Recht: Zweitmeinungsverfahren – wo Fallstricke lauern

9 Juli, 2021 - 15:21
Dr. iur. Torsten Nölling
Zahnräder mit Fragezeichen, Ausrufezeichen und Paragraphenzeichen greifen ineinander

Indikationsstellende Ärzte müssen ihre gesetzlich versicherten Patienten über die Möglichkeit aufklären, eine Zweitmeinung einholen zu können, wenn die Indikation einen Eingriff umfasst, der in der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses aufgeführt ist.

Seit Mitte des Jahres 2015 haben gesetzlich Krankenversicherte bei bestimmten planbaren Eingriffen, bei denen die Gefahr einer Indikationsausweitung nicht auszuschließen ist, Anspruch auf eine Zweitmeinung (§ 27 b SGB V). Die Details regelt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in der Richtlinie zum Zweitmeinungsverfahren, die Teil der Qualitätssicherungsrichtlinien ist. Damit gelten die Vorgaben für alle Ärzte, die gesetzlich Krankenversicherte behandeln. Privatpatienten sind nicht unmittelbar betroffen.

Nachdem die Richtlinie zunächst nur Tonsillektomie, Tonsillotomie und Hysterektomie, jeweils bei nichtmaligner Erkrankung der Organe, regelte, hat der G-BA in den letzten Jahren weitere Verfahren aufgenommen. Dazu zählen arthroskopische Eingriffe an der Schulter, Amputationen beim diabetischen Fußsyndrom und Implantationen einer Knie-Endoprothese. Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) soll dem G-BA auferlegt werden, jedes Jahr mindestens zwei weitere Eingriffe zu bestimmen. Die Bedeutung von Zweitmeinungen wird damit fachübergreifend zunehmen.

Anspruch entsteht mit der Indikationsstellung

Zunächst muss ein Arzt einen dieser Eingriffe indizieren. Mit der Indikationsstellung entsteht der Anspruch, einen nach den Vorgaben der Richtlinie qualifizierten Arzt aufzusuchen, um eine Zweitmeinung einzuholen. Dabei sind solche Ärzte oder Einrichtungen ausgeschlossen, die den Eingriff durchführen sollen.

09.12.2024, Dialyse Mosbach
Mosbach
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Eberbach

Der indikationsstellende Arzt muss den Patienten über sein Recht, eine Zweitmeinung einzuholen, in der Regel mindestens zehn Tage vor dem geplanten Eingriff aufklären. Zudem muss er den Patienten auf die von den KVen und Landeskrankenhausgesellschaften im Internet bereitgestellten Informationsangebote über geeignete Zweitmeiner hinweisen und darauf, dass diese oder die Einrichtung, in der sie tätig sind, den Eingriff nicht selbst durchführen dürfen. Auch ist der Patient auf das Patientenmerkblatt des G-BA zum Zweitmeinungsverfahren, die Entscheidungshilfe des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und weitere evidenzbasierte Informationen zum geplanten Eingriff hinzuweisen, auf die das Patientenmerkblatt verweist. Der Arzt stellt dem Patienten das Merkblatt entweder als Ausdruck oder elektronisch zur Verfügung. Schließlich ist der Patient darauf hinzuweisen, dass er einen Anspruch auf alle für die Zweitmeinung relevanten Patientenunterlagen hat.

Der Zweitmeiner benötigt eine Abrechnungsgenehmigung. Sofern er bisher nicht im KV-System aktiv ist, kann er eine entsprechende Ermächtigung beantragen. Zusätzlich muss er die erforderlichen Qualifikationen gegenüber der KV nachweisen:

  • Anerkennung der eingriffsspezifischen Facharztbezeichnung,
  • eine mindestens fünfjährige vollzeitäquivalente Tätigkeit als Facharzt auf dem jeweiligen Gebiet und
  • Kenntnisse über den Stand der wissenschaftlichen Forschung zur jeweiligen Diagnostik und Therapie einschließlich der Therapiealternativen. Diese sind nachzuweisen durch: Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung und Erteilung der Weiterbildungsbefugnis oder Verleihung einer akademischen Lehrbefugnis.

Schließlich muss der Zweitmeiner erklären, ob und gegebenenfalls welche finanziellen Interessen es gibt in Bezug auf Hersteller von Medizinprodukten oder einem Verband solcher Hersteller. Auch dem Patienten sind auf Nachfrage etwaige Interessenkonflikte offenzulegen.

Aufgaben des zweitmeinenden Arztes

  • Die Zweitmeinung ist eine unabhängige, neutrale ärztliche Meinung. Ärzte, die eine Zweitmeinung abgeben, haben folgende Aufgaben:
  • Anamnesegespräch,
  • Berücksichtigen der Befunde,
  • gegebenenfalls körperliche Untersuchung,
  • Untersuchungs- und Behandlungsleistungen, sofern Vorbefunde fehlen oder nicht verwertbar oder weiterführende Untersuchungen notwendig sind,
  • Abwägen von Behandlungsalternativen mit dem Fokus auf dem Prüfen der Notwendigkeit des empfohlenen Eingriffes und
  • das Bestätigen oder Nichtbestätigen des empfohlenen Eingriffes sowie
  • eine Empfehlung zum konkreten weiteren Vorgehen.

Die Zweitmeinung ist im Gespräch mit dem Patienten mündlich zu erteilen. Telemedizinische Möglichkeiten sind zulässig, wenn diese auch sonst, das heißt vertragsarzt- und berufsrechtlich, zulässig sind. Ärzte weiterer Fachgebiete oder Angehörige nichtärztlicher Gesundheitsfachberufe können einbezogen werden, soweit das in der Richtlinie vorgesehen ist. Auf Wunsch des Patienten informiert der Zweitmeiner den indikationsstellenden Arzt über das Ergebnis der Zweitmeinung. Dem Patienten ist auf Wunsch ein Befundbericht auszuhändigen, in dem auf die Entscheidungshilfe des IQWiG und weitere evidenzbasierte Informationen Bezug zu nehmen ist.

Rechtliche Folgen der neuen Regelungen

Haftungsrechtlich stellt sich insbesondere die Frage, welche Folgen es hat, wenn der indikationsstellende Arzt das Zweitmeinungsverfahren nicht beachtet. Denkbar ist, die neue Aufklärungspflicht zivilrechtlich zum Kanon der Selbstbestimmungsaufklärung zu zählen (§ 630 e Abs. 1 BGB). Ihre Nichtbeachtung würde folglich die Einwilligung des Patienten unwirksam und den Eingriff damit rechtswidrig machen (§ 630 d Abs. 1 und 2 BGB). Folgen wären nicht nur zivilrechtliche Schadensersatzansprüche, sondern auch strafrechtliche Vorwürfe.

Doch rechtliche Fallstricke lauern auch, wenn Ärzte die neue Richtlinie befolgen. So muss der indikationsstellende Arzt dem Patienten zwar die Möglichkeiten aufzeigen, sich über Zweitmeiner zu informieren. Verboten ist es jedoch, einen geeigneten Zweitmeiner unmittelbar zu benennen. So untersagt § 31 Abs. 2 der Berufsordnung für Ärzte (MBO-Ärzte) die ungefragte und nicht auf medizinischer Indikation beruhende Empfehlung eines anderen Arztes. Liegt zusätzlich eine wirtschaftliche Komponente vor, wie Kick-Back-Zahlungen, ginge es rechtlich auch um eine verbotene Zuweisung gegen Entgelt (§ 32 Abs. 1 MBO-Ärzte) der Korruption im Gesundheitswesen (§ 299 a StGB).

Dtsch Arztebl 2021; 118(27-28): [4]

Der Autor:

Dr. iur. Torsten Nölling
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht
04229 Leipzig

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