Selbstmanagement: Die Kunst, gute Vorsätze in Gewohnheiten zu verwandeln

30 April, 2024 - 07:14
Dr. med. Matthias Weniger
Ziele erreichen Symbolbild

Gerade für Ärztinnen und Ärzte, die unter hohem Druck und mit begrenzten Zeitressourcen arbeiten, ist es wichtig, Techniken der Gewohnheitsbildung zu nutzen. Das können Gesundheitsroutinen im Schichtdienst sein oder das Schaffen mentaler Entspannungsphasen zwischen Patientenkonsultationen.

Viele Menschen setzen sich hohe Ziele: Abnehmen, regelmäßig Sport treiben und Stressabbau stehen oft auf der Agenda. Trotz anfänglicher Motivation verwandeln sich diese Vorsätze oft in ein fernes Echo anfänglicher Euphorie. Ein Phänomen, das nicht nur Frustration hinterlässt, sondern auch das Selbstvertrauen unterminieren kann. Warum aber ist es so schwierig, gute Vorsätze umzusetzen? Die Antwort liegt in der Komplexität der neuronalen Pfade und Gewohnheiten.

Produkt evolutionärer Anpassungen

Gewohnheiten prägen rund 70 bis 80 Prozent des täglichen Lebens. Sie sind das Produkt evolutionärer Anpassungen, konzipiert, um Ressourcen zu sparen und Überlebensstrategien zu optimieren. Routinen erlauben es dem Gehirn, einen Großteil der Energie einzusparen, da Entscheidungen, die durch Gewohnheiten automatisiert werden, kaum noch bewusste kognitive Verarbeitung erfordern. Diese Automatismen waren für unsere Vorfahren essenziell, um auf wiederkehrende Herausforderungen effizient reagieren und in gefährlichen Umgebungen überleben zu können. Im medizinischen Kontext ermöglichen solche Routinen und eingespielten Abläufe, effektiv und schnell auf Notfälle zu reagieren – ein Paradebeispiel für die Nützlichkeit von Gewohnheiten.

Die Basalganglien, tiefe Hirnstrukturen, sind das Zentrum der Gewohnheitsbildung. Sie erlauben es, Handlungen zu automatisieren und kognitive Kapazitäten für andere, anspruchsvollere Aufgaben freizuhalten. Aber gerade diese Automatisierung macht es schwierig, einmal festgelegte Gewohnheiten zu ändern, insbesondere wenn sie schädlich sind, wie das Rauchen. Dann greift die reine Erkenntnis zu kurz. Nötig ist, tiefer gehende Strategien anzuwenden, um das Gehirn umzuprogrammieren, wobei die kurzfristige Belohnung für neues Verhalten eine Schlüsselrolle spielt.

Um Gewohnheiten zu verändern, ist es essenziell, den Zustand des Flows zu integrieren – einen Zustand der Vertiefung und des völligen Aufgehens in einer Aktivität, der nicht nur die Erfahrung selbst bereichert, sondern auch die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass eine Handlung zur Gewohnheit wird. Der Flow-Zustand, oft gekennzeichnet durch Freude und intrinsische Motivation, ist eng verknüpft mit dem Aufrechterhalten und Etablieren von Gewohnheiten. Wer durch bestimmte Aktivitäten in diesen Zustand versetzt wird, wird dies weniger als Mühe empfinden und es häufiger wiederholen, was die Verankerung in dessen neuronales Netzwerk verstärkt.

Freude am Ausführen einer Tätigkeit

Motivation ist der Motor der Veränderung. Anstatt sich von dem Wunsch, eine Angewohnheit aufzugeben, leiten zu lassen, ist es wirksamer, eine klare Vision zu haben, wohin die Reise gehen soll. Es ist das „Hin zu“, das den Unterschied macht. Belohnungen sollten unmittelbar sein, um das Verhalten zu verstärken und das Ziel greifbarer zu machen. Kleine, realistische Zwischenziele und positive Verstärkung stärken die Selbstwirksamkeitserwartung, also den Glauben an die eigene Fähigkeit, bestimmte Handlungen auszuführen und Ziele zu erreichen. Um neue Gewohnheiten zu etablieren, sollte man diese in den Alltag einbetten, sodass man sie mit Freude und Interesse verbindet und sie so das Potenzial haben, in einen Flow-Zustand überzugehen.

Damit es leichter wird, Gewohnheiten nachhaltig in den Alltag zu integrieren, sollte man den Fokus auf den Prozess legen, nicht allein auf das Ergebnis. Denn die Freude am Ausführen einer Tätigkeit ist ein fundamentaler Baustein, eine Gewohnheit zu etablieren. Die positive Empfindung, die durch den Flow-Zustand hervorgerufen wird, sollte jeder und jede nutzen, um Routinen zu formen, die nicht nur zweckmäßig, sondern auch emotional befriedigen.

Zeitfresser zu identifizieren schafft Freiräume

Stress kann die Etablierung gesunder Gewohnheiten erschweren, besonders wenn neue Routinen einen erhöhten anfänglichen Energieaufwand erfordern. Um den Stress zu reduzieren, ist es sinnvoll, Zeitfresser zu identifizieren und zu minimieren. Dies schafft Freiräume, die man für stressabbauende Aktivitäten wie Sport oder Meditation nutzen kann, und es unterstützt das Verlassen des sogenannten Hamsterrads.

Zu einer effektiven Gewohnheitsbildung gehören klare Intentionen. Wichtig ist, konkrete Schritte zu neuen Gewohnheiten zu formulieren: Was genau möchte ich erreichen? Und wie soll das im Alltag aussehen? Hindernisse sollte man antizipieren und Wenn-dann-Pläne entwickeln, um auf vorhersehbare Schwierigkeiten vorbereitet zu sein. Das soziale Umfeld kann als unterstützendes Element eingebunden werden, um zum Beispiel der Bequemlichkeit entgegenzuwirken. Nach jedem erfolgreichen Schritt ist es wichtig, sich bewusst zu belohnen. Mindestens 50 bis 70 Sekunden sollte man die innere Freude und den Stolz auf das Erreichte spüren lassen. Diese positiven Gefühle unterstützen die neuronale Verknüpfung des Verhaltens mit einer Belohnung und machen die Wiederholung dieses Schrittes wahrscheinlicher.

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28.02.2025, BAG MVZ medic: GmbH und Bülent Adasoglu
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Entscheidend für die langfristige Gewohnheitsbildung ist eine regelmäßige Reflexion. Täglich sollte man überprüfen, ob es gelungen ist, die angestrebten Verhaltensweisen zu zeigen und ob Modifikationen nötig sind, um die Ziele realistisch und erreichbar zu gestalten. Dabei ist auch die individuelle Belohnungsstruktur zu berücksichtigen.

Integration in den klinischen Alltag

Die Kunst, gute Vorsätze in Gewohnheiten zu verwandeln, erfordert mehr als bloßen Willen – sie erfordert ein tiefes Verständnis der neurobiologischen und psychologischen Prozesse, die das menschliche Verhalten steuern. Durch die Kombination von bewusster Planung, der Integration von Flow-Erlebnissen und der Anwendung psychologischer Prinzipien wie der Selbstwirksamkeitserwartung und positiven Verstärkung, können Ärztinnen und Ärzte Routinen nicht nur effizienter gestalten, sondern auch ihr Wohlbefinden und ihre berufliche Leistungsfähigkeit steigern. Letztlich ist es ein Prozess des Entdeckens, Anpassens und Feierns kleiner Siege auf dem Weg zu einem gesünderen, zufriedenen Leben.

Der Autor:

Dr. med. Matthias Weniger
Ärztlicher Leiter
Institut für Stressmedizin Rhein Ruhr
45525 Hattingen

Dtsch Arztebl 2024; 121(9): [2]

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