenn ich mit meinem Mann in der Pfalz bin und durch die Weinberge laufe, wenn die schwierige ERCP plötzlich ganz leicht ist oder auch wenn ich ein herausforderndes Patientengespräch habe und ich den Patienten erreiche, sich alles ganz leicht fügt. Und wenn ich bei der Arbeit im Flow bin, weiß ich, dass ich den richtigen Beruf habe.