
Die Reform des Mutterschutzgesetzes hat einen wichtigen Paradigmenwechsel eingeleitet. Im Alltag machen praxisnahe Leitlinien, wie das interdisziplinäre Konsensuspapier, den entscheidenden Unterschied. In der Medizin sollte die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf gelebte Realität sein.
Für Generationen von Ärztinnen barg eine Schwangerschaft ein erhebliches Risiko für die eigene Karriere. Gerade in operativen Fächern war das Offenbaren einer Schwangerschaft gleichbedeutend mit einem weitgehenden oder vollständigen Tätigkeitsverbot. Dies lag an den unflexiblen und strengen Vorgaben des alten Mutterschutzgesetzes aus den 1950er-Jahren – aber auch an patriarchalen Strukturen in Krankenhäusern.
Weiterarbeit ist die Regel, nicht die Ausnahme
Seit der Reform des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) im Jahr 2018 hat sich die Rechtslage verbessert. Jedoch gibt es noch immer viele Herausforderungen. Ärztinnen erleben in Schwangerschaft und Stillzeit auch heute noch, dass ihnen der Zugang zu ihrem eigenen Arbeitsplatz verwehrt wird. Dabei gilt ein Weiterbeschäftigungsgebot. Nach der Neuregelung soll das Gesetz nicht mehr nur die Gesundheit der werdenden Mutter und ihr Kind schützen. „Das Gesetz ermöglicht es der Frau, ihre Beschäftigung oder sonstige Tätigkeit in dieser Zeit ohne Gefährdung ihrer Gesundheit oder der ihres Kindes fortzusetzen und wirkt Benachteiligungen während der Schwangerschaft, nach der Entbindung und in der Stillzeit entgegen“, heißt es in § 1 Abs. 1 des Gesetzes.
Dem Mutterschutzgesetz zufolge müssen Arbeitgeber für alle Arbeitsplätze im Unternehmen eine allgemeine Gefährdungsbeurteilung erstellen (§ 10 MuSchG). Im Falle der Bekanntgabe einer Schwangerschaft, hat eine individuelle Gefährdungsbeurteilung zu folgen. Die genaue Rangfolge der vom Mutterschutzgesetz vorgesehenen Schutzmaßnahmen entspricht dabei diesem Prinzip: Zunächst sind die Substitution (zum Beispiel gefährlicher Stoffe) und technische Lösungen (zum Beispiel Belüftungssysteme, geschlossene Narkosesysteme et cetera) anzugehen, bevor organisatorische Maßnahmen (zum Beispiel Änderung des OP-Plans et cetera) und schließlich personenbezogene Maßnahmen (Unterstützung bei körperlich schweren Tätigkeiten, persönliche Schutzausrüstung) ergriffen werden dürfen.
Betroffene Ärztinnen sind aktiv zu beteiligen
Nur als Ultima Ratio, wenn die genannten Schutzmaßnahmen oder das Umsetzen an einen geeigneten Arbeitsplatz nicht möglich sind, darf ein Beschäftigungsverbot in Betracht gezogen werden (§ 13 MuSchG). Die betroffene Ärztin ist dabei aktiv zu beteiligen. Zudem genießt die Schwangere ab dem Beginn der Schwangerschaft besonderen Kündigungsschutz (§ 17 MuSchG) und ist vor Benachteiligung durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geschützt (AGG, § 7 Abs. 1).
Dieses Diskriminierungsverbot sollte bei der Entscheidung über die konkrete Schutzmaßnahme beachtet werden. Denn Ärztinnen werden oft vorschnell aus dem OP-Plan genommen und zum „Briefe-Schreiben“ abgestellt. Gerade während der Weiterbildung liegt bei einer solchen Versetzung eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nahe. Der Teufel steckt jedoch, wie so oft, im Detail. Wann konkret eine Gefährdung noch akzeptabel und wann welche Maßnahme oder gar ein Beschäftigungsverbot erforderlich ist, ist im Gesetz nicht geregelt. Im Zweifel wird die Weiterarbeit aufgrund überkommener Routinen und Unsicherheiten oft untersagt.
Nicht hoch genug geschätzt werden kann das interdisziplinäre Konsensuspapier chirurgischer Fachgesellschaften, das konkrete Handlungsempfehlungen für einen sicheren und selbstbestimmten Verbleib im OP formuliert. Es umfasst Positivlisten konkreter Prozeduren, insbesondere viele gängige Standardeingriffe, die in der Regel auch schwangere Ärztinnen durchführen dürfen. Eine schwangere Ärztin dürfe operieren, heißt es in dem Papier, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu zählten unter anderem effektive Schutzmaßnahmen vor Infektionsrisiken, der Ausschluss vom Umgang mit gefährlichen Stoffen und eine ergonomisch geeignete Arbeitsplatzgestaltung. Auch die Dauer und Intensität der Tätigkeit könne angepasst werden. Eine Versetzung aus dem OP oder gar ein Beschäftigungsverbot sind damit nur noch selten erforderlich.
Ärztinnen sollten Eigeninitiative zeigen
Wer operativ tätig bleiben will, sollte aktiv das Gespräch suchen, die rechtlichen Grundlagen kennen und mit einem konkreten Vorschlag für ein angepasstes Tätigkeitsprofil in die Verhandlung gehen. Hilfreich kann es sein, sich auf das Konsensuspapier zu berufen oder in Abstimmung mit Kolleginnen und Kollegen, eine interne Umsetzungsrichtlinie anzustoßen. Arbeitgeber wiederum sind rechtlich verpflichtet, den Arbeitsplatz schwangerschaftssicher zu gestalten. Das bedeutet nicht nur, dass sie eine Gefährdungsbeurteilung erstellen, sondern diese auch sachgerecht umsetzen müssen. Schulungen für Vorgesetzte, ein strukturierter Ablauf für Mutterschutzmeldungen und ein kooperativer Umgang mit individuellen Wünschen sind essenzielle Bausteine.
In Krankenhäusern gibt es oft formale Strukturen und Betriebsärzte, was die Umsetzung des Mutterschutzes erleichtern kann. Gleichzeitig führen standardisierte Abläufe gelegentlich zu pauschalen Entscheidungen, ohne die individuelle Situation der Ärztin zu berücksichtigen. In Praxen hingegen sind Entscheidungswege oft direkter, allerdings fehlt dort mitunter das Wissen um die genauen rechtlichen Vorgaben. Die Aufsichtsbehörden der Länder können helfen. Dabei gilt: Sie geben nur Empfehlungen und haben kein Weisungsrecht.
Gesetz gilt nicht für selbstständige Ärztinnen
Keine Anwendung findet das Mutterschutzgesetz auf Praxisinhaberinnen, da es nicht für selbstständig tätige Ärztinnen gilt. Im Interesse des Gesundheitsschutzes von werdender Mutter und Kind bietet sich aber eine Gefährdungsbeurteilung und das Einleiten von Schutzmaßnahmen an. Herausfordernd ist für Praxisinhaberinnen das Fehlen eines Anspruchs auf Mutterschutzlohn und -geld. Vertragsarztrechtlich ist eine Vertretung bis zu einem Jahr im Zusammenhang mit einer Entbindung möglich. Zudem ist die Beschäftigung von Sicherstellungsassistenten während der Erziehung von Kindern bis zu 36 Monate möglich. Berufsausübungsgemeinschaften sollten im Gesellschaftsvertrag Regelungen für diese Situation umfassen. Auch Einzelpraxen sollten sich mit dem Thema befassen, damit die Gesundheit nicht allein auf Kosten der Praxisliquidität und vice versa geschützt wird.
Dtsch Arztebl 2025; 122(11): [2]
Der Autor:
Dr. iur. Torsten Nölling
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht
Nölling – Leipzig – Medizinrecht
04229 Leipzig
Infos und Kontakt: www.ra-noelling.de