Telemedizin: So gelingt der Einstieg für Ärzte

10 April, 2020 - 08:47
Lukas Hoffmann
Jan Falkenberg
Gestern noch angestellt, heute Telearzt: Jan Falkenberg

Der Berliner Kinderarzt Jan Falkenberg hat vor einigen Wochen den Sprung in die Telemedizin gewagt. Er profitiert nicht nur von einer gestiegenen Akzeptanz der Bundesbürger für eine Online-Sprechstunde, sondern auch von kostenlosen Angeboten der IT-Anbieter. 

Jan Falkenberg hat die Reißleine gezogen und den Sprung in die Telemedizin gewagt. Zuvor war der 42-jährige Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin in einer Praxis angestellt. Damit ist jetzt Schluss. Auf seiner Website kinderarztnow.de bietet er telemedizinische Beratung an, von morgens um 9 Uhr bis abends um 21 Uhr, von Montag bis Sonntag. 

Wenn man bei der kinderarztnow-Hotline um 20 Uhr am Sonntag anruft, geht Falkenberg selbst ans Telefon. „Das sind die Zeiten, die interessant sind, weil Praxen geschlossen sind. Wir sind derzeit nur bis 21 Uhr erreichbar, weil wir ein kleines Team sind.“ Neben Falkenberg macht eine Kollegin bei kinderarztnow mit. Er sucht weitere Mitstreiter. 

Da er keinen eigenen KV-Sitz hat, rechnet Falkenberg über die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) ab. Eltern, die sich bei ihm Rat einholen, zahlen folglich selbst, zumindest wenn sie über eine gesetzliche Krankenkasse versichert sind. Mittelfristig wünscht er sich aber auch hier eine andere Lösung. Gespräche mit den Versicherungen sind geplant.  

Abrechnung über die Kasse lohnt sich kaum

Praxisinhaber haben auch die Möglichkeit, eine telemedizinische Beratung über den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) abzurechnen. Seit dem 1. April gilt sogar eine coronabedingte Ausnahmeregelung. Bislang konnten niedergelassene Ärzte nur bei 20 Prozent ihrer Patienten eine Online-Beratung in Rechnung stellen. Im 2. Quartal 2020 können 100 Prozent der Patienten telemedizinisch beraten und über EBM abgerechnet werden. 

„Mit dem, was sie für eine Samstagabend-Beratung von den Krankenkassen bekommen, locken Sie keinen Kinderarzt hinter dem Ofen hervor“, sagt Falkenberg. „Das steht nicht in Relation zu dem Aufwand, den Sie betreiben. Wenn ein Arzt Samstagsabend zwei Mal berät, bekommt er vielleicht 40 Euro.“ Der Vorteil der Gebührenordnung für Ärzte wäre der, dass hier Zuschläge für die Nacht- und Wochenendberatung gezahlt werden. Eine Online-Sprechstunde bei Falkenberg beginnt ab einem Preis von 28 Euro. 

Einarbeitung kostet Zeit

Telemedizin kann für Ärzte ein Zusatzverdienst sein, aber bei der Zeitplanung muss bedacht werden, dass nicht nur die Beratung selbst dahintersteckt. Auch der IT-Service muss eingerichtet werden und dabei geht es nicht nur um ein ruckelfreies Bild und eine gute Tonqualität, sondern auch um ein schlüssiges Abrechnungssystem, ein gutes Patientenmanagement und die korrekte Verarbeitung der Patientendaten. 

Zahlreiche Telemedizin-Anbieter sind inzwischen in Deutschland aktiv und bieten Ärzten verschiedene Service-Pakete an. Die KBV hat in einer Übersichtsseite alle Anbieter gelistet, die von der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung zertifiziert sind. Nur wenn ein Arzt einen zertifizierten Anbieter nutzt, kann er seine Beratungsleistung über EBM abrechnen. 

Aber auch bei den zertifizierten Anbietern gilt: Je mehr Verantwortung man als Arzt abgibt, desto weniger verdient man. Dies war auch ein Grund, warum sich Falkenberg für die Gründung seiner Telepraxis entschieden hat. 

Viele IT-Anbieter bieten den Service in der Corona-Krise kostenlos an

Die Idee hatte er schon länger, nicht erst seit der Corona-Krise. Einige Jahre lang hat er nebenberuflich für einen großen Telemedizin-Anbieter online beraten. Mit der Selbstständigkeit will er sich einen Teil der Kontrolle zurückholen. "Wir dürfen das Feld der Telemedizin nicht nur den großen Anbietern überlassen, sondern müssen durch Initiativen aus der Ärzteschaft die Telemedizin in Deutschland mitgestalten."

Der Zeitpunkt, verschiedene Anbieter auszuprobieren, ist gerade günstig. Fast alle Dienstleister stellen Ärzten ihren Service in der Corona-Krise kostenlos zur Verfügung. Und die Akzeptanz der Bundesbürger für Telemedizin ist hoch wie nie. Zwei Drittel der Menschen in Deutschland wünschen sich, dass Ärzte Online-Sprechstunden anbieten, um die Ansteckungsgefahr in Praxen zu reduzieren. Das hat eine Umfrage des Digitalverbands Bitkom mit 1.002 Personen Mitte März ergeben. Bei einer früheren Befragung im Frühjahr 2019 war nur ein Drittel der Befragten an einer telemedizinischen Behandlung interessiert. 

Teleärzte triagieren

Die geringe Ansteckungsgefahr verursacht den derzeitigen kurzfristigen Hype der Telemedizin. Aber auch langfristig gibt es einen zentralen Nutzen, der viele Notfallambulanzen in Kliniken entlasten könnte. Wenn Ärzte am Wochenende und spät abends beraten, triagieren sie.  „Ein großer Teil der Fälle sind telemedizinsch lösbar und müsste nicht in die Praxis oder die Notaufnahmen“, sagt Falkenberg. 

Voraussetzung für die Telemedizin ist ein Facharzttitel. Ein Sitz ist nicht notwendig, auch angestellte Ärzte können beraten. Besonders nachgefragt sind Online-Sprechstunden von Allgemeinmedizinern, Internisten und Kinderärzten. Aber auch Ärzte anderer Fachbereiche werden gesucht.  

Trotz Gründung von Kinderarztnow.de kann sich Falkenberg nicht vorstellen, nur Online-Kinderarzt zu sein. „Der  echte Kontakt mit den Kindern und Eltern ist für mich essentieller Teil meines Berufes. Und ich bin auch kritisch: Telemedizin rettet nicht das Gesundheitssytem vor allen Problemen, aber es ist ein Werkzeug, das wir in Deutschland noch nicht ausprobiert haben. Jetzt haben wir die Chance dazu!“ 

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